Fortbildungsteil 2/2009

Zahnmedizinische Probleme bei alten Patienten

Durch den steigenden Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung werden ältere Menschen den Alltag in Zahnarztpraxen in den kommenden Jahren immer stärker prägen. Mit zunehmender Gebrechlichkeit der Betagten und Hochbetagten sollte sich die zahnmedizinische Behandlung in der Praxis in eine zahnmedizinische Betreuung wandeln, die teilweise auch außerhalb der Praxis stattfinden muss.

Die Seniorenzahnmedizin betreut nicht das Alter zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern begleitet einen kontinuierlich fortschreitenden Prozess, das Altern beziehungsweise das Älterwerden der Menschen. Unter Berücksichtigung der Lebenssituation und des Allgemeinzustands der Senioren weist die Seniorenzahnmedizin auf die interund multidisziplinären Zusammenhänge und Fragestellungen, die durch ein orales Wohlbefinden beeinflusst werden, intensiv hin.

Inanspruchnahmeverhalten

Es ist bekannt, dass mit zunehmendem Alter die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen steigt und dass auch der Zahnarztbesuch zunehmend nur noch unregelmäßiger, seltener oder gar nicht mehr erfolgt. 91 Prozent der über 70-Jährigen berichten, regelmäßig zum Arzt zu gehen. Die Zahl der Kontakte lag im Durchschnitt bei etwas mehr als sechs Besuchen pro Quartal [Linden et al., 1996]. Eine reduzierte allgemeine Gesundheit und die wachsende Multimorbidität sind Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen. So konsultieren ältere Menschen, die viel Zeit für Arztbesuche und viel Geld für Medikamente aufbringen, eher weniger den Zahnarzt [Kiyak und Reichmuth, 2005].

Als Risikogruppe für eine unzureichende Inanspruchnahme konnten Menschen mit folgenden Merkmalen identifiziert werden: Bonusheft nicht existent, keine eigenen natürlichen Zähne, eine niedrige Bildungsstufe, regelmäßige Zahnarztbesuche zur Vorsorge werden als nicht sehr wichtig eingestuft und männliches Geschlecht [Born et al., 2006].

Ambulant oder stationär betreute Senioren partizipieren nicht an der guten zahnmedizinischen Versorgungsstruktur in Deutschland. Lediglich 34,1 Prozent aller Pflegebedürftigen hatten einen Zahnarztbesuch in den letzten fünf Jahren [Knabe und Kram, 1997]. Dafür benötigten 62,7 Prozent der Pflegebedürftigen einen speziellen Krankentransport. 12,4 Prozent waren gar nicht transportfähig. Sie benötigten eine Behandlung in der Pflegeeinrichtung. Aber nur 23,4 Prozent der Pflegebedürftigen bekamen bereits jemals eine Behandlung in der Einrichtung, nur in 15,1 Prozent der Fälle war dies eine Routinekontrolle.

Die Autorengruppe konnte zeigen, dass von 242 stationär Pflegebedürftigen in Sachsen, Berlin und Nordrhein-Westfalen nur 18,6 Prozent ein zahnmedizinisches Bonusheft besaßen. Davon hatten jeweils 36 Prozent einen Anspruch auf einen Bonus von 20 Prozent oder 30 Prozent zum befundorientierten Festzuschuss. Die Zeitspanne zum letzten Zahnarztbesuch war bei diesen Pflegebedürftigen mit Bonusheft geringer, lediglich 18,6 Prozent der Bonusheftinhaber gaben an, den Zahnarzt länger als zwölf Monate nicht aufgesucht zu haben (stationäre Pflegebedürftige ohne Bonusheft ergaben 51,3 Prozent).

In unseren Praxen sollten wir unterschiedliche Verfahren mithilfe der Abrechnungsprogramme zur Verfügung haben, die uns – nach Alter und Wohnort geschichtet – ermöglichen, spezielle Risikopatienten aus unserem Patientengut herauszufiltern. Diese benötigen dann, besonders wenn es sich um Senioren handelt, eine ihrer Situation angepasste Ansprache durch das zahnmedizinische Team. Nitschke prägte den Begriff des „gerostomatologischen Wohlfühlfaktors“ einer zahnärztlichen Praxis. Dieser wird geprägt durch die Erreichbarkeit der Praxis, den Umgang des Praxisteams mit den Senioren und den Hilfsmitteln, die in der Praxis zur Verfügung stehen.

Erreichbarkeit einer seniorengerechten Praxis

Wer viel Umgang mit gebrechlichen Senioren (vierte Lebensphase) hat, kann nachvollziehen, dass nicht die zahnärztliche Behandlung an sich der Grund des Nichterscheinens ist, sondern der psychische und physische Aufwand, der betrieben werden muss, um die Praxis zu erreichen. Dabei können es für Gesunde kaum wahrzunehmende Hinderungsgründe sein, wie eine schlechte Busanbindung, ein einseitiges Treppengeländer, eine steile Treppe ohne Fahrstuhl oder die schlechte Beleuchtung des Weges, die es verhindern, dass sich der Betagte auf den Weg macht. Mit einem Arm in einem Dreieckstuch und einer Brille ausgerüstet, deren eines Glas mit Butterbrotpapier und das andere mit Klarsichtfolie abgedeckt ist, sollte der Zahnarzt einmal folgendes „Experiment“ wagen: von der Busstation oder dem Parkplatz in seine Praxis gelangen, durch die Praxis gehen, die Toilette aufsuchen und die Praxis wieder verlassen. Die Verantwortlichkeit des zahnmedizinischen Teams, das Senioren gern behandeln möchte, beginnt nicht erst hinter der Praxiseingangstür. Auch sollten gebrechliche Senioren einmal gefragt werden, wie ihnen der Besuch erleichtert werden könnte.

In einer seniorengerechten Praxis ist es sinnvoll, wenn alle Mitglieder des zahnmedizinischen Teams gezielt für die Besonderheiten im Umgang mit Senioren geschult sind und sich für ihre Praxis individuell auf diese sehr heterogene Patientengruppe einstellen.

Dabei sollte Folgendes thematisiert werden:

• konzentrationsfördernde Umgebung am Behandlungsstuhl oder im separaten Besprechungsraum• Transparenz der Behandlungstermine• kognitiv an den Senior angepasste Gesprächsführung• Berücksichtigung von Schwerhörigkeit und eingeschränkter Sehfähigkeit• an die Belange der Senioren angepasste Kommunikationsmittel, Broschüren und Flyer• Nutzung der Kommunikationsfähigkeit einer Mitarbeiterin, die besonders offen dem Altern gegenüber ist (zum Beispiel geduldig, ruhig)• klare, überschaubare Kostenvereinbarung mit dem zu erwartenden Patientenanteil auf einem eigenen Blatt• von Beginn an versuchen, offensichtliche und versteckte Entscheidungsträger wie Verwandte, andere Vertrauenspersonen oder Betreuer in den Therapieentscheidungsprozess einzubeziehen• Terminvergabe nach den Wünschen des Patienten und nicht nach der optimalen Praxisauslastung• Recall-Regelungen ausführlich auf- und abklären• Praxisspektrum intern vor der Nachfrage durch Patienten klären (wie Hausbesuche mit mobiler Ausrüstung, Betreuung eines Seniorenheims, Narkosemöglichkeit)• Aktualisierung der Anamnese bei jeder Befunderhebung• Aktualisierung der Daten zur ärztlichen Versorgung bei jeder Befundaufnahme

Hilfsmittel

Die Ausrüstung einer seniorengerechten Praxis hat viele Details, die hier nur angerissen werden können, die aber meist leicht in den Praxisalltag integrierbar sind. Folgende Hilfsmittel sollten vorhanden sein: konfektioniertes Hörgerät und konfektionierte Lesebrillen, Vakuumkissen, Zahnbänkchen, Kopfstütze für den Rollstuhl, Stirnlampe.

Zahnmedizinische Prävention

Gesunde Zähne – ein Leben lang, ist ein Motto, dem sich die Zahnärzteschaft verpflichtet fühlt. Dabei gilt es zum einen zu beachten, dass viele Senioren die zahnmedizinischen Prophylaxeangebote nicht kennen oder nicht richtig wahrnehmen können, da sie sich durch die Aufklärungsbroschüren nicht angesprochen fühlen. Jung, hübsch und gesund in Bild und Schrift, dargeboten durch ein junges Zahnarzt-Team, scheint für den gebrechlichen Älteren nicht ein Angebot für ihn und seine Altersgruppe zu sein. Zum anderen muss der Zugang in der Prophylaxesitzung anders gewählt werden als bei jungen Patienten. Wenn eine junge Prophylaxeassistentin dem älteren Herren, der jahrzehntelang seine Zähne geputzt hat, einen langen Vortrag zur Verbesserung seiner Reinigungsfähigkeiten hält, kann es zu Reibungsverlusten kommen, die unnötig sind. Dem Geschick sowie dem Wissen der Mitarbeiterin entsprechend und in Abhängigkeit von den kognitiven Fähigkeiten des Seniors wird eine Aufklärung oft sinnvoll sein. Manchmal ist auf eine intensive Instruktion und Motivation zu verzichten, da das Vorführen der eigenen Defizite den Senior in seiner allgemeinen sozialen Rückzugsstrategie bestärkt. Abgesehen von dem Verlust eines Patienten in der Praxis ist der Rückzug der älteren Menschen aus einem aktiven Alltag auch aus sozial-gesellschaftlichen Gründen nicht wünschenswert. Da regelmäßige Prophylaxeangebote oft nicht mehr wahrgenommen werden, weisen betagte und vor allem Hochbetagte, die der Zahnarzt dann meist erst nach einem medizinischen Ereignis wieder sieht (wie in einer Rehabilitationsklinik mit Zustand nach einem Schlaganfall) mitunter massiv desolate Gebisszustände auf. Prävention in der Praxis sollte regelmäßig in Abhängigkeit von der Mundhygienefähigkeit vier Mal im Jahr stattfinden. Einige Senioren haben die Vorteile eines gepflegten Mundes erkannt und nehmen von sich aus die präventiven Leistungen einmal monatlich in Anspruch. Praxen mit diesen motivierten Patienten verfügen in der Regel auch über einen hohen gerostomatologischen Wohlfühlfaktor.

Therapie

Multimorbidität, Multimedikation und Adaptationsfähigkeit

Ein älterer Patient mit einem guten Allgemeinzustand kann in der zahnärztlichen Praxis, ähnlich einem jungen Patienten viel zahnmedizinische Therapie erhalten. Patienten mit zunehmender Gebrechlichkeit sind schwieriger zu behandeln, da deren Voraussetzungen für eine sehr gute Therapiefähigkeit eingeschränkt sind. Auch scheint die Adaptationsfähigkeit an Zahnersatzerneuerungen oder -veränderungen oft eingeschränkt, wobei es heute kaum möglich ist, im Vorfeld die Adaptationsfähigkeit eines Patienten individuell und zuverlässig festzulegen. So ist gerade bei geriatrischen Patienten eine vorsichtige und zurückhaltende Planung im Bereich der Prothetik zu befürworten. Was ist ein geriatrischer Patient? Ein geriatrischer Patient hat mindestens zwei chronische Krankheitsdiagnosen, die behandlungsbedürftig sind und aus denen auch eine Pflegebedürftigkeit hervorgeht.

Die steigende Multimorbidität hat jedoch auch eine steigende Anzahl verordneter Medikamente zur Folge. Die Zahlen aus dem aktuellen Arzneimittel-Verordnungsreport zeigen, dass Menschen über 70 Jahre im Durchschnitt drei Arzneimittel pro Tag erhalten. Jeder Dritte dieser Altersgruppe bekommt fünf bis acht verschiedene Medikamente und ungefähr jeder Sechste sogar mehr als 13. Dazu kommen im Schnitt noch ein bis zwei nicht rezeptpflichtige Mittel [Glaeske et al., 2008]. Viele dieser Präparate besitzen auch zahnmedizinisch relevante Fernwirkungen im orofazialen System. Eine große Anzahl von Hinweisen zu unerwünschten Wirkungen in der Mundhöhle ist den Beipackzetteln zu entnehmen. Die vielen beschriebenen Nebenwirkungen halten die Senioren auch öfter davon ab, die Verordnung des Arztes umzusetzen. Die Nebenwirkungen reichen von Gingivahyperplasien unter Phenytoin-, Nifedipin- und Ciclosporineinnahme bis hin zu Mundtrockenheit zum Beispiel durch Beta-Blocker oder bei oralen Antidiabetika. Acetylsalicylsäure ist als Analgetikum kein Mittel der ersten Wahl, jedoch sollte darauf hingewiesen werden, dass ein synergistischer Effekt mit einigen Antidiabetika eine Hypoglykämie auslösen kann [Wahl, 1996].

Candida-Infektionen unter Steroidinhalationen stellen ein Problem bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung oder chronischem Asthma bronchiale dar, und der zunehmende Einsatz von Methotrexat in der Rheumatologie bedingt das häufigere Auftreten einer nekrotisch-ulzerösen Stomatitis.

Die Blutgerinnung durch Cumarin Derivate (Marcumar®, Falithrom®), Antagonisten des Vitamin K (Herabsetzung der Synthese der in der Leber gebildeten Blutgerinnungsfaktoren (II, VII, IX, X)), kann beeinflusst werden. Diese Präparate werden häufig in Zusammenhang mit einem erhöhten Thrombose- oder Embolierisiko verordnet. Die Thrombozytenaggregation kann durch Clopidogrel oder Acetylsalicylsäure beeinflusst werden. Diese werden häufig nach Stent-Operationen, aber auch bei Schlaganfällen verordnet. Auf keinen Fall ist das eigenständige Absetzen dieser Präparate durch den behandelnden Zahnarzt erlaubt, ohne vorher Rücksprache mit dem verordnenden Arzt genommen zu haben [Schmelzeisen, 2001].

Seit 2003 rückte verstärkt die Gruppe der Bisphosphonate in den Blickpunkt, diese sind in Deutschland unter anderem zur Therapie der Osteoporose, des Multiplen Myeloms oder der Tumor-assoziierten Hyperkalzämie zugelassen. In jüngster Zeit mehren sich Hinweise auf Bisphosphonat-assoziierte Knochennekrosen im Kieferbereich (BONJ – bisphosphonate-associated osteonecrosis of the jaw), die klinisch sehr den Symptomen einer Osteoradionekrose ähneln und sehr therapieresistent sind. Diese entstehen vor allem, wenn Bisphosphonate intravenös in hohen Dosen und über einen längeren Zeitraum verabreicht werden [Grötz und Kreusch, 2006].

Die hier aufgeführten Medikamente sollen lediglich eine exemplarische Auswahl darstellen und auf die Notwendigkeit der Anamnese hinweisen, die bei älteren Patienten mit jeder Befunderhebung aktualisiert werden sollte. Die aus der Medikamentenanamnese resultierenden Therapierichtlinien sind den aktuellen Stellungnahmen der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde zu entnehmen (www.dgzmk.de/Zahnaerzte/Wissenschaft-forschung/Stellungnahmen.html).

Partizipative Therapieentscheidung

Senioren sind über mehrere Jahrzehnte Experten für das eigene Leben, ihr Zahnarzt begegnet ihnen als ein Experte für Zahnmedizin. Diese beiden Experten sind sich jedoch nicht immer einig. Es ist sinnvoll, die Position des alten Patienten zu akzeptieren und seine Erfahrung in einer partizipativen Therapieentscheidung zu berücksichtigen. Rund zwei Drittel der Senioren bevorzugen, dass der Arzt vorrangig mit dem Patienten zusammen eine Entscheidung zur Therapie trifft. Knapp 30 Prozent möchten selber entscheiden, wobei die Entscheidung mit dem Arzt zusammen getroffen wird, und der Rest bevorzugt allein für sich über die Therapie zu entscheiden [Rosén et al., 2001]. Der Zahnarzt sollte anbieten, dass der Senior zum Auf- und Abklärungsgespräch eine ihm vertraute Person mitbringt. So kann der Vertraute, der mit dem Senior eine Entscheidung trifft, die zahnmedizinischen Gründe direkt und nicht mit Kommunikationsverlust über den Patienten erfahren und mit den direkt erhaltenen Informationen vom Zahnarzt die Entscheidungsfindung besser unterstützen. Ist ein gesetzlicher Betreuer vorhanden, muss er in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Bei der zahnmedizinischen Therapieentscheidung sollte besonders bei gebrechlichen Senioren vom Zahnarzt das Aufwand-Nutzen-Verhältnis beachtet werden. Hierbei ist nicht der finanzielle Aufwand gemeint, sondern der psychische und physische Aufwand, den ein älterer Patient auf sich nimmt, um die zahnärztliche Praxis zu erreichen (wie Transport organisieren durch ein Familienmitglied). Chronische Erkrankungen verschlechtern sich meistens, was vom Zahnarzt in seiner Therapieempfehlung zu berücksichtigen ist. Auf dem Weg zur partizipativen Therapieentscheidung kann es jedoch schwierig sein, dies zu kommunizieren, ohne dass der Zahnarzt durch die Konfrontation mit den zukünftigen Auswirkungen des Krankheitsbildes den Patienten unnötig belastet.

Vom festsitzenden zum abnehmbaren Zahnersatz

Durch die Präventionsleistungen in der Zahnmedizin verfügen immer mehr ältere Menschen über eigene Zähne. Teilweise sind sie bis ins hohe Alter mit den eigenen Zähnen und einem festsitzenden Zahnersatz versorgt. Sollte dann jedoch im hohen Alter, zum Beispiel dem neunten Lebensjahrzehnt, die Versorgung mit einem abnehmbaren Zahnersatz notwendig werden, ist die Adaptationsfähigkeit oft nicht ausreichend, um eine reibungslose Eingliederung zu gewährleisten. Es ist daher zu fordern, dass der Zahnarzt langfristig plant und abzuschätzen versucht, ob er den Patienten sein Leben lang wirklich ohne abnehmbaren Zahnersatz versorgen kann. Sollte dies nicht zutreffen, ist ein rechtzeitiges Umsteigen auf einen anfangs kleinen abnehmbaren Zahnersatz vorzuziehen, der dann nach Bedarf erweitert werden kann.

Tipps zur Zahnersatzgestaltung

Bei betagten und hochbetagten Patienten ist besonders darauf zu achten, dass der Zahnersatz stabil sowie solide gefertigt und leicht handhabbar ist. Dabei sollte mit dem Zahntechniker gezielt abgesprochen werden, wie die Prothesenaußenflächen hygienisch zu gestalten sind. Nötige Veränderungen am Zahnersatz, wie bei Verlust eines Zahnes, sollten einfach durchführbar sein. Teleskopierende Verankerungselemente haben sich hierbei sehr bewährt. Bei dementiell Erkrankten und bei Bewohnern von stationären Pflegeeinrichtungen kann es sinnvoll sein, den Namen in die Prothese einzuarbeiten. Dies kann bei der Neuanfertigung als auch im Rahmen einer Reparatur erfolgen. Bei den Demenzerkrankten ist es sinnvoll, ein einfaches Duplikat der Prothesen (Reserve-Duplikat) zu fertigen. Bei Verlust kann dann das Duplikat Hinweise geben, wie die prothetische Versorgung aussah. Neuanfertigungen sind mit einem Duplikat einfacher, als wenn der Zahnarzt bei den unkooperativen Patienten ohne jeglichen Anhaltspunkt tätig werden soll. Entsprechend der zahnmedizinischen funktionellen Kapazität (siehe zm 05/2009) ist ein zahnmedizinisches Betreuungskonzept entsprechend der Belastbarkeitsstufe für jeden Patienten aufzustellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei den geriatrischen Patienten der Belastbarkeitsstufe 4 (nicht mehr belastbar) ein nettes Gespräch für den Patienten oft hilfreicher ist als eine Veränderung am Zahnersatz, die er nicht mehr adaptieren kann oder die ihm sogar weh tut. Hier muss der Zahnarzt oft auch mit dem Kompromiss leben, dass er zahnärztlich hochwertiger arbeiten könnte, bei diesem geschwächten Patienten dies aber nicht möglich ist. Die Kompromisse sind manchmal für den Zahnarzt schwer zu schließen, da er die Vielfalt der prothetischen Möglichkeiten vor Augen hat und den hohen Standard der zahnmedizinischen Versorgung dem Patienten gern zugute kommen lassen möchte.

Die Behandlung von dementiell Erkrankten wird die Zahnärzte zukünftig immer mehr vor Probleme stellen. Im Rahmen einer oft notwendigen Grundsanierung wird eine Versorgung unter Vollnarkose oft nicht zu verhindern sein. Besteht in der Praxis nicht die Möglichkeit, eine Therapie unter Narkose durchzuführen, sollte der Zahnarzt ein Netzwerk zur Verfügung haben, damit er den Angehörigen den Weg zeigen kann, wo diese Behandlungsmöglichkeit verfügbar ist. Im Kontakt zu Hausärzten und Psychiatern sollte jeder Zahnarzt auch die Information weiterleiten, dass nach der Diagnosestellung Demenz, die Aufforderung durch den Arzt an den Patienten und seine Familie erfolgen sollte, den Zahnarzt aufzusuchen. Jede noch vorhandene Kooperation im Anfangsstadium der Erkrankung kann helfen, den Patienten noch auf einem hohen Standard durchzusanieren. Bei Fortschreiten der Erkrankung sollten dann nur regelmäßige Präventionssitzungen in kurzen Abständen erfolgen (Erhaltungstherapie). Wird der Demente erst Jahre nach der Diagnosestellung zum Zahnarzt gebracht, sind oft nur noch radikale Lösungen im Rahmen einer Narkose möglich.

Bei allen Therapieentscheidungen ist eine mangelnde bis fehlende Adaptationsfähigkeit abzuschätzen beziehungsweise einzuplanen. Neben den kognitiven Einschränkungen im Alter, ist bei der Therapieentscheidung auch besonders bei einer Zahnersatzversorgung darauf zu achten, dass der Zahnersatz einfach zu pflegen sowie zuverlässig durch den Patienten ein- und auszugliedern ist. Den Blick auf die Hände sollte der Zahnarzt nicht vergessen, so dass er die Art der Halteelemente richtig planen kann.

Zusammenfassung

Die Versorgung der sehr heterogenen Patientengruppe „Senioren“ erfordert über die Zahnmedizin hinaus viel Wissen zu den geriatrischen Krankheitsbildern und zu deren Einflüssen auf das stomatognathe System. Weiterhin sollte der gerostomatologisch tätige Zahnarzt sich und sein Team auf die Gebrechlichkeiten einlassen und mit Geduld den älteren Patienten gegenüberstehen. Es ist dabei aber auch anzumerken, dass es viele sehr nette und treue Patienten unter den Senioren gibt.

Christian BärProf. Dr. med. dent. habil. Thomas ReiberProf. Dr. med. dent. habil. Ina Nitschke, MPHPoliklinik für Zahnärztliche Prothetik undWerkstoffkundeUniversität LeipzigNürnberger Str. 57, 04103 Leipzigchristian.baer@medizin.uni-leipzig.de

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