Zahn aus der Retorte
Der Zahn ist ein Modellsystem, an dem sich Differenzierungsvorgänge unterschiedlicher Gewebe ganz generell experimentell untersuchen lassen, die auch für den gesamten übrigen Körper gelten. Man befindet sich hier sozusagen auf dem Weg zur Schaffung eines Zahnes aus der Retorte.
Networking mit Jung und Alt
Es war ein besonderes Anliegen der Veranstalter, die jungen Nachwuchswissenschaftler mit den Experten aus den jeweiligen Fachgebieten zusammenzubringen. Beiträge über spektakuläre Experimente ließen Spannung aufkommen: So konnte gezeigt werden, dass man Zellen einer Zahnanlage vollständig voneinander trennen, durcheinander bringen und als Gemisch implantieren kann. Danach finden sich die Zellen wieder zu den typischen Schichten der Zahnglocke zusammen. Es entsteht dabei zwar noch kein vollständiger Zahn, doch immerhin leisten die einzelnen Zellen mehr dazu, als bisher vermutet wurde.
Zahnleiste wird zum Mesenchym
So wurden auch lange bestehende Dogmen in Frage gestellt: Die Zahnleiste, die als Zellproliferation aus dem Epithel der Mundhöhle in das darunter liegende Epithel einwächst, wird im Anschluss an die Zahnentwicklung nicht einfach resorbiert, wie man lange annahm, sondern die epithelialen Zellen wandeln sich in Mesenchymzellen um. Diese epithelial-mesenchymale Transformation, die auch von der Fusion der Gaumenfortsätze her bekannt ist, wurde für die Zahnleistenzellen hier erstmals erläutert. Nachdem lange Zeit beklagt worden war, dass man über die Entstehung der Zahnkronen mehr weiß, als über die Entstehung der Zahnwurzeln, wird deutlich, dass nun auch die Entstehung der Zahnwurzel ins Interesse der Forschung gerückt ist.
Verwirrend allerdings ist, dass man hier bei der Steuerung der Zelldifferenzierungsvorgänge wieder dieselben Signalproteine vorfindet, die auch schon bei der Entstehung der Zahnkrone als wesentlich erkannt worden sind. So ist zu fragen, welche Rolle diese bekannten Signalproteine bei der Formgestaltung spielen?
Genmanipulationen lassen Mäusezahn wachsen
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung widmet sich den Vorgängen bei der Kontaktaufnahme der Zahnanlagen mit ihrem umgebenden Knochen. Dies ist wichtig, denn ein Zahn ist ja nur dann von Nutzen, wenn er fest im Parodont verankert ist. Auch auf Zusammenhänge zwischen der Evolution und der embryonalen Entwicklung wurde eingegangen.
Im langen Diastema der Maus, die bekanntlich nur einen Schneidezahn und drei Molaren pro Quadrant hat, konnte durch Genveränderungen das Wachstum eines weiteren Zahnes ausgelöst werden. Im Prozess der Organentwicklung schlummern also Möglichkeiten, durch nur geringe Veränderungen auf molekularer Ebene weitreichende Folgen auszulösen. Die Signalkaskaden, die der Kommunikation der Zellen untereinander bei der Differenzierung dienen, werden immer weiter entschlüsselt. Den Teilnehmern wurde aber auch klar, dass die Komplexität derart zunimmt, dass sie von einem Einzelnen kaum vollständig zu überblicken ist.
Hier forderte Prof. Irma Thesleff, Helsinki, den Einsatz von Computerexpertensystemen, um das Wissen noch verfügbar halten zu können. Prof. Paul Sharpe, London, einer der ersten, der die Möglichkeiten der Schaffung eines Zahnes aus der Retorte erkannt hat, sieht trotz der erstaunlichen Fortschritte im Tierexperiment noch einen sehr langen Weg, bis eines Tages ein Zahnarzt einen Zahn aus der Retorte anbieten kann.
Prof. Dr. Dr. Ralf J. RadlanskiCharité – Campus Benjamin Franklin at FreieUniversität BerlinCenter for Dental and Craniofacial SciencesDept. of Craniofacial Developmental BiologyAssmannshauser Str. 4–614197 Berlinralfj.radlanski@charite.de