Zahlenspiel mit Köpfchen
Ebenso vielfältig wie die Anlässe für eine Praxisbewertung sind die Herangehensweisen. Schätzer verwenden häufig Substanzwertverfahren sowie das Ärztekammer- und das Ertragswertverfahren. Welche Bewertungsgrundlage sich letztlich für die eigene Praxis am besten eignet, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Mehr als harte Zahlen
Wegen ihrer einfachen Handhabung sind Substanzwertverfahren bei Zahnärzten sehr beliebt. Zudem akzeptiert sie die deutsche Rechtsprechung. Ihr Ansatz ist rein vergangenheitsorientiert und bezieht sich auf einen Stichtag.
Es existieren zwei bekannte Varianten: die Umsatz- und die Gewinnmethode. Beide bestimmen den „Substanzwert“. Dieser besteht aus einer materiellen und einer immateriellen Komponente.
A) Materiell
Relativ einfach zu bestimmen ist der materielle Wert einer Praxis. Hierzu gehören:
• Praxiseinrichtung (Mobiliar)
• medizinisch-technischen Geräte
• EDV-Anlage mit Software
• bautechnische Ausstattung (Einbauten und Installationen)
• nicht verbrauchte Materialien (Vorräte).
Die Höhe setzt der Zahnarzt für jedes Wirtschaftsgut einzeln fest. Relevant: der Zeitwert – der Preis, der unter marktüblichen Bedingungen für ein gebrauchtes Gut zu erzielen wäre. Alter, Zustand und wirtschaftliche Nutzungsfähigkeit spielen somit eine Rolle.
Nicht gemeint ist der so genannte Rest-AfA-Wert. Dieser zeigt an, wie weit ein Niedergelassener Geräte und Möbel bereits steuerlich abgeschrieben hat. Die Anschaffungskosten werden dabei auf die Jahre der Nutzung verteilt. Ein Gerät, das laut Inventarverzeichnis komplett abgeschrieben ist, hat aber häufig noch einen Zeitwert. Andererseits zählt nicht alles, was noch nicht abgeschrieben ist, für den Nachfolger. Hat der bisherige Praxisinhaber etwa eine auf ihn zugeschnittene Broschüre entwickelt, nützt diese dem Käufer meist nichts mehr.
B) Immateriell
Als zweite Größe berechnet der Praxisinhaber bei diesen Verfahren den immateriellen Wert, auch „Goodwill“ genannt. Dieser stellt häufig den höchsten Posten dar. Er umfasst alle organisatorischen und personellen Beziehungen innerhalb des Teams und der Praxis zu ihren Patienten. Dieser Wert ist weitaus schwieriger zu bestimmen als der materielle: Ein nicht zu unterschätzender Anteil beruht auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patienten – und lässt sich nicht automatisch auf den Neuen übertragen.
Zudem setzt sich der Goodwill aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die sehr schwierig einzeln zu bewerten sind. Deshalb werden bestimmte Zahlen aus der Bilanz beziehungsweise der Einnahmenüberschussrechnung als Berechnungsgrundlage genommen. Daraus ergeben sich dann die beiden wesentlichen Verfahren, die Umsatz- und die Gewinnmethode.
Umsatz oder Gewinn – die Kernfrage
Der Umsatzmethode liegt der durchschnittliche Umsatz der letzen drei bis fünf Jahre zugrunde. Von diesem werden 25 Prozent angenommen (Beispiel 1). Dabei zählt der Bruttojahresumsatz – inklusive Labor. Jedoch muss der Schätzer diesen um ungewöhnliche und persönliche Umstände korrigieren. Notwendig ist dies, wenn ein Niedergelassener zum Beispiel Leistungen erbringt, die sein Nachfolger nicht oder nur sehr schwer weiterführen kann. Hierzu gehören Einkünfte aus einer Gutachtertätigkeit, Zinsbelastungen und Arbeitsverträge. Im nächsten Schritt kommen individuelle Praxisbesonderheiten als werterhöhende beziehungsweise -mindernde Faktoren hinzu. Gerade diese beeinflussen den ermittelten Goodwill durch entsprechende Zu- beziehungsweise Abschläge. Dabei ist jedoch eine genaue Analyse der Praxis und ihres aktuellen Leistungsspektrums notwendig. Diese zeigt Stärken und Schwächen sowie nicht ausgeschöpftes Potenzial.
Mögliche Faktoren sind:
• Leistungsspektrum, Spezialisierungen, Monopolstellungen
• spezielle zahnmedizinische Qualifikationen
• optischer Eindruck, Alter, Lage, Erreichbarkeit, Parkmöglichkeiten
• Ruf
• Zahnarztdichte im Einzugsbereich
• Umsatz, Kosten, Gewinn
• Patientenstruktur, Anteil von Kassen- und Privatpatienten, Alter, spezielle Zielgruppen
• Sprechstunden- und Arbeitszeiten
• Personalsituation, Qualifikationen, Vergütungen, Arbeitszeiten, Einsatzgebiete, Erziehungsurlaub
• Mietvertrag, Mietzins mit Nebenkosten, Restlaufzeit
• Praxisorganisation, Qualitätsmanagement, Rationalisierung der Arbeitsabläufe,
• nicht genutztes Potenzial.
Diese Punkte spielen auch bei der Gewinnmethode eine Rolle. Der Schätzer setzt bei diesem Substanzwertverfahren jedoch für den immateriellen Praxiswert beispielsweise 50 Prozent des ermittelten durchschnittlichen Gewinns an. Anschließend berücksichtigt er, inwieweit die einzelnen Faktoren den Wert mindern oder erhöhen.
Akzeptiert und kritisiert
Kritiker bemängeln bei den genannten Substanzwertverfahren, dass beiden willkürliche Prozentsätze zugrunde liegen. Sie vermissen ersichtliche Gründe, warum gerade 25 Prozent vom Gesamtumsatz beziehungsweise 50 Prozent vom Gewinn die richtigen und maßgeblichen Größen darstellen sollen. Doch letztlich haben sich die Erfahrungswerte über Jahrzehnte bewährt; Zahnärzte und Rechtsprechung akzeptieren sie.
Als problematisch schätzen einige Experten dabei auch ein, dass die meisten Zahnärzte ihren Praxisumsatz und -gewinn mit der Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln und so Umsätze und Kosten zeitlich verlagern können. Dies verändert das wirtschaftliche Erscheinungsbild der Praxis.
Um dieses Problem zu vermeiden, sollten Niedergelassene die Zahlen entsprechend korrigieren und einen ausreichend langen Betrachtungszeitraum wählen. Eine Zeitspanne von möglichst fünf Jahren gewährleistet zudem einen realistischeren Kaufpreis.
Er vermeidet, dass der verkaufende Zahnarzt das Leistungspotenzial der Praxis in den Jahren vor dem Verkauf extrem ausgeschöpft hat und der Käufer nur noch die weniger lukrativen zahnärztlichen Erhaltungsmaßnahmen erbringen kann.
Der häufigste Kritikpunkt ist jedoch, dass die Substanzwertermittlung rein vergangenheitsbezogen ist. Den Käufer interessiert jedoch, ob sich seine Investition in der Zukunft lohnt. Deshalb sollte auch das Potenzial der Praxis aufgezeigt werden.
Wer ein Zukunftsprocedere darstellen will, sollte beachten, dass Hochrechnungen von Umsatz und Gewinn in einem erheblichen Maße spekulativ sind. Ändert sich einer der zugrunde liegenden Faktoren, stimmt die ganze Rechnung nicht mehr. Bei einer Praxisübernahme ändert sich aber der wichtigste Faktor – der Behandler. Unsicher sind des Weiteren die künftige Konkurrenzsituation am Standort, die Sozialgesetzgebung und die allgemeine Wirtschaftslage.
Verbreitet ist außerdem die Ärztekammermethode. Sie basiert auf einer Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zur Bewertung von Arztpraxen aus dem Jahre 1987, die die BÄK nie offiziell verabschiedete. Sie basiert auf der Umsatzmethode, hinzu kommt ein „kalkulatorischer Arztlohn“ (siehe zmInfo-Kasten).
Das Verfahren ist umstritten: Grundsätzlich hat die BÄK dieses für Arztpraxen konzipiert. Auf Zahnärzte ist es nur bedingt übertragbar. Selbst bei vielen ärztlichen Fachgruppen führt diese Methode zu unrealistischen Ergebnissen.
Zudem hinterfragen Kritiker, ob überhaupt ein kalkulatorischer Arztlohn als Bewertungsfaktor anzusetzen ist. Denn dieser zählt zum Einkommen, der Praxiswert jedoch zur Vermögenssphäre. Wenn überhaupt, ist dieser Denkansatz nur in solchen Fällen interessant, in denen alles beim Alten bleiben soll. In diesem Fall wechselt weder der Chef, noch Partner oder Kollegen aus dem Team. Auch die Leistungsbereiche bleiben bestehen. Schätzen Zahnärzte den Wert etwa aus Anlass einer Scheidung, wollen sie ihre Praxis häufig unverändert weiterführen.
Auch die Höhe dieses Lohnes steht in der Kritik. Die Methode sieht das Jahresgehalt eines Oberarztes ohne Mehrarbeitsvergütung vor. Doch die Arbeit eines niedergelassenen Zahnarztes zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er zusätzlich zu den Behandlungszeiten mit Verwaltungsarbeiten, Fortbildungen und Ähnlichem belastet wird. Als selbständiger Freiberufler braucht er zudem ein Polster für Zeiten, in denen er wegen Urlaub oder Erkrankung ausfällt. Die Ärztekammermethode berücksichtigt diese Mehrarbeit und deren Vergütung nicht.
Wert der Zukunft
Der Ertragswert einer Praxis richtet sich an dem zukünftig erzielbaren Gewinn aus. Als Grundlage dieses Berechnungsverfahrens dient die Gewinnsituation in der Vergangenheit. Zugrunde liegt der Gedanke, dass der abgebende Zahnarzt auf die zukünftigen Praxisgewinne verzichtet und dafür vom Nachfolger die zu erwartenden Gewinne erhält. Dabei zählen die Beträge der nahen Zukunft mehr als die der fernen. Um zu berücksichtigen, welchen Wert ein in der Zukunft erwirtschafteter Gewinn zum Bewertungsstichtag hat, werden die künftigen Beträge „abgezinst“ (siehe Formel).
Vor allem Wirtschaftsprüfer diskutierten diese Methode. Deren Verein erstellte im Oktober 2005 seine Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen. Diese jedoch werden Zahnarztpraxen nicht gerecht und führen zu unrealistischen Zahlen. Um diesem Problem zu begegnen, wenden Gutachter häufig das Ertragswertverfahren entsprechend modifiziert an.
Im Gegensatz zu gewerblichen Unternehmen ist eine Zahnarztpraxis stark personengebunden. Dies wirkt sich auf den gewählten Goodwill-Zeitraum aus. Üblicherweise wählt der Praxisbewerter deshalb einen Abzinsungszeitraum zwischen zwei und fünf Jahren, abhängig von der Angebots- und Patientenstruktur. Je höher der Anteil an Privatpatienten und Privatleistungen ist, desto kürzer veranschlagt er den Goodwill-Zeitraum.
Das allgemeine Verfahren ermittelt den gesamten Praxiswert und unterscheidet nicht zwischen materiell und immateriell. Die modifizierte Version hingegen berücksichtigt den auf den Bewertungsstichtag abgezinsten Liquidationswert, den Übernahmewert der Praxiseinrichtung. Zudem zeigt eine Prüfung, inwieweit Ersatzinvestitionen anstehen beziehungsweise nötig sind, um den in der Vergangenheit erzielten Erfolg auch weiter erbringen zu können.
Dieser Investitionsbedarf ist bei neu errichteten Praxen entsprechend geringer als bei denen, die über mehrere Jahre nichts angeschafft haben und deren Substanz daher überaltert ist. Steht der Bedarf fest, folgt die Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen. Diese fließen dann in die Erfolgsprognose ein.
Ein kalkulatorischer (Zahn-)Arztlohn wird zudem vom Praxisgewinn abgezogen. Über dessen Höhe gibt es jedoch keine verbindlichen Angaben. Häufig setzen Gutachter deshalb ein Betrag an, den ein Inhaber für einen entsprechend qualifizierten Entlastungsassistenten bei vergleichbarer Tätigkeit zahlen müsste.
Um den Ansatz auf Zahnmediziner anwendbar zu machen, fließen häufig noch weitere Aspekte in das modifizierte Verfahren ein. Dazu gehören etwa das Leistungsspektrum der Praxis, die Preisgestaltung und der Aspekt der persönlichen Leistungserbringung.
Experten bemängeln auch, dass das Ertragswertverfahren auf in der Vergangenheit erzielten Gewinnen beruht. Zwar prognostiziert das Verfahren auch Umsätze, Kosten und Gewinne in der Zukunft, jedoch finden sich hierfür keine objektiv richtigen Ansätze. Gleiches gilt für den Goodwill-Zeitraum sowie die Kalkulationen für den Zinssatz, den Lohn und die Abschreibungen.
Komponenten für den Kaufpreis
Letztlich entscheidet der Niedergelassene, welche Bewertungsverfahren er bei seiner Praxis anwendet. Hilfestellung bieten Seminare, Materialien und Beratungsgespräche bei den Kammern und anderen (zum Teil kostenpflichtigen) Anbietern.
Auch übernehmen Sachverständige die Aufgabe, die für die entsprechende Praxis und den Anlass angemessene Methode zu finden. Bei der Entscheidung für oder gegen ein professionelles Gutachten sollte der Zahnarzt die Vor- und Nachteile abwägen.
Wer seine Praxis verkaufen will, sollte grundsätzlich Folgendes bedenken: Da eine allgemeingültige Bewertungsmethode nicht existiert, gibt es auch nicht „den“ Kaufpreis. Im Zweifelsfall ist der Praxiswert nichts anderes als das, was ein Käufer bereit ist zu bezahlen.
Dr. Sigrid Olbertz, MBAZahnärztinMittelstr. 11a45549 Sprockhövel-Haßlinghausen