Zufriedenheit und Ernüchterung
Köhler führte bei der Vorstellung der Versichertenbefragung 2010 aus, dass es gerade für die Organisatoren der ambulanten ärztlichen Versorgung von enormer Wichtigkeit sei, zu wissen, wie die Versicherten und Patienten ihre ambulante Versorgung einschätzen, wo sie Probleme sehen und wo sie zufrieden sind.
Ein großer Teil der Fragen, die die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der KBV telefonisch bei 6 065 zufällig ausgewählten deutschsprachigen Bürgern zwischen 18 und 79 Jahren gestellt hat, sei mit denen der vorangegangenen Befragungen identisch und erlaube daher einen direkten Vergleich. Köhler: „Für uns, die wir uns jeden Tag sehr intensiv mit dem Gesundheitswesen beschäftigen, die wir uns ständig mit notwendigen Veränderungen und Reformen auseinandersetzen, ist das sowohl beruhigend als auch ernüchternd.“
Beruhigend sei es vor allem deshalb, weil die Zufriedenheit mit der ambulanten Versorgung insgesamt nach wie vor sehr hoch sei. So gaben 92 Prozent der Versicherten an, dass sie ein gutes bis sehr gutes Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt haben und schätzten dessen Fachkompetenz (mit ebenfalls 92 Prozent) gut bis sehr gut ein.
So unzufrieden, dass sie sich beschweren wollten, seien nur 16 Prozent von denjenigen Befragten gewesen, die in den letzten zwölf Monaten beim Arzt waren. Getan hätten es allerdings weniger als die Hälfte. Gründe für die Beschwerde waren (mit unter einem Drittel) eine – nach eigener Einschätzung – falsche Behandlung und (mit jeweils einem Fünftel) eine nicht den Erwartungen entsprechende Behandlung sowie das Gefühl, nicht ernst genommen worden zu sein. Adressat der Beschwerden sei zu 60 Prozent der Arzt gewesen, gefolgt von den Praxismitarbeitern mit 19 Prozent. Aus Unzufriedenheit haben immerhin zehn Prozent der Befragten den Arzt gewechselt. Über 80 Prozent aller Befragten seien außerdem mit der Terminvergabe zufrieden; lediglich 17 Prozent gaben an, dass sie zu lange auf einen Termin warten mussten. Insgesamt zeigte sich Köhler sehr zufrieden: „Das sind alles sehr gute Zahlen. Sie zeigen, dass die Versicherten und Patienten insgesamt mit der ambulanten ärztlichen Versorgung zufrieden sind.“
Kaum Verhaltensänderung bei Versicherten
Ernüchternd, so Köhler, sei allerdings, dass alle Bemühungen einer besseren Steuerung der Versorgung derzeit noch nicht zu einer Verhaltensänderung bei den Versicherten geführt hätten. Dies zeige das Dilemma der Gesundheitspolitik: Eine Verhaltensänderung sei bei Versicherten und Patienten nur sehr langsam zu erreichen. Wer im Hinblick auf einen sparsamen Umgang mit den begrenzten Ressourcen auf die Eigenverantwortung der Patienten setze, brauche einen sehr langen Atem.
Dies werde etwa anhand der Frage deutlich, ob gesetzlich Versicherte ihr Recht kennen, sich eine Patientenquittung ausstellen zu lassen. Ergebnis: 80 Prozent wussten davon nichts. Von dem Fünftel, dem die Patientenquittung bekannt war, haben sich nur acht Prozent eine solche ausstellen lassen. Köhler bedauerte das Ergebnis, denn die Patientenquittung biete die Chance zu mehr Transparenz für die Versicherten. Deshalb habe die KBV auch durchgesetzt, dass in den Software-Programmen für Vertragsärzte ein Modul eingearbeitet wurde, das es ermöglicht, Patientenquittungen auszudrucken. Damit werde der Aufwand für die Vertragsärzte so gering wie möglich gehalten. Die niedrigen Zahlen derjenigen, die sich eine Patientenquittung haben ausstellen lassen, zeigten allerdings einmal mehr: Das Interesse, über die von ihnen ausgelösten Kosten Bescheid zu wissen, sei bei den Versicherten zumindest derzeit nicht sehr ausgeprägt.
Das gelte analog auch für die Kostenerstattung. Davon, dass Krankenkassen solche Tarife anbieten, hätten 72 Prozent noch nie gehört; zwei Prozent hätten ihn bereits gewählt. Von den 26 Prozent, denen Kostenerstattungstarife bekannt waren, haben nur 15 Prozent ernsthaft überlegt, in einen solchen zu wechseln. Auch hier zeige sich, so Köhler, dass die Zufriedenheit mit dem Sachleistungsprinzip sehr hoch sei. „Der Anreiz, in die Kostenerstattung zu wechseln ist für gesetzlich Versicherte damit derzeit sehr gering. Das bedeutet für die politische Durchsetzbarkeit der Kostenerstattung als generelles Prinzip nichts Gutes.“
Bei der Befragung interessierte auch, wie die Versicherten zur elektronischen Gesundheitskarte stehen. Zwar haben 63 Prozent der Befragten schon davon gehört, ob sie sinnvoll ist, kann die Mehrheit der Versicherten aber nicht einschätzen: 47 Prozent gaben an, sich kein Urteil erlauben zu können, 20 Prozent halten die eGK nicht für sinnvoll und weniger als ein Drittel gehen davon aus, dass sie sinnvoll sei. Köhler: „Das erlaubt die Interpretation, dass die Bürger keine hohe Sensibilität hinsichtlich der online-Abrufbarkeit ihrer Versichertendaten und der Information ihrer Kasse über Arztbesuche haben.“
Hausarzt-Zentriertheit wenig bedeutend
Die Telefoninterviewer fragten auch nach der hausarztzentrierten Versorgung. Diese war 59 Prozent der Befragten ein Begriff. 19 Prozent haben sich selbst in einen entsprechenden Vertrag einschreiben lassen. Die meisten Teilnehmer gibt es bei den Ab-60-Jährigen. „Diese Rückmeldungen beweisen eindeutig, dass die hausarztzentrierte Versorgung aus Sicht der Versicherten noch nicht die große Bedeutung im Sinne der Verbesserung der Versorgung hat, wie bestimmte Akteure immer wieder behaupten“, erklärte KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller. Das zeigten auch die Antworten auf die Frage nach der Einschätzung, ob sich an der Versorgung etwas verändert habe. „Demnach hat sich an der Versorgung nach der Einschreibung nicht sehr viel verändert: Fast drei Viertel (73 Prozent) geben an, die Versorgung habe sich nicht verändert, 17 Prozent sehen eine Verbesserung, sechs Prozent eine Verschlechterung und vier Prozent können dazu keine Angaben machen“, so der KBV-Vorstand. sg
Einen detaillierten Ergebnisbericht (auch in grafischer Darstellung) der KBV-Versichertenbefragung 2010 auf der Ebene der 17 KVen können Interessierte hier herunterladen:www.kbv.de/publikationen/versichertenbefragung2010.html.