Im Zweifel für den Angeklagten
Nur in dringenden Fällen, beispielsweise bei Verdacht auf Verbreitung von Kinderpornografie oder Terroraktivitäten, soll auf die Anhörung verzichtet werden. Ausgelöst wurde die Diskussion um die Sperrklausel, weil sich die EU-Politiker nicht auf ein Vorgehen bei Urheberrechtsverletzungen einigen konnten. Zum Hintergrund: Das von der französischen Regierung im Kampf gegen Raubkopierer verabschiedete Gesetz stieß in Brüssel auf Protest.
Die Führung in Paris wollte Internetprovidern nämlich das Recht einräumen, mutmaßlichen Raubkopierern nach drei Verwarnungen den Internet-Hahn abzudrehen – mittlerweile wurde das Gesetz von den französischen Verfassungsrichtern gekippt.
Auch für viele europäische Politiker kam eine solche Regelung auf Bündnisebene nicht infrage: Sie beschneide die Rechte der Bürger zu stark. EU-Telekomkommissarin Viviane Reding lobte den jetzigen Beschluss deswegen als einen Sieg für Rechte und Freiheiten.
Trotzdem bleibt die Regelung ein Kompromiss. Viele EU-Politiker hatten dafür plädiert, dass für eine Sperrung ein richterlicher Beschluss vorgewiesen werden muss. Der Richtervorbehalt wurde aber nicht im Paket verankert, da er einen unzulässigen Eingriff in die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten dargestellt hätte. Auf nationaler Ebene bleibt die Einführung eines Richtervorbehalts aber möglich. Die Beschlüsse für die Reform des 300 Milliarden schweren Telekomsektors treten Anfang 2010 in Kraft. Danach haben die Mitgliedstaaten bis Mitte 2011 Zeit, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen.
Kampf den Raubkopierern
Die Grünen im Europaparlament haben bereits angekündigt, dass sie die Umsetzung der Regeln genau verfolgen werden. Würde sich zeigen, dass Regierungen die Ausnahmeklausel missbrauchten, „müssen die Demokraten vor Gericht ziehen“, sagte der belgische Grünen-Delegierte Philippe Lamberts. Auch der Europäische Verbraucherschutzbund (BEUC) will „ein Auge auf die Entwicklungen in allen Mitgliedstaaten haben“. Unter welchen Voraussetzungen Internetsperren erlaubt sind, war nur ein kleiner Teil des verhandelten Pakets. Mit dem Regelwerk will die EU die Entwicklung eines einheitlichen Telekommarkts vorantreiben. Insgesamt enthält es die Überarbeitung von fünf rechtlichen Richtlinien zur Telekommunikationsregulierung.
Verbraucher stärken
Unter anderem wurden die Verbraucherrechte von Telefon- und Mobilfunkkunden gestärkt. Sie sollen künftig innerhalb eines Tages den Anbieter wechseln und dabei ihre Telefonnummer mitnehmen können. Eine weitere Neuerung: Die Frequenzvergabe für mobile Breitbandnetze soll nach dem Willen der EU flexibler werden. Im Telekompaket wurde festgeschrieben, dass die durch die Umstellung auf digitales Fernsehen frei werdenden Frequenzen zur drahtlosen Internetversorgung genutzt werden können. Ziel ist es, ländliche Regionen mit leistungsfähigen Internetanschlüssen zu versorgen.
Geschaffen wurde das „Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“ (GEREK). Seine Mitglieder – Vertreter der 27 nationalen Telekomaufsichtsbehörden – können mit der EU-Kommission ein Veto gegen nationale Regulierungsentscheidungen einlegen. Letztlich entschieden wird jedoch auf nationaler Ebene.
Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net