Keine Revolutionen – aber wirkungsvolle Fortschritte für den Alltag
Aktuelle Schätzungen bestätigen es einmal mehr: In Deutschland dürften 2007/2008 über 600 000 künstliche Zahnwurzeln per annum gesetzt worden sein (Tendenz steigend – um etwa 10 bis 15 Prozent pro Jahr). Das liegt zu einem Großteil daran, dass sich die Patienten aktiver über Zeitungen, Zeitschriften und das Internet informieren. Das Ergebnis dieser Recherche lautet immer häufiger: „Ich möchte statt der traditionellen Brückenprothetik lieber ein Implantat.“ Speziell bei kleinen Arbeiten ist das zu beobachten. Damit ist der erste Schritt getan, und der Patient wird auch bei spärlichem Restgebiss eher auf implantatgestützte Lösungen drängen – bis hin zu weitspannigen Teleskopbrücken.
Im der Ästhetik neigt man dazu, nur noch die perfekte Rehabilitation zu akzeptieren – darum auch die ausgefeiltere Weichgewebschirurgie inklusive des sorgfältigen Aufbaus jeder einzelnen Papille im Zuge der implantologischen Versorgung. Dies gilt mindestens für den sichtbaren Bereich.
Patientenwünsche sind vielfältig
Indessen sind die Wünsche der Patienten durchaus vielfältig: Eine wachsende Minderheit entscheidet sich bewusst für hochwertige Versorgungen, bei denen finanzielle Aspekte eine sekundäre Rolle spielen. Auf der anderen Seite stehen Preiswert-Optionen, wobei die mittelwertigen Varianten tendenziell an Boden verlieren. Für den IDSBesucher heißt dies: beim Rundgang stets überlegen, was sich aus dem Bereich der Highend-Implantologie für die eigene Praxis eignen könnte – seien es nun Innovationen bei den Implantaten selbst oder bei diagnostischen Hilfsmitteln (wie digitale Röntgentechnologien), softwaregesteuerte Navigationshilfen für das vorausschauende Planen eines Eingriffs oder die richtigen Fortbildungsangebote.
Kieferkammentwicklung nach Zahnverlust
Der Grundstein zum Erfolg eines implantologischen Eingriffs wird bereits bei der Extraktion eines nicht erhaltungswürdigen Zahns gelegt. Das Ziel besteht grundsätzlich im Erhalt der biologischen Strukturen des Alveolarfortsatzes. Anders als in den Anfängen der Implantologie legt man heute großen Wert auf die Verwendung eines grazilen Skalpells zur Lösung des dentogingivalen Verschlusses, auf eine axiale Extraktion, auf die intraalveoläre Zahnentfernung unter Schonung der Alveolenwände und unter Verzicht auf eine Kompression der Alveole. Die Alveole wird sofort gedeckt und das Koagulum stabilisiert sowie eine primäre Versorgung des Defekts durchgeführt.
Neuartige Zahnzangen, die auf der IDS in Köln vorgestellt werden, ermöglichen ein atraumatisches Vorgehen während der Extraktion. Auch im Anschluss gilt es, die Alveole bestmöglich zu erhalten. Erschwert wird dies unter anderem dadurch, dass die Resorptionsvorgänge bukkal und lingual mit unterschiedlicher Intensität ablaufen. Hinzu kommt: Das Ausmaß ist beim dünnen und dicken Gingiva-Biotyp unterschiedlich.
Generell gehen die Meinungen auseinander, ob die Platzierung von Füllstoffen in der Alveole empfehlenswert ist. Insbesondere beim dünnen Biotyp kann diese Möglichkeit jedoch in Betracht gezogen werden, wobei in sehr kurzer Zeit neuer Knochen gewonnen werden muss. Aktuelle „bone collectors“, die bereits während der ohnehin notwendigen Osteotomie anfallende Knochensplitter sammeln, stellen dabei wichtige Bausteine des Erfolgs dar. Die zur Fixierung der Füllstoffe nötige Membran sowie die Knochenstifte zu ihrer Befestigung können heute aus bioresorbierbarem Material hergestellt werden. Das spart den Eingriff zu ihrer späteren Entfernung. Geeignete bioresorbierbare Membranen finden sich auf der IDS ebenso wie bioresorbierbare Knochennägel zu ihrer Fixierung.
Abgesehen von den optionalen Füllstoffen kommen beim Alveolenverschluss – je nach der Größe des Defekts – Kollagenmembranen, Kollagenschwämme sowie kleine Schleimhauttransplantate zum Einsatz. Eine Fülle von jeweils indikationsgerechten Lösungen präsentiert sich dem Messebesucher in Köln, so dass er für seine Praxis eine sinnvolle Auswahl treffen kann.
Experimentelle Hinweise legen nahe, dass die verwendeten Membranen auch als Trägermaterialien (sogenannte „Scaffolds“) für biologische Faktoren dienen können. Mit ihnen könnte sich die spätere Differenzierung der stets in Stammzellnischen im benachbarten Knochenmark vorhandenen adulten Stammzellen gezielt steuern lassen.
Die Navigation: auf Kurs von Anfang an
Für den weiteren Verlauf der Behandlung kann der Implantologe heute auf verschiedene softwaregestützte Navigationshilfen zurückgreifen. Sie bieten allerdings, wie auf der IDS zu sehen, unterschiedlich weit reichende Möglichkeiten. Einige können nach Vorgabe der Röntgenschablone, welche den prothetischen Plan enthält, durch Kombination computertomographischer Daten mit Gipsmodell-Laserscandaten zur Fertigung von stereolithographischen Bohrschablonen dienen.
Ein bei strenger Indikationsstellung nach wie vor empfehlenswertes Verfahren zu Beginn der Behandlung stellt die mechanische Osseodistraktion dar, und hier speziell die vertikale Alveolarfortsatzdistraktion. Auf diese Weise erreicht man eine Knocheninduktion allein durch Dehnung – der menschliche Körper hilft sozusagen von selbst mit. Der Operateur steht hier klassischerweise vor dem Problem, den Alveolarfortsatz in die richtige Richtung zu distrahieren.
Die beim vorstehend beschriebenen Verfahren erfolgende Distraktionsosteogenese könnte sich in Zukunft durch den Einsatz von Scaffolds verbessern lassen. Diese könnten Faktoren enthalten, welche die Knochenbildung stimulieren („bone morphogenetic proteins“).
Die Sinusbodenelevation und Alternativen dazu
Ein ausreichendes Knochenangebot im Oberkieferseitenzahnbereich muss in einer Reihe von Patientenfällen zunächst erst geschaffen werden, damit die Implantate festen Halt finden. Klassischerweise wird dann ein Sinuslift durchgeführt. Interessant sind auch die Alternativen: So lassen sich zum Beispiel unter Verzicht auf die Sinusbodenelevation mehrere extrem kurze Implantate einbringen, oder es werden neuartige Spezialimplantate im 45-Grad-Winkel schräg eingesetzt. Ein zukunftsträchtiges Verfahren könnte auch die Ballonpräparation darstellen. Hier haben sich die deutschen Industrieunternehmen mit ihrem Instrumentarium in der Spitzengruppe etabliert: schonendes Vorgehen, weitreichender Schutz der Sinusmembran, Kombination mit Hohlzylinderosteotomien zwecks Gewinnung von autologem Knochenmaterial. Es lässt sich bei der späteren Auffüllung größerer Knochendefekte auch in Kombination mit pastenförmigem Knochenersatzmaterial in die Kieferhöhle einbringen. Als geeignet erweisen sich zudem synthetische Werkstoffe, die einfach aus der Spritze appliziert werden, unter Kontakt mit Blut beziehungsweise Speichel aushärten und so einen stabilen oder resorbierbaren Knochenersatz bilden.
Im Rahmen eines Sinuslifts ist der Einsatz von Stammzellen realistisch (auf Scaffolds, in oder mit Knochenersatzmaterialien). Dazu wird man bevorzugt adulte mesenchymale Stammzellen aus dem Stroma des Knochenmarks (kurz: BMSC) oder Stammzellen aus leicht zu gewinnenden Geweben (Fettgewebe, Zähne und mehr) heranziehen. In Kombination mit Wachstumsfaktoren lässt sich ihre Differenzierung steuern und so die Osteogenese beschleunigen. Eine Alternative dazu bietet eventuell der Einsatz von Knochenersatzmaterial in Kombination mit BMSCs und mit blutplättchenreichem Plasma (PRP).
Liegt Knochen vom dicken Biotyp vor, kann sich eine Sofortimplantation als möglich erweisen – für den Patienten zunächst eine deutliche Erleichterung, weil Behandlungstermine wegfallen. Allerdings darf der langfristige Erfolg nicht gefährdet sein, was eine besonders scharfe Indikationsstellung erfordert.
Ästhetik ohne Kompromisse
Neben einer ebenso schonenden wie schnellen Behandlung fordert so mancher Patient ausdrücklich Ästhetik vom Feinsten. Bei einem atrophischen Kiefer stellt dies den behandelnden Zahnarzt und den Zahntechniker naturgemäß vor eine große Herausforderung. Insbesondere die Papillen werden oft erst im Zuge der prothetischen Behandlung wieder hergestellt („rosa Keramik“). Um noch näher an die „Natur“ heranzukommen, kann zunächst ein Knochenaufbau durchgeführt werden. Autologer Knochen ist dabei stets erste Wahl, bei größeren Defekten sogar Pflicht. Später lässt sich zur Auffüllung des Weichgewebes eine Kollagenmembran unter die Gingiva einbringen. In Spezialfällen lässt sich die Papille unter Verwendung eines exakt eingebrachten Parabolimplantats stabilisieren.
Vor einem speziellen Problem steht der Implantologe ziemlich regelmäßig: Ein extrahierter 4er ist zu ersetzen, doch der Interproximalraum zwischen dem Eckzahn und den hinteren Prämolaren lässt nur wenig Raum. Die Lösung naht nun von zwei Seiten: miniaturisierte klassische Implantate, zuweilen auch als Ein-Stück-Ausführung, und große Mini-Implantate. Auf der IDS lassen sich die genauen Indikationen und ihre Grenzen in Fachgesprächen ausloten.
Die „weißen Implantate“, die idealerweise die Voraussetzung für gänzlich metallfreien Zahnersatz „vom Keller bis zum Dachgeschoss“ schaffen sollen, haben sich inzwischen eine Nische erobert. Für die Zukunft wird es – das sei an dieser Stelle deutlich gesagt – darauf ankommen, die Indikationsstellung streng zu beachten und auf einen ausreichend breiten Kiefer und ein ausreichend langes Keramikimplantat Wert zu legen.
Regenerative Zahnmedizin durch Stammzellen
Die oben verschiedentlich erwähnten Wachstumsfaktoren (wie bone morphogenetic proteins, BMPs), mesenchymalen Stammzellen aus dem Stroma des Knochenmarks und mehr kündigen den Eintritt biologischer Verfahren in die Zahnheilkunde an. Die „nachwachsenden Dritten“ liegen zweifellos in weiter Ferne, doch nahe liegt die Unterstützung des Implantologen durch die verstärkte oder schnellere Bildung von Knochenzellen oder auch von Parodontalligament.
Ein aktueller Trend besteht in der Generierung größerer Scaffolds, die in ihrer dreidimensionalen Geometrie zum Beispiel auf vorhandene Knochendefekte ausgelegt werden. Eine Formgebung durch Rapid Prototyping lässt sich in Bioreaktoren durchführen. Freilich ist damit noch nicht das Problem der späteren Blutversorgung gelöst.
Die BMSCs (Knochenstammzelltechnologie) steht zurzeit kurz vor ihrem klinischen Einsatz. Die Beschichtung von Implantatoberflächen mit sogenannten „smart scaffolds“, die Wachstumsfaktoren, Schmelzmatrixproteine oder eben auch Stammzellen zur Verfügung stellen, wird in Zukunft zu einer beschleunigten und sichereren, vielleicht auch zu einer „naturnäheren“ Integration in die vorhandenen oralen Gewebestrukturen beitragen.
Fortbildung: die Grundlage für alles
Neben der Hardware (Implantate, Instrumente und sonstige Materialien) kommt es verstärkt auf das richtige Know-how an. Während in früheren Jahren viele Kollegen bereits eigene Erfahrungen in der Implantologie gesammelt hatten und erst später mit einer geeigneten Fortbildung die erworbenen Fähigkeiten offiziell bestätigt bekamen, suchen nun verstärkt junge Zahnärzte einen systematischen Einstieg in dieses Tätigkeitsfeld – oft direkt nach dem Examen. Die implantologischen Gesellschaften stellen sich darauf ein. So hat etwa die DGZI ihr „Curriculum Implantologie“ neu strukturiert. Unter anderem werden Alterszahnheilkunde, Piezo-Techniken, Laserbehandlungen oder auch besondere prothetische Themen als Spezialgebiete innerhalb der Implantologie verstanden und im Rahmen der Fortbildung als solche aufgegriffen. So lohnt sich gerade für Einsteiger beim Gang über die IDS nicht zuletzt ein Besuch bei den Ständen der implantologischen Gesellschaft, um für sich selbst, eventuell zusammen mit dem Zahntechniker, den besten Startpunkt zu finden.
Christian EhrensbergerZum Gipelhof 860594 Frankfurt am Main