Zusatzbeiträge

Die Wechsel-Welle rollt an

Lange haben die gesetzlichen Krankenkassen gezögert. Dann kam der Dammbruch: Zum 1. Februar haben etliche Kassen einen Zusatzbeitrag von mindestens acht Euro erhoben. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) rief die gesetzlich Versicherten jetzt zum Kassenwechsel auf. Über 6 000 Mitglieder sind dem Rat des Ministers binnen einer Woche gefolgt – Tendenz steigend.

Wie die Zeitung „Die Welt“ berichtet, ist nach einer Umfrage der Rating-Agentur Assekurata fast ein Drittel der Versicherten zu einem Kassenwechsel bereit, wenn der monatliche Zusatzbeitrag bei acht Euro oder höher liegt. Tatsächlich sind bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) bereits 5 300 Mitglieder ausgetreten, berichtet die „Bild-Zeitung“. Bei der Deutschen BKK seien es rund 1 000 Versicherte. Beide Kassen haben zum 1. Februar einen Zusatzbeitrag von acht Euro erhoben. Andere, wie etwa die BKK Westfalen-Lippe, kündigten einen pauschalen Zusatzbeitrag von zwölf Euro im Monat an. Einige Versicherer schöpfen die vom Gesetz erlaubte Höchstgrenze von 37,50 Euro pro Monat aus: Die BKK für Heilberufe und die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK) wollen den maximalen Zusatzbeitrag sogar rückwirkend zum 1. Januar beschließen. „Wir machen die Ein-Prozent- Regelung, weil das sozial gerechter ist, als von allen Versicherten acht Euro pauschal zu nehmen“, sagte GBK-Vorstandschef Helmut Wasserfuhr.

50 Kassen erhöhen nicht

Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ haben etwa 50 der 169 gesetzlichen Kassen bislang erklärt, im Jahr 2010 keine Zusatzbeiträge zu erheben – nur zehn wollen eine Prämie von bis zu 180 Euro ausschütten.

Zu den Fakten: Laut Gesetz (§ 242 SGB V) können die Kassen Zusatzbeiträge erheben, wenn sie nicht mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds auskommen. Danach darf der Zusatzbeitrag maximal ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens ausmachen, das bei 3 750 Euro gedeckelt ist. Wer weniger verdient, muss entsprechend weniger zahlen. Ein Beispiel: Wenn ein Student über ein monatliches Einkommen von 500 Euro verfügt, zahlt er fünf Euro Zusatzbeitrag. Bei einer Pauschale von maximal acht Euro pro Versichertem müssen die Kassen keine Einkommensprüfung erheben. Es wird angenommen, dass die meisten Kassen versuchen werden, diesen Betrag möglichst nicht zu überschreiten, um Verwaltungskosten zu sparen. Der Zusatzbeitrag ist von den Mitgliedern allein zu tragen und muss unmittelbar eingezogen werden.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hält die spontane Einführung von Zusatzbeiträgen für rechtswidrig: „Eine Krankenkasse muss ihre Mitglieder spätestens einen Monat, bevor der erste Beitrag fällig wird, auf die Erhöhung hinweisen. Die Informationspolitik der Kassen ist nicht akzeptabel“, so Aigner im Interview mit der „Rheinischen Post“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich verärgert über die Erhebung der Zusatzbeiträge. Nach einem Bericht des „Handelsblatts“ erklärte sie, man werde sich genau anschauen was die Kassen machen. Merkel äußerte sich auch kritisch gegenüber den Vorschlägen von Rösler in Bezug auf die Einführung einer Kopfpauschale. Merkel verwies auf die ab dem Jahr 2010 geltende Schuldenbremse. „Dann soll Herr Rösler mal sehen, wie er das haushaltsneutral hinbekommt“, wurde die Kanzlerin zitiert.

Beschluss von 2006

Fest steht: Zusatzbeiträge sind ein Bestandteil des Gesundheitsfonds. Und der wurde per Gesetz im Jahr 2006 von der großen Koalition beschlossen.

Rösler nahm in einem Brief an die Abgeordneten von Union und FDP die Kassen in die Pflicht, weitere Zusatzbeiträge zu vermeiden. Er erwarte von den gesetzlichen Krankenkassen mehr Anstrengungen, die Ausgaben zu beschränken. „Das gilt auch im Hinblick auf die Verwaltungskosten”, so der Minister. „Ich gehe zudem davon aus, dass in einer schwierigen finanziellen Situation auch Rücklagen eingesetzt werden, um eine steigende Belastung der Versicherten zu vermeiden.” Nach Angaben des Gesundheitsministeriums verfügen die Kassen über knapp fünf Milliarden Euro an Rücklagen – jedoch unterschiedlich verteilt. Die Versicherten rief Rösler zum Kassenwechsel auf. „Jetzt schon haben genügend Krankenkassen angekündigt, in diesem Jahr keinen Zusatzbeitrag zu nehmen. Also lohnt sich ein solcher Wechsel in jedem Fall“, sagte er in Berlin.

Die Beitragserhebungen werden derzeit auch durch das Bundeskartellamt geprüft. Ein Sprecher der Behörde in Bonn sagte: „Wir sehen uns das sehr genau an.“ Es lägen mehrere Beschwerden von Verbrauchern vor, die nun geprüft würden. Das Bundesfinanzministerium habe laut Zeitungsberichten bestätigt, dass die Beiträge genauso wie die normalen Kassenbeiträge als Sonderausgabe steuerlich absetzbar seien. Problematisch dabei: Profitieren könnten nur Bürger mit hohem Steueraufkommen. Versicherte mit geringen Einkommen sowie Hartz-IVEmpfänger müssten dagegen den vollen Betrag allein aufbringen. Laut Zeitungsberichten werde der Bund eventuell die Zusatzbeiträge für Hartz IV-Empfänger übernehmen. Nach Schätzungen des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn müsse der Bund bei einer Übernahme der Zusatzbeiträge mit Mehrausgaben von rund 300 Millionen Euro im Jahr rechnen. Die Kassen schieben den schwarzen Peter indes zurück in Richtung Politik. Birgit Fischer, Vorstandsvorsitzende der größten deutschen Kasse Barmer GEK bemängelte im Gespräch mit der Tageszeitung „Neues Deutschland“, dass augenblicklich der Eindruck entstehe, die Erhebung sei eine Entscheidung der Krankenkassen. Dem sei aber nicht so. Fischer: „Man lässt die Versicherten in die Situation hineinlaufen, hält die Krankenkassen unter Druck und forciert gleichzeitig ein neues Finanzierungssystem als Lösung, die Kopfpauschale“. Aus Sicht von Fischer sei das Stimmungsmache auf Kosten der Patienten.

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