Gesundheitspolitik mit gemischter Bilanz
Schlechte Ernährung, mangelnde Bewegung, Nikotin- und Alkoholmissbrauch – die Liste der gesundheitlichen Laster der EU-Bürger ist lang; die Folgen wie Übergewicht, Krebs und chronische Erkrankungen sind bekannt. Auch infektiöse Erreger wie das HI-Virus, Grippeviren oder Tuberkulosebakterien setzen immer mehr Europäern zu.
Die Europäische Kommission hat sich daher dazu verpflichtet, die Gesundheit der 450 Millionen EU-Bürger gezielt zu fördern und zu schützen. Zwischen 2003 und 2013 beispielsweise fließen insgesamt etwa 675 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt in Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, darunter in Initiativen für eine gesündere Ernährung und für den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol und Nikotin. Auf einer 2006 eingerichteten Internetseite (http://ec.europa.eu/health-eu/index_en.htm) finden interessierte Bürger in 22 Sprachen Antworten auf zahlreiche Fragen zu verschiedenen Krankheitsbildern, zu Ansteckungswegen sowie zu einem gesunden Lebensstil und zu aktuellen Aktivitäten der EU in Sachen Gesundheit.
Darüber hinaus hat die EU eine europaweite interdisziplinäre Plattform gegen Fettleibigkeit ins Leben gerufen. Eine europäische Plattform gegen Krebs ist in Vorbereitung. EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou, die die Abteilung für Gesundheitsfragen und Verbraucherschutz der EU-Kommission seit April 2008 leitet, hat ferner den grenzüberschreitenden Austausch über Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten von Alzheimer und die EU-weite Einrichtung von Screening-Programmen für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs angestoßen. Entsprechend positiv fällt die Bilanz der aus Zypern stammenden Politikerin, die ihr Amt im Februar nächsten Jahres abgibt, aus: „Wir haben in zahlreichen Bereichen den Weg für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit geebnet“, so die Kommissarin. Als aktuellstes Beispiel führt sie die EU-weite Reaktion auf den Ausbruch der Neuen Grippe mit dem A/H1N1-Virus an.
Parlamentarier zeigen sich verhalten
Bei Europaabgeordneten fallen die Reaktionen auf die von der EU-Kommission angestoßenen Aktivitäten im Gesundheitsbereich hingegen eher gemischt aus. Zwar bescheinigen sie der scheidenden Gesundheitskommissarin im Vergleich zu ihrem eher hemdsärmlig auftretenden Vorgänger, dem Zyprioten Markos Kyprianou, unisono große Sachkenntnis und ein verbindliches Auftreten. Auch begrüßt beispielsweise der gesundheitspolitische Sprecher der christlich-konservativen Fraktion im Europaparlament, Peter Liese, dass es der EU unter Vassiliou gelungen sei, das Prinzip der unentgeltlichen Organspende EU-weit verbindlich festzuschreiben.
Das übergeordnete Ziel der europäischen Gesundheitspolitik, die gesundheitlichen Ungleichheiten in der EU auszuräumen und allen EU-Bürgern gleichermaßen Zugang zu gesundheitlichen Leistungen zu ermöglichen, hält Liese hingegen für reichlich ambitioniert. „Das ist bei den wirtschaftlichen Unterschieden der EU-Staaten überhaupt nicht zu gewährleisten“, so der CDU-Politiker.
Mehr Realitätsnähe gefordert
Die Gesundheitsexpertin der SPD im Europaparlament, Dagmar Roth-Behrendt, wünscht sich ebenfalls mehr Realitätsnähe und größere Praktikabilität. „Viele Maßnahmen sind vom Ansatz her nicht falsch. Aber wenn daraus keine verpflichtenden Konsequenzen für die Mitgliedstaaten erwachsen, wie bei der Plattform für Ernährung und gesunde Bewegung, dann enden solche Maßnahmen im Nirwana der Geschichte.“
Der CDU-Europaabgeordnete Thomas Ulmer drückt es deutlicher aus: „Das Aktionsprogramm beinhaltet eine Menge Unsinn.“ Als Beispiel nennt er das Schulobstprogramm. Probleme bereitet Ulmer zudem der offensichtliche Hang der Kommission, im Gesundheitssektor Informations-, Dokumentations- und Berichtpflichten einzuführen. Dies ist zum Beispiel in dem zurzeit auf Eis gelegten Richtlinienentwurf zu den Rechten von Patienten bei Auslandsbehandlungen der Fall. „Der Datenschutz muss in diesem Bereich grundsätzlich Priorität haben“, betont der CDU-Mann.
Kritisch sieht Ulmer auch die unter Vassiliou angestoßene Diskussion über die Zukunft der Gesundheitsberufe. Ulmer moniert zum einen, dass die nationalen Gegebenheiten für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen derart unterschiedlich seien, dass es hier wenig Einflussmöglichkeiten für die EU gäbe. Zum anderen gelte es, die Freiberuflichkeit zu schützen.
Petra SpielbergChristian-Gau-Str. 2450933 Köln