Der geriatrische Patient
Dieses vielfache Kranksein kann ein einzelnes Organ betreffen (Organpolypathie); andererseits können die verschiedenen Diagnosen alle Grenzen zwischen den traditionell organbezogenen Paradigmen der Medizin überschreiten. Für diese Patientengruppe, den geriatrischen Patienten, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit und ganzheitliche Betrachtungsweise in Diagnostik und Therapie gefordert.
Der geriatrische Patient ist durch verschiedene Merkmale charakterisiert [Füsgen, 1999]:
• biologisches Alter,
• mehrere behandlungsbedürftige Erkrankungen gleichzeitig (Multimorbidität),
• veränderte, oft unspezifische Symptomatik,
• verlängerte Krankheitsverläufe und verzögerte Genesung,
• veränderte Reaktion auf Medikamente (Pharmakokinetik und -dynamik),
• Demobilisierungssyndrome und
• psychosoziale Symptome.
Darüber hinaus werden die einzelnen Erkrankungen in ihrer Bedeutung von psychosozialen Faktoren bestimmt und modifiziert. Innerhalb der Medizin hat sich die Geriatrie als wichtiges Gebiet mit ganzheitlicher Sicht in der Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation des alternden und alten Menschen erwiesen. Weniger Berücksichtigung fand in den letzten Jahrzehnten das zahnärztliche Arbeitsgebiet. Dabei ist der Mundraum auch im Alter für die Lebensqualität von entscheidender Bedeutung.
Obwohl in der Literatur bereits Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts eine gerontostomatologische Teildisziplin (Alterszahnheilkunde, Gerostomatologie, Gerontostomatologie, zahnärztliche Geriatrie) beschrieben wurde [Sauerwein, 1983], ist bisher keine flächendeckende, koordinierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Medizinbereichen erfolgt. Wenn in Zukunft die zunehmende Zahl geriatrischer Patienten erfolgreich und unseren humanen Vorstellungen entsprechend behandelt werden soll, dann wird der ganzheitliche Ansatz unter Einbezug aller medizinisch beteiligten Fachgebiete umgesetzt werden müssen und dies bedeutet auch den Einbezug des Zahnarztes.
Zuerst einen Überblick gewinnen
Um einen raschen Überblick über den Zustand des Patienten zu erhalten, kann der Arzt diesen bitten, sich zu setzen, wieder aufzustehen und umherzugehen. Er wird untersuchen können, inwiefern die Bewegungen und motorischen Funktionen des Patienten harmonieren. Er wird anschließend Gehör und Sehvermögen des Patienten kontrollieren, indem er ihn einige Zeilen aus einer Zeitung lesen lässt.
Bestehen Zweifel über die Verwertbarkeit der Angaben des Patienten, sei es aufgrund eines dementiellen Syndroms, oder einer Bewusstseinstrübung, ist ein kurzer Gedächtnis- und Orientierungstest erforderlich. Meist gelingt ein derartiger Test durch Erkundigungen nach der Tagesbeschäftigung, beispielsweise ob der Patient liest oder nicht, welche Zeitung oder welche Illustrierte er vorzieht, welches Buch er zuletzt gelesen hat, ob er fernschaut, was sein bevorzugtes Programm ist, ob er die Tagesschau ansieht oder wer Bundeskanzler beziehungsweise Bundespräsident ist.
Ergeben sich in diesem kurzen Überblick Hinweise auf Funktionsdefizite, sollte unbedingt Kontakt mit dem Hausarzt aufgenommen werden. Gleichzeitig sind dies auch Hinweise, inwieweit der Patient noch selbstständig eine Zahnprophylaxe beziehungsweise Reinigung der Zähne durchführen kann.
Häufige Symptome beim älteren Patienten
Der trockene Mund
Eine häufig gehörte Klage im Alter ist die Mundtrockenheit. Die Prävalenz dafür steigt mit zunehmendem Alter und wahrscheinlich sind über 30 Prozent der über 65-Jährigen und älteren davon betroffen [Ship, 2002]. Die Ausgangsbasis dafür sind physiologische Altersveränderungen. Deutliche physiologische Veränderungen existieren im Bereich der großen Mundspeicheldrüsen, wo es mit zunehmendem Alter zur Umwandlung des Drüsenin Fettgewebe kommt. Die kleinen Speicheldrüsen in der Mund- und Rachenschleimhaut hingegen werden im Alter zunehmend durch Bindegewebe ersetzt. Durch beide Prozesse sinkt die funktionelle Kapazität der Speichelproduktion mit zunehmendem Alter ab. Der Speichelfluss ändert sich allerdings im Gegensatz dazu unter „Normalbedingungen“ bis ins höhere Alter hinein wenig [Hager, 2009]. Treten jedoch zusätzliche belastende Faktoren wie Medikamente oder Erkrankungen hinzu (Tabelle 1), dann erschöpft sich die funktionelle Reservekapazität rascher, und es kann sich schnell eine quälende Mundtrockenheit einstellen. Diese Mundtrockenheit kann Ausgangspunkt für weitere Erkrankungen und Probleme (wie Karies, Candidiasis, Geschmacksstörungen, Kauund Schluckprobleme, Zahnfleischentzündungen, Sprechprobleme, Schlafstörungen) sein oder auch den Ernährungsstatus entscheidend beeinflussen [Ship, 2002].
Für die Funktion und den Halt von totalem Zahnersatz ist ein uneingeschränkter Speichelfluss von großer Wichtigkeit. Hyposalivation und Xerostomie sind typische Begleiterscheinungen der Multimedikation älterer Patienten. Levy und Mitarbeiter (1988) geben einen Anteil von 50,9 Prozent nicht hospitalisierter älterer Patienten (über 65 Jahre) an, bei denen aufgrund der Medikation prinzipiell eine mehr oder weniger ausgeprägte Hyposalivation zu erwarten ist. In einer gleichartigen Untersuchung von Baker und Mitarbeiter (1985) bei Patienten in Pflegeheimen fanden die Autoren sogar einen Anteil von 73,9 Prozent von Patienten mit potentiellen Salivationsstörungen.
Die Behandlung besteht in der Reduzierung der Dosis oder im Absetzen der anticholinerg wirkenden Medikamente beziehungsweise im Ansetzen von Substanzen ohne diese Nebenwirkung. Empfohlen wird auch das wiederholte Befeuchten des Mundes mit kleinen Trinkmengen, die Verwendung von künstlichem, polysaccharidhaltigem Speichel oder das Lutschen beziehungsweise Kauen von sauren Substanzen („Lemon-Sticks“) [Hager, 2009].
Mundgeruch (Halitosis)
Der bei älteren Menschen recht häufige Mundgeruch lässt nicht unbedingt auf mangelnde Mundhygiene oder soziale Probleme schließen. Vielfach ist die viele Mitmenschen sehr störende „Duftnote“ auch Anzeichen einer schweren systemischen Erkrankung. In etwa 50 bis 90 Prozent der Fälle liegen die Ursachen der Halitose in der Mundhöhle [Durham, 1993]. Andernfalls kann dieses leicht wahrnehmbare Symptom auch als ein Hinweis auf eine zuvor nicht diagnostizierte, systemische Erkrankung genutzt werden (Tabelle 2).
Diagnostisch muss ergründet werden, ob eine Infektion vorliegt, oder ob besondere physiologische, pharmakologische oder metabolische Ursachen zugrunde liegen können. Vermeintlich schlechter Geruch kann auch bei psychogenen Störungen wie zum Beispiel Depressionen, Schizophrenie und Schlaganfall und bei Hypochondern auftreten. Oft steht eine spezifische Geruchsnote im Vordergrund. So geht die Leberzirrhose einher mit einem Geruch nach „faulen Eiern“, bei leukämischen Patienten erinnert der „Foetor ex ore“ an geronnenes Blut, und bei urämischen Patienten ist der Geruch nach Fisch oder Urin vorherrschend, während diabetische Patienten süßlich aus dem Mund riechen.
Atmet der Patient bei zusammengepressten Lippen nur durch die Nase aus und ist der Mundgeruch dann vorhanden, handelt es sich in der Regel um eine systemische Erkrankung. Stellt man hierbei nichts fest, lässt man den Patienten anschließend mit zugehaltener Nase atmen. Wenn man hierbei Mundgeruch registriert, handelt es sich meist um eine im Mund-Rachen-Raum liegende Ursache. Wichtig ist auch zu ergründen, wann der Mundgeruch zum ersten Mal auftrat, zu welchen Gelegenheiten und Tageszeiten er am stärksten ist, welche Nahrungsmittel bevorzugt werden, ob eine Diät durchgeführt wird und welche Medikamente eingenommen werden.
Das Management der systemischen Halitosis besteht in der Behandlung der Grunderkrankung, wobei die Mundhygiene nicht vergessen werden sollte. Bei Mundgeruch aufgrund von Ernährung sollte eine fettarme, nicht vegetarische Diät mit frischem Gemüse und Obst gewählt werden. Patienten mit Xerostomie (wie durch Anxiolytika, Antidepressiva, Antiparkinsonika, Antipsychotika, narkotisierende Analgetika, Antihistiminika, Anticholinergika und Antihypertensiva, durch Erkrankungen der Speicheldrüse, systemische Erkrankungen, Mundatmung, Fazialisparese, Dehydrierung, Vitaminmangel, Menopause, Chemotherapie oder Strahlentherapie) kann durch Speichelsubstitute, Kaugummikauen oder den Speichelfluss anregende Medikation – eventuell mit Pilocarbin – geholfen werden. Mundduschen, die durch ihren hohen Alkoholgehalt austrocknend wirken, sollten bei Älteren gemieden werden.
Multimorbidität
Charakteristisch für das Auftreten von Krankheiten bei Älteren sind Multimorbidität und chronischer Verlauf. Multimorbidität bedeutet dabei nach der Definition von Schubert (1974): „Das gleichzeitige Vorhandensein mehrerer signifikanter Erkrankungen, die behandlungsbedürftig sind.“ Wegen der großen klinischen und pathologischen Bandbreite der Multimorbidität sind Diagnostik und Therapie beim alten Patienten immer eine ausgesprochene Individualmedizin. Die zahlreichen Variationen und Kombinationsmöglichkeiten der gleichzeitig registrierten Krankheiten und Leiden ergeben ein individuell sehr unterschiedliches Bild. Dabei haben die chronischen Erkrankungen eine besondere Bedeutung. In der Regel ist mit zunehmendem Alter mit einem höheren Grad einer Multimorbidität zu rechnen. Die Vielfalt unterschiedlichster akuter und latenter pathologischer Erscheinungsbilder macht es häufig schwer, nicht einer Polypragmasie zu verfallen, sondern eine hierarchisch geordnete und mehrdimensionale Diagnostik und Therapie adäquat durchzuführen. Multimorbidität bedeutet nicht von vornherein, dass alle Krankheiten gleichzeitig behandelt werden müssen. Es ist vielmehr notwendig, Schwerpunkte zu setzen. Dies fordert aber alle in der medizinischen Betreuung des alten Patienten Beteiligten auf, an Diagnostik und Therapie mitzuwirken und sich interdisziplinär abzustimmen.
Zerebrovaskuläre Erkrankung und Parodontitis
Parodontitis ist eine häufige Begleiterkrankungen der Älteren, soweit noch Zahnbestand vorliegt. Zerebrovaskuläre Erkrankungen zeigen eine deutliche Altersabhängigkeit mit Anstieg ab dem 60. Lebensjahr auf. Für Parodontalerkrankungen wurde in einer Reihe von Untersuchungen ein enger Zusammenhang mit chronisch entzündlichen Prozessen, systemischen arteriosklerotischen Vorgängen, kardiovaskulären Erkrankungen und Risikofaktoren dafür nachgewiesen [Yu, 2008].
Chronische infektiöse Parodontalerkrankungen werden zunehmend auch für zerebrovaskuläre Ereignisse verantwortlich gemacht. Eine bakterielle Meningitis oder eine Neuroborreliose zeigt einen unzweifelhaften Zusammenhang zwischen Infektereignis und dem zerebralen Ereignis auf [Leiguarda, 1988]. Für eine differenziertere Betrachtung ist bei den zerebrovaskulären Erkrankungen eine Eingruppierung nach ihrer Ursache sinnvoll.
Man unterscheidet:
• kardiale Embolien
• Mikro- und Makroangiopathien
• Stenosen der Hirnversorgenden Arterien
• andere oder unbekannte Ursachen
Eine Parodontitis kann das Risiko um das Zwei- bis Dreifache erhöhen [Dörfer, 2004]. Entscheidend hierbei ist die Frage, über welchen möglichen pathophysiologischen Mechanismus es zur Schädigung kommt. Hier konnte in Untersuchungen der Neurologischen Klinik, Universität Heidelberg, gezeigt werden, dass in der Gruppe mit kardioembolischen Ereignissen und in der Gruppe der Ischämien unklarer Genese eine hohe Assoziation zum Schweregrad der Parodontitis besteht [Grau, 2004]. Ein Zusammenhang mit Stenosen der hirnversorgenden Gefäße bestand nicht. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der Entstehungsmechanismus, wie bei infektgetriggerten kardiovaskulären Ereignisse über die endotheliale Dysfunktion abläuft [Amar, 2003; Wu, 2000]. Bei ausgeprägter Parodontitis sollte deshalb unbedingt eine Zusammenarbeit mit dem Hausarzt angestrebt und die Risikokonstellation für kardiale und zerebrovaskuläre Erkrankungen deutlich gemacht werden.
Kognition, Parodontitis und Demenz
Bei kognitiven Problemen besteht insgesamt eine deutliche Altersabhängigkeit. Für unsere Gesellschaft ist dabei das besondere Problem die altersabhängig auftretende Demenz und hier insbesondere die Alzheimer-Demenz. Aus Untersuchungen der letzten Jahre wissen wir, dass das Vorliegen von Parodontalerkrankungen und hier insbesondere der Parodontitis eine enge Verbindung mit der Kognition aufzeigen. Eine höhere kognitive Leistungsfähigkeit ist direkt verbunden mit einem niedrigen Grad von Parodontopathien [Yu, 2008].
Japanische Forschergruppen weisen bereits seit einigen Jahren auf den engen Zusammenhang von Zahnlosigkeit und Demenz hin. Die Untersuchungen von Dienel aus Deutschland zeigen auf, dass Zahnlosigkeit ein eigenständiger, vom Alter unabhängiger Risikofaktor für eine Alzheimer-Demenz ist [Dienel, 2006]. Da aber der Anteil der Zahnlosen mit über 50 Prozent auch bei den Nicht-Dementen sehr hoch ist, ist der Risikofaktor „Zahnlosigkeit“ allerdings nur wenig spezifisch für die Alzheimer-Demenz. Umgekehrt aber sind zahlreiche noch vorhandene Zähne im Alter zumindest statistisch offenbar ein Schutzfaktor vor Alzheimer. Zahlreiche noch vorhandene Zähne scheinen aber nicht in gleicher Weise wie bei der Alzheimer-Demenz Schutz vor ischämischen Insulten und vaskulärer Demenz zu bieten. Hier kommt anscheinend der „Entzündungs-Hypothese der Parodontitis“ eine vermehrte Bedeutung zu.
In der Diskussion bezüglich des Zusammenhangs Zahnlosigkeit und Alzheimer-Erkrankungen wird darauf verwiesen, dass Zahnlosigkeit eine enge Verbindung mit der Ernährung hat. Hier wäre interessant, inwieweit eine fachgerechte zahnprothetische Versorgung mit Einfluss auf die Ernährung auch Konsequenzen bezüglich dementieller Probleme hat. Studien stehen hier allerdings noch aus.
Endokarditis und Parodontitis
Die häufigste Assoziation zwischen einer infektiösen Erkrankung des Mundraumes im weiteren Sinne ist die Endokarditits. Durch die entzündliche Eintrittspforte gelangen Keime durch hämatogene Streuung bis in das Herz und setzen sich dort an den Herzklappen fest. Durch verschiedene Virulenzfaktoren kommt es zur Besiedlung der Herzklappen und zu thrombotischen Auflagerungen. Besonders betroffen sind die Mitral- und die Aortenklappe. Eine Besiedlung der Trikuspidalklappe ist sehr selten. Der entstandene turbulente Fluss sorgt für thrombotische Auflagerungen, die im Verlauf weiter eine Ansiedlungsfläche für Mikroorganismen darstellen. Das absolute Risiko für das Auftreten einer Endokarditis nach einer Zahnbehandlung ist unbekannt. Dies liegt unter anderem daran, dass die Inkubationszeit bis zum Auftreten einer Endokarditis unbekannt ist. Vermutlich liegt sie zwischen sieben und vierzehn Tagen. [Starkebaum, 1977].
Ein kausaler Zusammenhang zwischen Zahnbehandlung und Endokarditis ist bislang nie nachgewiesen worden. Das absolute Risiko einer Endokarditis nach Zahnbehandlung liegt in der Normalbevölkerung bei 1:14 000 000 [Steckelberg, 1993] und sinkt bei entsprechender Vorschädigung der Herzklappen über den Zustand nach Klappenersatz oder nach einer bereits durchhgemachten Endokarditis auf 1:95 000 [Pallasch, 2003]. Unter Berücksichtigung einer kritischen Kosten-Nutzen-Analyse hat bezüglich der Prophylaxe einer infektiösen Endokarditis in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Empfohlen wird daher nur noch eine Prophylaxe bei Patienten, bei denen ein schwerer bis letaler Verlauf der infektiösen Endokarditis zu erwarten ist (Tabelle 3) [Naber 2007].
Insgesamt ist festzustellen, dass die Inzidenz der infektiösen Endokarditis trotz häufigerem Vorkommen vorgeschädigter Herzklappen im Alter insgesamt geringer ist als beim jüngeren Patienten. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung kommt in ihrem Positionspapier zu dem Schluss, dass eine alltägliche Parodontitisprophylaxe einen hohen Stellenwert haben dürfte, da über 80 Prozent der Endokarditiden ohne einen vorherigen Eingriff auftreten [Naber, 2007].
In den letzten Jahren konnte nachgewiesen werden, dass Infektionen generell auch die Gefäße „attackieren“. Hierzu zählt insbesondere die Parodontitis. In der CORODONT-Studie (The coronary event and periodontal disease), zeigte sich dass die bakterielle Gesamtmenge bei Koronarpatienten signifikant höher ist als bei altersgleichen Kontrollpatienten. Als wichtigste Keime wurden der Actinobacillusactinomycetem comitans und Prevotella intermedia isoliert. Hinweise, inwiefern die Taschentiefe einen Einfluss hatte, bestanden jedoch nicht. Möglicherweise besteht eine positive Beeinflussung des Infarktrisikos in einer Kürettage oder Antibiotikainstillation beim Zahnarzt [Spahr, 2006].
Diabetes mellitus und Zahnstatus
Im fortgeschrittenen Alter findet sich überwiegend der Typ-2 Diabetes. Etwa 15 Prozent der Älteren sind betroffen. Der Typ-2 Diabetes beim Älteren ist geprägt durch einen in der Regel langsamen Verlust der Insulinsensitivität und -produktion. So zeigen sich im oftmals übersehenen Anfangsstadium lediglich erhöhte Nüchternblutzuckerwerte. Im weiteren Verlauf können sich die relative Insulinansprechbarkeit und der Insulinmangel zum absoluten Insulindefizit entwickeln. Das frühzeitige Erkennen und konsequente Behandeln des Diabetes mellitus trägt entscheidend dazu bei, wann diabetestypische Spätkomplikationen auftreten. Die Hauptrolle spielt hier der vom Diabetes Betroffene selber, der nur durch grundsätzliche Lebensstiländerungen, zum Beispiel Gewichtsreduktion, moderate Bewegung oder Anpassung der Ernährungsgewohnheiten das Fortschreiten beeinflussen kann. Die Führung und Therapie des Diabetikers ist aber ein ganzheitlich medizinisches Problem, das auch den Zahnarzt mit einschließt. Entgleisungen des Blutzuckers haben dabei besondere Bedeutung, da sie für den älteren Patienten häufig mit Komplikationen verbunden sind.
Entgleisungen des Blutzuckers entstehen häufig durch akut auftretende Infekte. Klinisch am häufigsten sieht man hyperglykämische Entgleisungen nach Aufflammen eines Harnwegsinfekts oder auch einer Pneumonie. Andere Foki sind eher selten. Auch entzündliche Veränderungen im Mundraum beeinflussen nachhaltig den Glukosestoffwechsel. Im Rahmen eines Infektereignisses ist die insulingesteuerte Glukoseaufnahme in den Skelettmuskel verringert [Lang, 1992]. Es entsteht passager eine relative Insulinresistenz, das bedeutet, dass selbst durch eine verhältnismäßig hohe Dosis Insulin nur ein geringer bis gar kein Blutzucker senkender Effekt erreicht wird. Häufig betroffen sind Patienten, bei denen bereits ein Metabolisches Syndrom besteht. Auf dem Kongress der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft stellte die Arbeitsgruppe um Taylor (2008) eine Studie vor, die den zahnärzlichen Einfluss auf Infekte des Mundraumes beschreibt. In einer Untersuchung an 46 Patienten konnte gut dargestellt werden, dass die Behandlung des Diabetes mellitus auch beim Zahnarzt stattfindet. Die zahnärztliche Verbesserung der Mundgesundheit durch Sanierung von Infektfoki führte in der Beobachtungsgruppe zu einer signifikanten Senkung des HbA1c um 0,67-1 Prozent und zu einer Minderung der Proteinurie. Aber nicht nur kurzfristig besteht ein Nutzen in der Parodontitisbehandlung des Diabetikers. Es konnte eine signifikant erhöhte Mortalität bei Patienten im fortgeschrittenen Diabetesstadium mit begleitender Parodontitis nachgewiesen werden [Saremi, 2005]. Die Rolle der Mundhygiene ist somit zweifelsohne notwendig, um einen langfristigen Behandlungserfolg zu erzielen. Auf der anderen Seite werden Entzündungsprozesse durch erhöhte Blutzuckerwerte unterhalten [Pickup, 1998]. Die Behandlung des Diabetes mellitus beim älteren Patienten ist ein typisches Beispiel, wie wichtig es ist, dass besonders chronisch kranke Patienten multidisziplinär eingebunden werden müssen.
Gastritis und Parodontitis
Die verminderte basale und stimulierte Säuresekretion im Alter kann zu einer arthrotischen Gastritis führen. Im Alter nehmen die Durchblutung der Mucosa sowie die Sekretion von Prostaglandinen, Glutathion, Bikarbonat und Schleim ab. Auch bei gesunden alten Menschen ist die Magenschleimhaut deshalb weniger widerstandsfähig.
Der Keim Helicobacter pylori ist für einen großen Teil von entzündlichen Erkrankungen von Magen und Bulbus duodeni verantwortlich. Bei einem positiven Nachweis erfolgt eine Eradikationsbehandlung mittels zweier Antibiotika und einem Protonenpumpeninhibitor für sieben Tage. Nach einer erfolgreichen Eradikation kommt es aber in den darauf folgenden Jahren nicht selten zu Re-Infektionen. Wahrscheinlich besteht ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Re-Infektion und dem Zahnstatus. Sheu und Mitarbeiter beobachteten den Verlauf bei 359 Patienten, nachdem eine erfolgreiche Eradikationstherapie durchgeführt worden war. Bei Patienten mit einer Zahnerkrankung, insbesondere mit einer Parodontitis trat innerhalb des ersten Jahres bei 13,2 Prozent der Fälle eine Re-Infektion auf. Bei Patienten mit gesundem Gebiss trat diese aber nur in 3,5 Prozent der Fälle auf. Auch im zweiten und im dritten Jahr konnte ein deutlicher Unterschied beobachtet werden [Sheu, 2007].
Es bestand im gesamten Beobachtungszeitraum ein nahezu vierfach erhöhtes Rezidivrisiko. Zusätzlich muss bei dieser Studie aus geriatrischer Sicht bedacht werden, dass es sich im Durchschnitt um jüngere Patienten gehandelt hat. Unter Berücksichtigung des deutlich schlechteren Zahnstatus bei älteren Menschen, insbesondere bei denjenigen, die ihre Mundhygiene nicht mehr selbstständig durchführen können, ist die Re-Infektions-Wahrscheinlichkeit noch höher. Folgerichtig sollte bei jedem Patienten mit einer Helicobacter pylori assoziierten Gastritis auch der Zahnstatus kritisch überprüft werden, beziehungsweise vom Zahnarzt auch einmal anamnestisch bei entsprechenden Befunden nachgefragt werden.
Qualitätsgerichtete Gerontostomatologie
Die Voraussetzungen für eine qualifizierte und erfolgreiche gerontostomatologische Arbeit, gerade für den geriatrischen Patienten in der zahnärztlichen Praxis, ist seit Jahren definiert worden [Banger, 1995], aber sie werden bisher nicht flächendeckend umgesetzt (Tabelle 4).
Zusammenfassung
Routinemäßige zahnärztliche Aufgabe sollten besonders beim älteren, geriatrischen Patienten ernst genommen werden:
• Erläuterung und Hinweise zu Zahn- und Mundpflege einschließlich Zahnersatz
• Hygienevermittlung am Patienten, besonders an Familienmitgliedern oder Pflegepersonal in Krankenhäusern oder Heimen
• Hinweise an Patienten bezüglich der Notwendigkeit der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen auch auf dem Gebiet des Mundes und der Zähne.
Dr. med. Dag SchützProf. Dr. med. Ingo FüsgenLehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke3. Med. Klinik des Klinikverbundes KlinikenSt. Antonius und St. Josef WuppertalTönisheiderstraße 2442553 Velberte-mail:dag@schuetz-online.org