Diese Nebenwirkungen wurden 2009 gemeldet
Christoph Schindler, Wilhelm KirchDie Entdeckung und Bewertung seltener unerwünschter Wirkungen von Arzneimitteln (UAW) ist oft erst nach der Zulassung eines Medikaments – wenn ausreichend Anwendungserfahrung vorliegt – möglich. Es ist daher notwendig, Einzelberichte zu Verdachtsfällen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Wechselwirkungen, die im Zusammenhang mit der Anwendung in der klinischen Praxis bekannt werden, von zentraler Stelle systematisch zu erfassen und auszuwerten. Für den zahnärztlichen Bereich ist dafür die Arzneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer (AKZ) zuständig.
Seit 1995 schwankt die Anzahl der von Zahnärzten bundesweit gemeldeten Nebenwirkungen zwischen minimal 37 (1995) und maximal 158 (2005) Meldungen. Im Jahr 2009 gingen bei der AKZ insgesamt 114 Meldungen meist von niedergelassenen Zahnärzten ein. Nach wie vor ist der Anteil der von Zahnärzten in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs) sehr gering: Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn wurden im Vergleich dazu alleine im Zeitraum 1.1.2009 bis 30.9.2009 insgesamt 34 170 Berichte über UAWs registriert. Die Endauswertung des BfArM für das gesamte Jahr 2009 liegt noch nicht vor.
Die AKZ weist an dieser Stelle nochmals darauf hin, dass insbesondere unerwartete UAWs, UAWs zu neuen Arzneimitteln sowie klinisch besonders schwere Verläufe gemeldet werden sollten. Hierzu ist lediglich das Absenden des im Internet unterwww.bzaek.de/za-inneu.aspzum Download bereitstehenden Formulars zur Meldung von UAWs an die AKZ erforderlich. Zu vermerken sind unbedingt der Handelsname sowie der Wirkstoff und die angewendete Dosis des verdächtigten Präparats und die Dauer der Anwendung sowie in Stichworten die beobachtete unerwünschte Symptomatik des Patienten. Ebenfalls anzugeben sind der Name und die Praxisadresse als Absender. Der Meldebogen ist so ausgelegt, dass der für den Zahnarzt erforderliche Zeitaufwand für das Ausfüllen des Formulars 3,5 Minuten nicht überschreiten sollte. Es besteht zusätzlich die Möglichkeit, den individuellen gemeldeten Fall unabhängig durch die AKZ bewerten zu lassen.
Der vorliegende Beitrag fasst die Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen des Jahres 2009 zusammen:
Nach dem sogenannten Stufenplanverfahren sind die Arzneimittelkommissionen der Heilberufe – so auch die Zahnärzte der BZÄK und der KZBV – aufgerufen, Nebenwirkungsmeldungen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weiterzuleiten, um so eine Risikominimierung beziehungsweise ein Höchstmaß an Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Insbesondere seltene UAWs von Arzneimitteln werden meist erst im Zeitraum nach der Zulassung in der Phase IV der Arzneimittelentwicklung – der sogenannten Post Marketing Surveillance – durch Auswertung und Überwachung von Spontanmeldungen verschreibender Ärzte erfasst. Im Rahmen dieser Anforderungen bietet die Arzneimittelkommission der BZÄK und der KZBV seit Langem allen Zahnärzten in Klinik und Praxis einen fachspezifischen Beratungsdienst über das Institut für Klinische Pharmakologie der Technischen Universität Dresden an, der auch die Sammlung und die Auswertung aller bundesweit von Zahnärzten gemeldeten UAWs beinhaltet. Wie bereits in den Vorjahren geschehen, wird im folgenden eine Zusammenstellung aller im Jahr 2009 an die AKZ-BZÄK/KZBV von zumeist niedergelassenen Zahnärzten gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen in Form einer kurzen Übersicht gegeben.
Nebenwirkungsvergleich 1995 bis 2009
Im Jahr 2009 gingen insgesamt 114 Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen ein. Die Gesamtanzahl an UAW-Meldungen ist somit im Vergleich zu 117 Meldungen im Jahr 2008 und 118 Meldungen im Jahr 2007 in etwa gleich geblieben. Teilweise wurden als mögliche Ursachen der beobachteten Nebenwirkung mehrere Arzneimittel in einer Meldung angegeben. Betrachtet man den Zeitraum der letzten Jahre von 1995 bis 2009, so werden jährlich von Zahnärzten durchschnittlich nur 90 Meldungen zu UAWs abgegeben (Abbildung 1). Der Trend ist in den letzten Jahren steigend.
Der Anteil der Meldungen zu unerwünschten Wirkungen von Antibiotika liegt 2009 mit 53 Prozent in etwa auf Vorjahresniveau. Am häufigsten werden nach wie vor unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu Clindamycin (n = 44; 57 Prozent), gefolgt von Amoxicillin (n = 23; 30 Prozent, Kombinationspräparate mit Clavulansäure mitgezählt) gemeldet. Mit deutlichem Abstand folgt Metronidazol (n = 8; 10 Prozent). Bezüglich der berichteten Beschwerden überwiegen vor allem gastrointestinale Beschwerden und allergische Hautreaktionen. Mit insgesamt 44 Meldungen ist das Präparat Clindamycin erneut Spitzenreiter der zahnärztlichen UAW-Statistik im Bereich Antibiotika, wobei die Anzahl der Meldungen zu Clindamycin im vergangenen Jahr rückläufig war. Clindamycin wird vor allem aufgrund seiner guten Knochengängigkeit gerne in der Zahnmedizin eingesetzt. Bei Einnahme mit reichlich Flüssigkeit und nicht auf nüchternen Magen kann das gastrointestinale Verträglichkeitsprofil deutlich verbessert werden. Bei Auftreten von Diarrhoen kann die Symptomatik durch die zusätzliche Gabe von Präparaten wie Perenterol® meist deutlich abgemildert werden. Dieses Präparat enthält als Wirkstoff medizinische Hefen, die dazu beitragen die physiologische und für eine geregelte Darmtätigkeit erforderliche bakterielle Darmflora während und auch nach einer antibiotischen Behandlung schnell wieder aufzubauen. Auch eine prophylaktische Verordnung zusammen mit der Antibiose kann insbesondere bei gastrointestinal empfindlichen Patienten sinnvoll sein.
Die Anzahl der Meldungen zu Analgetika ist seit dem Jahr 2005 kontinuierlich rückläufig auf einen Anteil von 6 Prozent im Jahr 2007, nachdem in den Vorjahren ein leichter aber kontinuierlicher Anstieg bis auf 13 Prozent im Jahr 2005 verzeichnet worden war. Im Jahr 2008 und 2009 bezogen sich nur jeweils 8 Prozent der Gesamtmeldungen auf Analgetika (Abbildung 2). Hauptsächlich werden UAWs des bereits gut bekannten Nebenwirkungsspektrums peripherer Analgetika auf den Magen-Darm-Trakt gemeldet sowie allergische Reaktionen, die sich an Haut und Schleimhäuten manifestieren. Insbesondere bei Kombinationspräparaten, die neben ASS und Paracetamol zusätzlich noch das zentralwirksame Analgetikum Codein enthalten, werden auch Schwindel und Ohnmacht beschrieben.
In der Gruppe der Lokalanästhetika wurden auch 2009 wie bereits schon in den Vorjahren vor allem Meldungen zu Articain (n = 19), meist in Kombination mit dem Vasokonstringens Epinephrin registriert, was auf die breite Anwendung des Präparats zurückzuführen ist (Tabelle 1). Am häufigsten werden allergische Symptome sowie meist leichte und intermittierend auftretende Kreislaufreaktionen beschrieben. Auffällig ist jedoch der 2008 bereits beobachtete Trend, dass zunehmend auch unerwünschte zentralnervöse Wirkungen wie Bewusstseinsstörungen, Benommenheit, Angst, Unruhe, Ohnmacht, Schwindelgefühl und eine vegetative Dysregulation gemeldet werden. Diese können mit der Gabe von Lokalanästhetika in Zusammenhang stehen und sprechen am ehesten für einen Dosis-abhängigen, zentralnervös-toxischen Effekt des Präparats, der oftmals auf eine unbemerkte akzidentelle intravasale Applikation beziehungsweise auf eine erhöhte Resorptionsgeschwindigkeit des Lokalanästhetikums zurückzuführen ist. Auch bei absolut korrekter Injektionstechnik nach Aspiration und Dosierung im therapeutischen Bereich können in sehr seltenen Fällen solche Komplikationen auftreten und sind auch schon mehrfach in ähnlicher Form an die AKZ berichtet worden. Möglicherweise reagieren bestimmte prädisponierte Patienten auch auf die Gabe therapeutischer Dosierungen von Articain empfindlicher und schneller mit Schwindelgefühl. Zentralnervöse Effekte
nach Lokalanästhetikaapplikation sind Dosis-
abhängig: Zunächst kommt es zu exzitatorischen zentralen Symptomen wie Erregung, Unruhe, Schwindel, akustischen und visuellen Störungen, perioralem Kribbeln, verwaschener Sprache, Übelkeit, Erbrechen, Zittern und Muskelzuckungen als Vorzeichen eines drohenden Krampfanfalls. Empfehlenswert ist, bei einem erneuten zahnärztlichen Eingriff bei betroffenen Patienten die zu applizierende Gesamtdosis niedriger zu wählen.
Im Vergleich zum Vorjahr mit 28 Prozent war der Anteil der Meldungen in der Gruppe „Sonstige“ im Jahr 2009 wieder leicht rückläufig auf 21 Prozent. In dieser inhomogenen Gruppe sind Präparate enthalten, die primär meist nicht vom Zahnarzt verordnet wurden (Tabelle 1). Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass eine vom Zahnarzt beobachtete unerwünschte Arzneimittelwirkung nicht immer eindeutig dem vom Zahnarzt applizierten Präparat zuzuordnen ist und daher die vom Haus- oder Facharzt verschriebene Medikation ebenfalls gemeldet wird. Die unter Amlodipin und Olanzapin gemeldeten unerwünschten Wirkungen „Agitation, wirres Reden und albernes Lachen“ können zum Beispiel zwar mit der Gabe des atypischen Neuroleptikums Olanzapin in Zusammenhang stehen, nicht jedoch mit der Gabe des Calciumantagonisten Amlodipin. In der Übersicht aller gemeldeten Wirkstoffe erscheinen dennoch immer alle gemeldeten UAWs zu allen gemeldeten Wirkstoffen, da – anders als im Fall von Olanzapin und Amlodipin – oftmals eine eindeutige kausale Zuordnung nicht möglich ist. Es ist daher völlig richtig, im Falle einer beobachteten UAW immer alle zum fraglichen Zeitpunkt vom Patienten eingenommenen Arzneimittel an die AKZ zu melden, was deren Erwähnung in der Statistik (Tabelle 1) erklärt.
Organbezogenheit der Nebenwirkungen
Auch 2009 manifestierten sich mit 33 Prozent die meisten gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen an Haut und Schleimhäuten (im Vergleich zu 35 Prozent im Jahr 2008 und 41 Prozent in 2007) meist in Form allergischer Exantheme, sowie mit 26 Prozent im Gastrointestinaltrakt (21 Prozent im Jahr 2008 und 19 Prozent im Jahr 2007) in Form von Übelkeit und Diarrhoe (Abbildung 3). Gravierende oder gar lebensbedrohliche Ereignisse vonseiten derHaut und Schleimhäutewie zum Beispiel Erythrodermie oder Lyell-Syndrom wurden nicht registriert. Allergisch bedingte Hautreaktionen sind insbesondere bei der Applikation von Antibiotika (hier vor allem Clindamycin und Amoxicillin) zu beachten, werden aber auch nach Gabe von Metronidazol gesehen. Eine akute anaphylaktische Reaktion mit protrahiertem Verlauf wurde nach Applikation von Moxifloxacin berichtet. In allen gemeldeten Fällen kam es nach Absetzen des auslösenden Präparats zu einer restitutio ad integrum. Beeinträchtigungen des Gastrointestinaltrakts wurden hauptsächlich im Zusammenhang mit Antibiotikatherapie und hier insbesondere unter Behandlung mit Clindamycin, aber häufig auch nach Gabe von Amoxicillin beobachtet. Diese waren zumeist leicht bis mittelgradig ausgeprägt. ÜberZNS-Störungenwurde in 11 Prozent der gemeldeten Fälle berichtet (im Vergleich zu 5 Prozent im Jahr 2008 und 14 Prozent im Jahr 2007), wobei diese am häufigsten im Zusammenhang mit antibiotischer Therapie, aber auch nach Gabe von Lokalanästhetika gemeldet wurden. UnerwünschteHerz-Kreislauf-Effektemachten einen Anteil von 11 Prozent (2008: 8 Prozent und 2007: 12 Prozent) am Gesamtanteil aller UAW-Meldungen aus, wobei eine leichte Kreislaufschwäche mit Tachykardie und Palpitationen beziehungsweise Hypo- aber auch Hypertonie am häufigsten im Zusammenhang mit der Anwen dung von Lokalanästhetika bezeihungsweise der Gabe eines Antibiotikums, aber auch nach Gabe von Analgetikakombinationspräparaten (wenn das zentralwirksame Codein Bestandteil der Kombination war) berichtet wurde.
Resümee
Im Jahr 2009 wurden der AKZ der BZÄK/KZBV insgesamt 114 Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) mitgeteilt. 53 Prozent der angezeigten Präparategruppen betrafen Antibiotika, 18 Prozent Lokalanästhetika, 8 Prozent Analgetika und 21 Prozent sonstige Arzneistoffe. Die gemeldeten Nebenwirkungen waren meist leicht bis mittelgradig ausgeprägt. Schwere Verläufe wurden nicht berichtet.
Priv.-Doz. Dr. med. Christoph SchindlerProf. Dr. med. Dr. med. dent. Wilhelm KirchInstitut für Klinische PharmakologieTechnische Universität DresdenFiedlerstr. 2701307 Dresden