Deutschland ist keine Insel
Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,
es hätte weder des CDU/FDP-Fiaskos der NRW-Wahlen noch des Auftritts des Bundesgesundheitsministers auf dem Deutschen Ärztetag in Dresden bedurft, um diese Botschaft nach Außen zu tragen: Es ist kein Geld da, in der nationalen Haushaltskasse herrscht absolute Ebbe.
Was Philipp Rösler zur Zeit jenseits seiner Versicherung, der Koalitionsvertrag gelte nach wie vor, in all seinem Reden zu verstehen gibt, heißt – positiv umschrieben – Ressourcenausschöpfung. Vereinzelt warnen realistischere Gemüter schon wieder vor dem altbekannten sozialen Schreckgespenst namens Kostendämpfung.
Und einmal Hand aufs Herz: Wer hätte das angesichts weltwirtschaftlicher Lage und insbesondere des europäischen Finanz - problems Griechenland anders erwartet? Aber trotz aller muskelspielenden Beteuerungsversuche Frankreichs, den Euro zu retten: Wenn es um die Finanzierung ihres Gesundheitswesens und Sozialgefüges geht, entspricht eher das „Rien ne va plus“ der Erwartungshaltung der Deutschen. Wer Philipp Rösler in den letzten Wochen aufmerksam zugehört hat, der weiß, wie heftig der Wind aus dieser Richtung weht.
Mag sein, dass der Minister seine großen Pläne nicht aufgegeben hat, dass er für die Gesundheitsprämie ebenso seine Vorschläge verteidigen wird wie für die Umsetzung anderer Reformpositionen – auch die der Zahnärzteschaft. Mag sein, dass die Umverteilungsvorschläge für einzelne Wege neue Möglichkeiten schaffen, dass einige Wenige durchaus Verwertbares aus dem Gesamtpaket für sich herausholen können. Aber jeder wird hart darum kämpfen müssen, von der immer kleiner werdenden Torte genug für sich abzubekommen.
Wie auch immer dieser erneute Verteilungskampf des Mangels in Deutschland ausgehen mag: Vernunft ist gerade in schwierigen Situationen kein schlechter Ratgeber. Bei allen Versuchen, (zahn-)medizinische Qualität für Deutschlands Patienten zu erhalten, allen die bekannte Versorgung auf dem erreichten hohen Niveau zu stabilisieren, keinem den Zugang zum (zahn-)medizinischen Fortschritt zu versperren, muss der Gesetzgeber wissen: Gesetze und Verordnungen dürfen nicht Strukturen zerstören, die wir dringend brauchen.
Beispiel Patientenschutz: So die Regierung darüber nachdenkt, die Situation der Gesundheitsversorgung für den Bürger zu verbessern, gilt es, die richtigen Wege einzuschlagen. Ein Patientenschutzgesetz darf angesichts schon heute überbordender Bürokratie keine noch drastischere Einengung der Handlungsfreiheit von Ärzten und Zahnärzten schaffen. Unter den gegebenen Umständen muss klar sein: Den Patienten schützt, was dem Prozess von Diagnostik, Therapie und Heilung nützt. Hier gilt es, bestehende Patientenrechte zu sichern, ohne das Direktverhältnis zwischen (Zahn-)Arzt und Patient zu stören. Weitere Regulierungen können da mehr Schaden als Vorteile bewirken.
Näher läge es zu schauen, welche Passformen Europa vorgibt: Brüssel bestimmt mehr und mehr das, was sich zwischen Patienten und Ärzten künftig abspielen wird. Trotz des immer wieder waltenden ökonomischen Blickes auf das nationale Geschehen muss der deutschen Politik klar werden, dass die EU ihren Rechtsrahmen bereits so gesteckt hat, dass der Patient im Mittelpunkt stehen muss. Dazu bedarf es – neben den bereits bestehenden Bestimmungen – eigentlich keiner nationalen Alleingänge mehr.
Genau deshalb hat die Bundeszahnärztekammer auch in diesem Jahr mit ihrem Europatag ein explizites Forum geschaffen, das den vergleichenden Blick über den Tellerrand eingeengten nationalen Denkens öffnen soll. Dorthin, wo auf europäischer Ebene bereits manches eingestielt ist, was national unreflektierte Alleingänge, wenn nicht unmöglich macht, so doch grundsätzlich in Frage stellt.
Eigentlich lassen die Erkenntnisse jüngerer Zeit kaum noch andere Schlüsse zu: Niemand ist eine Insel, weder ökonomisch noch versorgungspolitisch. Das gilt auch für uns Deutsche.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer