Ende der eminenzbasierten Medizin
„Die Mitglieder des Stiftungsrates und des Vorstandes würdigen die geleistete Aufbauarbeit und die bisherige Ausrichtung des Instituts positiv“, heißt es in der Erklärung zum Fall Sawicki. Die konsequente Fortsetzung der unabhängigen und kritischen Arbeit sei auch in Zukunft absolut unverzichtbar, um über die Weiterentwicklung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung zu entscheiden.
Hauptsache unabhängig
Der Stiftungsrat besteht also auch in Zukunft auf einem unabhängigen Chef – und entkräftet damit den Vorwurf, sich des als Querkopf bekannten Institutsleiters auf elegante Art und Weise entledigen zu wollen. Denn fest steht: Einfach war es mit Sawicki nie.
Zwar ist seine fachliche Qualifikation unumstritten. Ebenso seine kritische Haltung gegenüber der Pharmalobby. Weshalb es auch nicht verwundert, dass sich mehr als 600 Ärzte bei Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) für die im August anstehende Wiederwahl eingesetzt hatten. Umgekehrt war Sawicki jedoch nicht nur der Pharmaindustrie, sondern auch Teilen der Politik ein Dorn im Auge, weil zu schwierig. Die Entscheidung, seinen Arbeitsvertrag nicht zu verlängern, war von jeglicher Klientelpolitik indes unberührt, betont der KZBV-Vorsitzende Jürgen Fedderwitz, der in dem Stiftungsrat zurzeit den Vorsitz führt. Freilich wollte die schwarz-gelbe Regierung von Anfang an die Arbeit des IQWiG „unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patienten, Leistungserbringer und Hersteller verbessern“, wie es wörtlich im Koalitionsvertrag heißt. Doch hat das BMG als zuständiges Ministerium dort nur eine Stimme. Der Rest des Gremiums besteht bekanntlich aus Leistungserbringern und Kassenvertretern. Am Ende fiel dennoch die Entscheidung für einen personellen Wechsel. Einstimmig.
Im Brennpunkt der Kritik stand vor allem die Arbeitsweise des Instituts. Anstatt sich an internationalen Standards zu orientieren, legte Sawicki nämlich eine eigene Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung von neuen Arzneimitteln vor. Ein Verfahren, so der zentrale Vorwurf der Gesundheitsökonomen, das überhaupt nicht dem State of the Art entspricht. Und das vor allem keine indikationsübergreifende Bewertung ermöglicht. Was im Klartext bedeutet: Der G-BA konnte anhand der IQWiG-Studien die Arzneien untereinander gar nicht vergleichen – und damit beispielsweise nicht beurteilen, ob das neue Medikament einen Zusatznutzen über das eigentliche Anwendungsgebiet hinaus besitzt. Die vom IQWiG verfochtene „Effizienzgrenze“ – ein modifiziertes Modell aus der Finanzwirtschaft – ist nämlich nur partiell auf eine Krankheit beschränkt.
Blicken wir zurück: Vor sechs Jahren wurde das IQWiG unter der Leitung Sawickis gegründet. Mit dem Ziel, die Vor- und Nachteile medizinischer Therapien, insbesondere aber die Wirksamkeit von Arzneimitteln fachlich unabhängig eruieren – im Auftrag des BMG und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem obersten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Fällt ein Medikament bei der Prüfung durch, wird es in der Regel nicht in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen – was für den Pharmahersteller Verluste in Millionenhöhe nach sich zieht.
Der Publikationsbias
Bestes Beispiel: Das Urteil des IQWiG zu kurzwirksamen Insulinanaloga. Sie seien keinen Deut besser als herkömmliches Human - insulin. Während die Pharmaindustrie die Präparate als bahnbrechende Innovation vermarktete, kam das Institut auf Basis einer umfassenden Studie zu dem Schluss, die vermeintlichen Neuerungen seien möglicherweise sogar krebserregend. Ein Ergebnis, dass von der Fachwissenschaft übrigens bisher nicht bestätigt wurde. Oder Reboxetin, ein Wirkstoff, mit dem in Deutschland jahrelang Depressionen behandelt wurden. Ohne Nutzen, so das IQWiG. Keine gute Nachricht für Hersteller Pfizer.
Das IQWiG fordert zudem eine „EU-weite gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung der Ergebnisse kritischer Studien“ – bezogen auch auf bereits zugelassene Medikamente. Denn positive Studienergebnisse werden demnach häufiger veröffentlicht als negative – ein Publikationsbias mit fatalen Folgen. Neben einem Überoptimismus gegenüber der Wirksamkeit neuer Therapien bis hin zur Ignoranz potenzieller Nebenwirkungen, besteht laut IQWiG außerdem die Gefahr, dass Wissenschaftler ganze Studien unnötigerweise wiederholen und dadurch unwissentlich Probanden gefährden.
Verhängnis Rasenmäher
Hehre Prinzipien. Gegen die Sawicki nun selbst verstoßen hat. Falsch abgerechnete Dienstreisen, Quittungen für Rasenmäherbenzin soll er als Tankbeleg für seine Arbeitsfahrten eingereicht haben, Businessclass statt Holzklasse. Wie hoch der Schaden ist, darüber streiten die Prüfer noch. Die Zahlen schwanken zwischen 13 000 und über 40 000 Euro. Sawicki dementiert, doch die Belege sprechen augenscheinlich für sich. 2008 kam er schon einmal ins Gerede, weil er seiner Ehefrau, Gesellschafterin des Instituts für evidenzbasierte Medizin (DleM), Aufträge zugeschanzt haben soll. Wie es mit dem IQWiG ab September weitergeht? Im Interesse aller mit einem kritischen Kopf, einem, der die Pharmalobby nicht hofiert. In jedem Fall ohne Peter Sawicki.