Zahnärztinnen warnen vor Übergriffen
Denn immer wieder kommt es in Praxen, in denen Zahnärztinnen ihren Notdienst verrichten, zu Übergriffen. Diese reichen vom Erzwingen einer Behandlung, beispielsweise von Patienten, die sich illegal in Deutschland aufhalten, die keiner Krankenkasse angehören oder die gar die Karte eines Verwandten vorlegen, bis hin zu sexuellen Belästigungen.
Oder sie wollen eine zahnärztliche Leistung, die weit über die Notversorgung hinausgeht. Nicht selten fordern sie sogar eine Rundumversorgung unter Einsatz eines Familienclans als Begleitschutz oder eines gezückten Messers. Das alles ist schon passiert. Ab und an werden auch, während sich die Zahnärztin mit ihrer Assistenz um den Patienten kümmert, Gegenstände aus der Praxis entwendet, wird in die Kasse oder in den Medikamentenschrank gegriffen. Rezeptblocks fehlen im Notdienst häufiger als im Tagesgeschäft.
Dies soll keine Kriminalgeschichte sein, dies ist Realität in vielen Teilen der Bundesrepublik und kein Einzelfall. Besonders sind natürlich Praxen in Großstädten mit sozialen Brennpunkten betroffen, aber auch die Landarztpraxis ist vor solchen Übergriffen nicht immer sicher.
Der Ausschuss für die Belange der Zahnärztinnen der Bundeszahnärztekammer hat das Thema Notdienst erst kürzlich erneut diskutiert. Nicht immer werden Meldungen an die betroffenen Aufsichtsgremien oder an die Polizei gemacht. Denn: „Es macht sich für eine Praxis nicht gut, wenn dort ein Wagen mit Blaulicht vor der Tür steht“, so ein häufiges Argument von Betroffenen gerade in ländlichen Gegenden.
Viele Zahnärztinnen mit eigener Praxis haben Eigeninitiative ergriffen und lassen, wenn möglich, ihren Ehegatten zum Schutz vor Übergriffen mit in der Praxis übernachten oder leisten sich eine männliche Vertretung. Eine Zahnärztin berichtet, dass sie sich vor der Praxis mit ihrer Assistentin trifft, dass sie immer mit dem Taxi kommt und dass der Fahrer so lange warten soll, bis der Patient eingetroffen ist. Es wird nur immer eine Person mit in die Praxis genommen. Weitere Notdienstpatienten müssen dann draußen vor der Tür warten. In Großstadtbrennpunkten werden häufig nur noch Männer zum Notdienst verpflichtet, oder Zahnärztinnen auch schon mal unter polizeilichem Schutz in ihre Behandlungsräume geleitet. Alles Provisorien, die bei der einen oder anderen Zahnärztin Unmut oder gar Angst schüren.
Die Kammer Nordrhein hat bereits seit zwei Jahren die Maßgabe, dass in den Notdienstangaben der Zeitungen keine Vornamen erscheinen, so dass für den „angeblichen“ Patienten nicht erkenntlich ist, ob ihn eine Frau oder ein Mann empfangen wird. Was sich natürlich heute, zu Zeiten des Internets, wieder so gut wie überholt hat, denn „Google“ kennt immer das Geschlecht!
Der Ausschuss für die Belange der Zahnärztinnen der Bundeszahnärztekammer hat sich nun verstärkt dieser Problematik angenommen und erarbeitet ein Konzept, wie dieser Situation begegnet werden soll.
Die einzelnen Zahnärzteblätter der Länder sind aufgefordert worden, hierzu Erfahrungen aus dem Land zu sammeln und an die Bundeszahnärztekammer weiterzuleiten.
Folgende Handlungsempfehlungen wurden von der Kölner Zahnärztin Dr. Christel Pfeifer, Mitglied im Ausschuss für Belange der
Zahnärztinnen der Bundeszahnärztekammer
für die Kammer Nordrhein , erstellt.
Diese Informationen beruhen auf einem Gespräch, das sie mit Beamtinnen des Kriminalkommissariats „Prävention der Polizei Köln“ führte:
• So sollten bereits im Vorfeld der Behandlung Hemmschwellen aufgebaut werden, die Patienten sowie deren Begleitpersonen von geplanten Übergriffen abhalten:
– Bereits beim ersten Telefonkontakt mit dem Patienten / der Patientin muss die Nummer vom Display aufgeschrieben beziehungsweise ebenso wie die Adresse und der volle Name nachgefragt werden. Ohne genaue Angaben keine Behandlung.
– Es sollte zur Bedingung gemacht werden, dass maximal nur ein Begleiter zur Notdienstbehandlung mit in die Praxis kommen darf.
– Möglichst in Gegenwart des Patienten / der Patientin eine Person des Vertrauens (am besten einen Mann) anrufen und einen Rückruf nach circa 30 Minuten verabreden. Der Patient sollte dies unbedingt hören!
• „Ergreifen sie Vorsichtsmaßnahmen, um Patienten und Begleitpersonen, die im nächtlichen Notdienst Ihre Praxis aufsuchen, Übergriffe auf Sie oder Ihr Eigentum so weit wie möglich zu erschweren“, meinten die Kriminalbeamtinnen.
Dazu gehören zum Beispiel:
– Alle Gänge und Räume beleuchten.
– Telefon griffbereit haben (Handy in der Kitteltasche)
– Türen zu nicht benötigten Praxisräumen immer verschlossen halten.
– Wertsachen wegschließen
– Keine gefährlichen, als Angriffswaffe geeigneten Gegenstände (wie Schere, Sonden Lösungen und mehr) auf dem Tray offen liegen lassen. Dies hat schon manch einen Täter zu Übergriffen auf seine Behandlerin veranlasst.
• Eine wirksame Schutzmaßnahme kann auch ein sogenannter Personen-Schrillalarm sein, der problemlos erreichbar in der Praxis installiert werden kann. Alarmgeräte sind erhältlich im Internet, bei Einbruch-Sicherheitsfirmen oder auch in Waffengeschäften. Beim Auslösen ertönt ein lauter, schriller Alarm, der zum einen – beiweniger hart Gesottenen – abschreckende Wirkung hat und zum anderen Dritte auf die Notfallsituation aufmerksam macht. Bei der Installation eines solchen Geräts aber daran denken, dass die Batterie regelmäßig geprüft werden muss!
• Das Bereithalten von Waffen, Reizgas oder Pfefferspray zur Abwehr ist nicht zu empfehlen! Waffen können vom Patienten/Begleiter auch gegen die Zahnärztin gerichtet werden, beim Einsatz von Gas und Spray in geschlossenen Räumen werden nicht nur der/die Angreifer außer Gefecht gesetzt, sondern der Schutzsuchende gleich mit.
• Man sollte nicht allein in die Praxis gehen, sondern mit der Assistenz telefonisch ein Treffen vor der Notfallbehandlung vereinbaren. Man sollte gemeinsam vor der Praxis oder hinter der geschlossenen Praxistür auf den Patienten warten. Fährt man mit dem Taxi zur Behandlung, den Fahrer möglicherweise bitten, zu warten, bis der Patient da ist. Die Begleitung gibt einem zum einen mehr Sicherheit, zum anderen hat man so noch die Möglichkeit, die Behandlung gegebenenfalls anzulehnen, bevor der Patient überhaupt die Praxisräume betreten hat.
• Man sollte immer sicher und bestimmt auftreten. Die Kommissarinnen raten: „Sprechen Sie laut und deutlich und geben Sie klare Anweisungen. Weisen Sie unmissverständlich darauf hin, dass die von Ihnen aufgestellten Regeln zu befolgen sind oder Sie anderenfalls die Behandlung verweigern beziehungsweise umgehend abbrechen werden.“
• Bei Verstößen gegen die selbst aufgestellten Regeln: keinesfalls Hilflosigkeit ausstrahlen oder Bitten/Appelle äußern, stattdessen die Behandlung umgehend abbrechen und den Patienten / die Patientin nebst Begleiter der Praxis verweisen.
• Man sollte sich auf keine Diskussionen einlassen (dies führt nur zu unbegründeten Vorwürfen wie Ausländerfeindlichkeit oder anderen), sondern den Patienten an die Behandlungsregeln erinnern und bei Nichteinhalten auf den Abbruch der Behandlung oder das Einschalten der Polizei verweisen.
• Wird dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, sollte ein polizeilicher Notruf (Nummer 110) erfolgen.
Dafür gilt das Motto:
Bauchgefühl geht vor Verstand! Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei um Hilfe bitten! Geben Sie hierbei dem Gesprächspartner in der Notrufzentrale klare, präzise Informationen: Ort, Name, die Situation (bin allein, werde bedroht) und möglichst auch den Namen des Patienten.
Generell gilt: Ruhig bleiben und Rückfragen der Polizeizentrale gezielt beantworten.
• Bei alkoholisierten Menschen ist immer daran zu denken, dass deren Kommunikationsfähigkeit herabgesetzt ist. Hier sollte die Schwelle zum Abbruch der Behandlung oder/und zum Anruf des Polizeinotrufs niedriger angesetzt werden.
• Größere Sicherheit im Umgang mit Konfliktsituationen kann die Teilnahme an einem Sicherheitstraining oder an einem Selbstverteidigungskurs bringen. Auch Selbstbehauptungskurse mit dem Schwerpunkt Kommunikation sind geeignete Präventionsmaßnahmen. Kursanbieter lassen sich über das Internet, die örtlichen Polizeidienststellen (Präventionsabteilungen) oder auch die Landessportbünde recherchieren.
• Wichtig: Sollte doch ein Übergriff erfolgt sein, MUSS Anzeige erstattet werden.
Denn das Einleiten einer strafrechtlichen Verfolgung ist gleichzeitig ein Aufzeigen von Grenzen und kann dazu beitragen, den/die Täter von Wiederholungstaten abzuhalten. So besteht die Möglichkeit, den Täter durch Aufmerksammachen auch der Öffentlichkeit von einer Wiederholungstat abzubringen. sp