Bambus im Sturm
Philipp Rösler hat es auch auf dem Deutschen Ärztetag wieder geschafft, Hoffnung auf bessere Zeiten zu machen. Mit dem Prinzip Hoffnung als einzigem Therapieansatz dürfte der Bundesgesundheitsminister seinen Vertrauensvorschuss aber bald verspielen, meint FAZ-Berlin-Korrespondent Andreas Mihm.
Der Minister macht gute Miene zum bösen Spiel. Zwei Tage nach der desaströsen Wahlniederlage für Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen soll er auf dem 113. Deutschen Ärztetag die Grundzüge seiner Gesundheitspolitik erklären. Dabei sieht es gerade so aus, als hätten die Wähler ihm den Boden für seine ambitionierte Reformpolitik schwups unter den Füßen weggezogen. Schon frohlockt der gesundheitspolitische Vordenker der SPD, Karl Lauterbach, ob der neu gewonnenen Vetomacht der Länderkammer, die Gesundheitsprämie sei „tot“. So weit wollen die Ärzte nicht gehen. Doch spricht der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler aus, was viele denken: „Ich fürchte, das wird für Herrn Rösler nicht einfacher.“
Was allerdings nicht für den ersten Auftritt des Ministers vor dem Ärztetag in der Dresdner Semperoper gilt. Es gibt freundlichen Applaus, zwar nicht überbordend, aber immerhin. Dabei hat Rösler, der eine Krisensitzung des Bundeskabinetts zur Stützung des Euro mit neuen dreistelligen Milliardenhilfen schwänzt, gesundheitspolitisch wenig Neues und so gut wie nichts Konkretes im Gepäck.
Statt dessen produziert er Artigkeiten und Schmeicheleien, wie die Eingangsbemerkung, schon als Student habe er sich „immer gewünscht“, mal auf einen Ärztetag zu kommen, oder der im Namen der Regierung überbrachte Dank für gute Arbeit der Ärzte oder der Verweis auf „eines der besten Gesundheitssysteme der Welt“. Rösler sagt in Dresden viel Wohlfeiles, was die Ärzte schon lange beklagen: dass ihre Therapiefreiheit begrenzt wird, dass sie in Dokumentationspflichten und Bürokratie untergehen, dass die „Kontrollwut“ der Institutionen sie einschränkt, dass die Krankenhäuser den Arbeitsalltag der Ärzte besser organisieren müssen, dass der Zugang zum Medizinstudium neu geregelt werden soll, dass Bachelor- und Master-Abschlüsse an medizinischen Fakultäten nichts zu suchen haben. Er wolle wegkommen „vom anonymen Sachleistungsprinzip“, sagt Rösler. Das hatte gerade auch die KBV beschlossen. Aber wie er die von den Ärzten vielfach verlangte Kostenerstattung auf den Weg bringen will, behält der Minister für sich. Immerhin ist die Kostenerstattung ein liberales Uranliegen.
Entschieden nebulös sind auch seine Ankündigungen zur Finanzreform. Er begründet die Notwendigkeit der Gesundheitsprämie mit steuerfinanziertem Sozialausgleich trefflich damit, dass Finanztransfers über das Steuersystem abgewickelt werden müssen, weil dort alle nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung herangezogen werden. Am Tag zuvor hatte die Bundeskanzlerin allerdings Steuersenkungen aus Geldmangel bis 2013 abgesagt. Woher Rösler nun die Mittel für den steuerfinanzierten Sozialausgleich nehmen will, lässt er offen. Umso entschiedener will er dagegen den „ersten Schritt schnellstmöglich tun“. Denn eine gute Reform habe auch bei geänderten Mehrheitsverhältnissen eine Chance. „Der Bambus wiegt sich im Wind, aber er bricht nicht“, macht der Minister sich und den auf Änderungen wartenden Ärzten Mut.
Kein Wort verliert er zur ärztlichen Problembaustelle „Reform der Gebührenordnung“, die Megathemen Selektivverträge und Zukunft des KV-Systems werden allenfalls gestreift. Immerhin sagt er, niemand solle glauben, dass es mehr Geld gebe.
Dennoch überrascht nicht, dass der Applaus warm ausfällt, die Rösler-Rede auf dem Ärztetag verständnisvoll kommentiert wird. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, macht das eindrücklich klar: Seit dem Regierungswechsel müsse man „nicht mehr kämpfen, um uns Gehör zu verschaffen“. Nun sitze jemand „mit einem offenen Ohr für die tatsächlichen Probleme im Gesundheitswesen“ auf dem Ministersessel. Rösler hat in der Ärzteschaft einen hohen Kredit. Doch auch dieser Vertrauensvorschuss kann verspielt werden. Doktor Rösler hat den Medizinern in Dresden Hoffnung verordnet – mehr aber auch nicht. Als Therapie wird das langfristig nicht ausreichen.
Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.
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