Alternativ und komplementär

Die etwas „andere“ Medizin in der Zahnheilkunde

Auch im Rahmen der Behandlung von orofazialen Beschwerden werden von Patienten komplementäre und alternative Behandlungen zunehmend nachgefragt und auch ganz bewusst in Anspruch genommen. Dies ist insbesondere der Fall bei chronischen Krankheitsverläufen mit einem unklaren Beschwerdebild und bei psychosomatischen Krankheitsbildern. Häufig fühlen sich die Patienten von den „Schulmedizinern“ nicht ernst genommen oder sind enttäuscht über nicht erfolgreiche Therapieverläufe. Selbst absurde ätiologische und pathogenetische Theorien alternativer Behandler werden von den Patienten, die sich selbst als völlig hilflos erleben, als glaubhaft angenommen und umgesetzt. Leider endet dies nicht selten in iatrogenen Schädigungen an Körper und Seele. Häufig werden dann aufgrund fragwürdiger Befunde im Rahmen alternativer Diagnostik Füllungen ausgetauscht, Zähne entfernt oder Kieferknochen reseziert. Das Ergebnis sind ein persistierendes oder ein aggraviertes Beschwerdebild und zusätzliche Funktionsstörungen. Trotzdem sind viele Patienten bereit, hierfür erhebliche finanzielle Mittel zu investieren. Im günstigsten Fall kann ein Placeboeffekt erzielt werden, der jedoch nur eine überschaubare Zeit anhält, da er sich abnutzt.

Zusammenarbeit erwünscht

Komplementärmedizinische Verfahren können hingegen, selbstverständlich in Abhängigkeit von der Indikation, durchaus sinnvoll und erfolgreich eingesetzt werden. Voraussetzungen hierfür sind, wenn die Therapien nicht in Personalunion durchgeführt werden, qualifizierte Behandler auf beiden Seiten und eine enge Kooperation, was einen Austausch bezüglich der Diagnose und dem angestrebten Vorgehen voraussetzt. So können zum Beispiel Homöopathie, die Traditionelle Chinesische Medizin oder manuelle Verfahren sehr gut in die Behandlung integriert werden.

Gerade bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen und insbesondere muskulo-skelettalen Beschwerden haben sich inzwischen körperbezogene, entspannende Therapieverfahren wie Yoga, Chi Gong, Thai Chi und mehr im Rahmen der nicht medikamentösen Therapie etabliert und werden im Rahmen eines multimodalen Settings neben der Trainingstherapie angeboten. Selbstverständlich sind sie jedoch auch im Rahmen einer allgemeinen Gesundheitspflege auch für das zahnärztliche Team empfehlenswert.

Im Einsatz bei Tumorerkrankungen

Komplementäre und alternative Medizin bei Tumorerkrankungen sind Chance und Risiko zugleich. Therapeutische Möglichkeiten der komplementären und alternativen Medizin (CAM-Produkte) werden in zunehmender Anzahl auch von Patienten mit Tumorerkrankungen bei gleichzeitig stattfindender konventioneller Therapie genutzt. Ist die klinische Wirksamkeit und Verträglichkeit erbracht, wie beispielsweise für die Akupunktur zur Schmerzkontrolle, wird der Einsatz auch „schulmedizinisch“ immer mehr anerkannt. Nichtsdestotrotz kann ein unkontrollierter Einsatz von CAM-Produkten zu einer nicht unerheblichen Gefährdung betroffener Patienten führen.

Verunreinigungen bei CAM-Produkten

Die Gefahr einer teilweise nur mangelhaft gewährleisteten Qualitätssicherung bei der Herstellung von CAM-Produkten ist immanent. So wurde in der vergangenen Zeit unter anderem von Verunreinigungen von Pytotherapeutika durch Warfarin (orales Antikoagulans), Diethylstilbestrol (chemisches Östrogen), Indometacin (NSAID), Alprazolam (Benzodiazepin), Digitalis (herzaktives Glykosid) und Aristolochiasäure (nephrotoxischer und mutagener Wirkstoff) berichtet. Der sichere Einsatz derartiger Produkte müsste ebenso kritisch hinterfragt werden. Phytoestrogene (Isoflavone, insbesondere aus Sojaprodukten) sollten beispielsweise nicht bei Patienten mit Endometriumkarzinom sowohl bei Brustkrebspatienten mit estrogen-positivem Status oder bei gleichzeitiger Tamoxifentherapie (selektiver Estrogenrezeptormodulator) eingesetzt werden. Auf der anderen Seite könnte die Verwendung derartiger Produkte bei Prostatakarzinomen durchaus sinnvoll sein. Johanniskraut findet seine Anwendung bei der Behandlung von Depressionen. Durch Induktion des Cytochrom P450 3A4 kann es gleichzeitig zu einer Abschwächung chemotherapeutischer Wirkstoffe (wie Vinca-Alkaloide und Ifosfamid) kommen. Patienten mit gesteigerten Risiken für die Entwicklung eines Bronchialkarzinoms weisen unter höher dosiertem Vitamin A (eigentlich tumorpräventiv-antioxidant) paradoxerweise eine erhöhte Tumorinzidenz auf. Auch bei latenten Prostatakarzinomen könnte die Vitaminsupplementation zu einem erhöhten Risiko der Entwicklung klinisch manifester Karzinome führen. Hohe Dosen an Vitamin C und Vitamin E werden mit gerinnungshemmenden Effekten assoziiert und sind daher bei Tumorpatienten vor einer Operation oder bei thrombozytopenen Patienten kontraindiziert.

Zusammenfassend zeigen die Untersuchungen die Wichtigkeit der standardisierten Aufbereitung und Reinigung von CAM-Produkten weshalb hier, besonders in Zusammenhang mit den beschriebenen Nebenwirkungen, dieselben Ansprüche der klinischen Prüfung wie auch für die „klassische“ Medizin zu fordern sind. Kritisch ist die oft bestehende Eigenmedikation der Tumorpatienten – auch am Arzt vorbei – zu bewerten, da hier, wie an den Beispielen gezeigt, nicht einkalkulierbare Risiken bestehen können.

Präoperativ zu beachten

Die Bedeutung der Erfassung komplementärer und alternativer Medikation im präoperativen Setting ist groß.

Die Selbstmedikation mit Substanzen der komplementären und alternativen Medizin (CAM) hat in den letzten Jahrzehnten in der Bevölkerung breite Akzeptanz gefunden. Gründe dafür mögen die oft niedrigeren Kosten, die Erhältlichkeit ohne Rezept und die Vermarktung als Naturprodukt – somit vermeintlich sicher und gesundheitsfördernd – sein. Allerdings werden auch potentiell toxische Medikamente (Digitalis – Fingerhut, Chinin – Chinarindenbaum, Vincristin – rosafarbene Catharanthe, Paclitaxel – tropische Eiche) direkt aus Pflanzen gewonnen. Unter dem Etikett „Naturprodukt“ verstecken sich also nicht immer nur harmlose Präparate ohne Nebenwirkungen. Besonders präoperativ ist es wichtig, für den behandelnden Arzt und Zahnarzt, sich einen Überblick über die Medikation zu verschaffen, um Risiken und potenzielle Nebenwirkungen abschätzen zu können. Bei der Anamnese werden in der Regel die Patienten von den Zahnärzten nicht gezielt nach der Anwendung von Phytotherapeutika und mehr gefragt. Patienten verschweigen diese oder glauben, dass es sich bei Kräuterprodukten nicht um Medizin im eigentlichen Sinne handelt. Allerdings sind bei Einnahme von CAM-Produkten Einflüsse auf die Koagulation (Steigerung der Blutungsneigung bei Knoblauch, Ginkgo und Ginseng), den Blutdruck (Hypotension bei Fischöl und Co-Enzym Q-10), den Elektrolythaushalt (wie durch Sägepalmenpräparate, grünen Tee und Mariendisteln) und Hypoglykämie (durch Glukosamin) bekannt und nicht auszuschließen. Eine ungewollte Verlängerung anästhetischer Effekte (wie durch Ginseng) ist möglich. Aufgrund dieser Nebenwirkungen besteht eine Empfehlung der American Society of Anesthesiologists, alle CAM-Produkte zwei bis drei Wochen vor elektiven operativen Eingriffen abzusetzen.

Zusammenfassend besteht aufgrund der umfassenden Wirkungsinteraktionen von CAM-Produkten die Notwendigkeit der Schaffung von exakten präoperativen Richtlinien sowie einer erweiterten Patientenedukation.

PD Dr. Dr. Monika DaubländerUniversitätsmedizin KöR derJohannes Gutenberg-Universität MainzPoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieAugustusplatz 2, 55131 Mainz

Dr. Peer KämmererKlinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieAugustusplatz 2, 55131 Mainz

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