Neue Regeln – alte Probleme
„Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzung von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“ – hinter diesem Bandwurm-Namen verbergen sich die neuen Vorschriften für Bankberater im Umgang mit ihren Kunden. Sie müssen die Beratungsgespräche nach strengen Vorgaben protokollieren. Nach der Beratung setzt der Bankberater seine Unterschrift darunter und überreicht seinem Kunden ein Exemplar. Dieses Dokument sollte der Sparer gut aufbewahren, denn es dient als Grundlage für eine mögliche spätere Klage wegen Falschberatung. Dazu blieben dem Betroffenen vor dem ersten Januar nur drei Jahre Zeit – gerechnet ab dem Datum des Kaufs.
Nach der neuen Regelung läuft die Dreijahresfrist erst ab dem Tag, an dem der Kunde die Falschberatung feststellt. Insgesamt bleiben ihm jetzt zehn Jahre Zeit, um die Auswirkungen seiner damaligen Entscheidung zu beobachten und die Klage einzureichen.
Im Zweifel: nicht unterschreiben
Am Ende des Gesprächs unterschreibt der Berater das Protokoll. Er händigt es dem Kunden noch vor Abschluss eines Vertrages aus. Erwartet wird, dass der Kunde ebenfalls seine Unterschrift leistet. Doch damit sollte er sich ausreichend Zeit lassen und den Inhalt des Schriftstücks genau prüfen. Stimmen alle Angaben? Stimmt vor allem die Einordnung in die richtige Risikoklasse? Hat der Kunde das Produkt, das der Berater für ihn ausgewählt hat, genau verstanden? Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) in Berlin, hat eine skeptische Meinung dazu: „Mein Rat ist: Nicht unterschreiben.“ Sie geht davon aus, dass viele Kunden die Angaben im Protokoll letztendlich nicht in Gänze richtig einschätzen können: „Der normale Anleger ist, auch wenn er sich vorab gut informiert und auf das Gespräch vorbereitet, dem Anlageberater unterlegen.“ Auch wenn Anleger meist nicht auf Augenhöhe mit ihrem Bankberater sind, rät sie trotzdem jedem Anleger dazu, sich so gut wie möglich auf dieses Gespräch vorzubereiten. Vor allem sollte er wissen, wie viel Geld er für welche Anlageziele einsetzen will und wie viel er im schlimmsten Fall als Verlust verschmerzen kann.
Mit der Unterschrift des Kunden unter dem Protokoll stärken die Banken ihre Position gegenüber dem Kunden. Gedacht war das Schriftstück aber als Handhabe des Kunden, die er im Streitfall mit der Bank als Beweis einsetzen kann. Zwar führte der Verkäufer auch schon vor der neuen Regelung häufig ein Beratungsprotokoll. Den Inhalt aber bestimmte der Verkäufer. Er konnte ihn auch später noch ändern. Jetzt kann der Kunde ein Exemplar mit nach Hause nehmen. Doch auf die Qualität der Beratung hat auch die neue Regelung keinen Einfluss. Nach Ansicht vieler Fachleute kann der Verkäufer den Gesprächsverlauf und somit auch den Inhalt des Protokolls geschickt steuern. Zwar sollen die Verkäufer angeben, wann ihre eigenen Interessen in Konflikt mit dem Anliegen des Kunden geraten. Doch ob hierbei Ehrlichkeit am längsten währt, darauf kann der Kunde nur hoffen.
Problem der Definition einer Beratung
Die Frage ist auch, ab wann überhaupt ein Beratungsgespräch zustande kommt. Geht es um Produkte, die nicht als Wertpapiere gelten wie zum Beispiel Bausparverträge, Anteile an geschlossenen oder Private Equity Fonds, gilt die Protokollpflicht nicht. Entlassen aus der Pflicht ist die Bank auch dann, wenn der Kunde unterschreibt, dass er auf ein Protokoll verzichtet, beziehungsweise auf eigenen Wunsch hin ein bestimmtes Produkt erwerben will. Abgesehen davon, kommt die Vorschrift bereits dann zum Zuge, wenn ein Kunde sich in der Bank nach einem bestimmten Produkt erkundigt. Findet das Gespräch am Telefon statt, muss auch dann ein Protokoll erstellt werden. Das Papier schickt der Bankberater ihm unterschrieben nach Hause. Das Geschäft kann er auch telefonisch abschließen, wenn die Zeit drängt und er durch längeres Warten vielleicht eine Chance verpasst. Stellt er aber später bei der Prüfung des Protokolls fest, dass Gespräch und Dokumentation nicht überein stimmen, bleiben ihm noch acht Tage, um von dem Vertrag zurückzutreten.
Die Protokollpflicht besteht aber nicht nur für Banken und Sparkassen. Auch freie Vermittler unterliegen dieser Vorschrift, sobald sie Wertpapiere verkaufen. Befreit davon sind allerdings freie Fondsvermittler, die ausschließlich Fonds vertreiben. Hier weist das Wertpapierhandelsgesetz eine Lücke auf. Die Lobby der Fondsgesellschaften hat anscheinend gut gearbeitet.
Grundsätzlich soll das neue Gesetz die Position des Kunden gegenüber dem Verkäufer stärken. Doch Verbraucherschützerin Dorothea Mohn sieht Verbesserungsbedarf: „Es muss klare Ausfüllvorgaben für den Berater geben. Auch die Risikoeinschätzung muss einheitlich definiert werden.“ Bislang können die Geldhäuser die Protokollformulare selbst gestalten. Sie müssen zwar die oben genannten Vorgaben beachten. Doch die Formulierung liegt in ihrer Hand. Ebenso kann jeder Berater die Rubriken nach Gutdünken ausfüllen. Problematisch ist auch, dass die Einstufung der Risikofreudigkeit der Kunden bislang uneinheitlich ist. So findet der konservative, sehr sicherheitsbewusste Anleger bei einigen Instituten gar nicht statt. In den meisten Fällen aber gibt es fünf Risikoklassen von sicherheitsorientiert bis chancenorientiert.
Kunde muss falsche Beratung nachweisen
Die Verbraucherschützer jedenfalls wollen nicht klein beigeben. Sie setzen darauf, dass sie Verbraucherministerin Ilse Aigner überzeugen können und es noch in diesem Jahr zu Verbesserungen kommen wird. Dafür reicht die Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Nicht durchsetzen konnte sich der VZBV mit seinem Vorschlag, die Beweislast im Anlegerschutz umzudrehen. Nach wie vor muss der Kunde den Beweis für eine Falschberatung erbringen, für ihn meistens ein schwieriges und oft unmögliches Unterfangen. Inwieweit das Protokoll bei einer späteren Klage tatsächlich als Beweis dienen wird, muss sich erst noch zeigen. Der VZBV jedenfalls geht davon aus, dass die Protokolle kaum angreifbar sein werden.
Ganz so düster beurteilt der auf Kapitalrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Schirp aus Berlin die Situation der Verbraucher nicht: „Das Protokoll an sich halten wir für richtig. Das Wichtigste ist, dass der Kunde seine Risikoeinstufung überprüft. Das empfohlene Produkt muss dazu passen. Tut es das nicht, kann der Kunde klagen.“
Einig ist er sich mit Mohn darüber, dass eine Klassifizierung der Produkte nach Risiken die richtige Wahl der Produkte erleichtern würde. Doch schon die Vielfalt und die Kompliziertheit allein der Zertifikate verurteilt dieses Unterfangen wohl zum Scheitern. Der so genannte Finanz-TÜV bleibt wohl ein Traum. Denn Schätzungen zufolge kreisen rund 800 000 verschiedene Finanzprodukte auf dem deutschen Markt, allein 350 000 davon sind Zertifikate. Eine komplette Kontrolle scheint also unmöglich. Doch aufgeklärte Anleger, die sich informieren, fragen bis sie alles wissen, und wenn sie sich nicht einschüchtern lassen, erziehen sie sich ihre Berater selbst.
Berater sitzen oft zwischen den Stühlen
Deren Qualifikation und Bereitschaft zu einer guten Beratung im Sinne der Kunden liegen Anwalt Schirp auch am Herzen. Er sieht den Kern der Problematik weniger im Verhältnis zwischen Berater und Kunde als vielmehr in den Strukturen der Geldhäuser: „Um die Qualität der Beratung entscheidend zu verbessern, muss sich an der Befehlskette in den Banken etwas ändern. Wir haben Frau Aigner empfohlen, an dieser Stelle einzugreifen.“ Gemeint ist damit der Druck, unter dem die Berater stehen, wenn sie ihre wöchentlichen oder täglichen Verkaufsvorgaben bekommen. Der Filialleiter sagt, wie viel von welchem Produkt an den Kunden gebracht werden muss. Folge: Der Berater sitzt im Gespräch mit dem Kunden meistens zwischen zwei Stühlen. Im Zweifel weiß auch er, dass er einem Rentner kein Lehman-Zertifikat verkaufen dürfte. Doch gleichzeitig denkt er an seine eigene Position – häufig genug hat der Kunde das Nachsehen, wenn er sich nicht wehrt.
Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de