Vorbild und Vorreiter
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Eigentlich sind unsere berufspolitischen Ziele in Berlin bekannt. Und eigentlich sind die daraus entwickelten Forderungen im BMG auch anerkannt. Eigentlich will Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler die große nachhaltige Gesundheitsreform und keine Kostendämpfungspolitik. Eigentlich.
Nun will Rösler an die Arzneimittelkosten – mit Rezepturen, die manch einer einem FDPMinister gerade nicht zugetraut hätte. Zweifellos ist die Lage ernst, denn Experten erwarten für 2011 ein GKV-Defizit von bis zu 15 Milliarden Euro. Das geplante Einsparvolumen von 1,5 Milliarden Euro muss also ein Zeichen setzen. Röslers Blick auf die Pharmapreise scheint richtig, ja überfällig. Jeder, der selbst sah, wie viel günstiger bisweilen eine beispielsweise aus Portugal reimportierte Pille über den Apothekencounter geht, musste sich zunehmend wundern. Ein Blick in die Statistik bestätigt die Vermutung. Ja, für die Pharmabranche galt bisher: noli me tangere! Wer es versuchte, wie die seinerzeit noch jung im Amt agierende Ulla Schmidt, konnte mit einem Scheck abgefunden und ruhig gestellt werden – ein Sündenfall für Politik und Pharmalobby gleichermaßen.
Unklar ist derzeit, ob die Kostendämpfungsideen auf die Arzneimittelpreise beschränkt bleiben. Oder ob das politische Rasiermesser – diesmal von Schwarz-Gelb – erneut angelegt wird. Vergessen wir nicht: Horst Seehofer ist der Vater von Budgetierung, (inzwischen wieder abgeschaffter) Zulassungsbeschränkung und anderer Sünden. Aufhorchen lässt jedenfalls der jüngst aus Koalitionskreisen vernommene Ruf nach einem umfassenden Solidarbeitrag für das kränkelnde Gesundheitswesen. Da der von einigen Krankenkassen erhobene Zusatzbeitrag nicht nur die Versicherten verärgert, sondern die Kassenlandschaft daraufhin in hektische Bewegung versetzt hat, da der Finanzminister den Schmalhans ausgerufen hat, ist der begehrliche Blick wohl wieder einseitig gerichtet. Dabei ist eindeutig belegt, dass die Werkzeuge der Kostendämpfung die Ausgabenentwicklung allenfalls kurzfristig positiv, die Versorgungsstrukturen langfristig jedoch deutlich negativ beeinflusst haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Koalition die Rationierungsdebatte erneut aufwärmen will – war man sich in der letzten Legislatur doch überparteilich einig, die strikte Budgetierung aufzuheben.
Ein Blick auf die Entwicklung der zahnärztlichen Versorgung in der GKV in den vergangenen 30 Jahren zeigt auch Rösler, wie es gehen kann. Dieser Sektor ist Vorbild, Vorreiter und mahnendes Beispiel zugleich: Mit willkürlichen, unberechtigten und besonders hinsichtlich der Folgen für die Patientenversorgung schädlichen Punktwertabsenkungen hat die Gesundheitspolitik keinen Blumentopf gewinnen können. Die Mengensteuerung klappte in der Hand der Selbstverwaltung besser. Grundlegende Strukturveränderungen wie Mehrkostenregelung und Festzuschüsse ermöglichten eine zukunftsorientierte Versorgung – nachweislich ohne Mengenzuwächse zum Wohle der Patienten. Mit den Erfolgen aus Individualund Gruppenprophylaxe im Rücken haben wir Zahnärzte gezeigt, wie mutige Strukturveränderungen nachhaltig Wirkung entfalten können: Lag der Anteil der GKV-Ausga- ben für die zahnärztliche Behandlung inklusive Zahnersatz 1976 noch bei über 15 Prozent, kratzen die Ausgaben heute bereits die Sieben-Prozent-Grenze. Zum Vergleich: Der Anteil für Arzneien, Verband- und Hilfsmittel aus Apotheken stieg laut KZBV-Jahrbuch in dieser Zeit von gut 15 auf über 17, in den neuen Ländern auf knapp 20 Prozent. Wer die jährlich 18 Arztbesuche der Versicherten beklagt, sollte im Hinterkopf haben, dass das nicht mal im Ansatz auch für die Zahnarztpraxis gilt. Im Gegenteil: Hier haben die Empfehlungen zum zweimaligen Zahnarztbesuch pro Jahr eine Verbesserung der Versorgung bei sinkenden GKV-Kosten bewirkt – ohne die Bevölkerung zu überfordern.
Der KZBV-Vorstand führt derzeit konstruktive Gespräche mit dem BMG und man zeigt sich aufgeschlossen für unsere Vorschläge. Eigentlich kein Wunder, wir haben schließlich der Politik selbstbewusst angeboten, im Rahmen der vom Gesetzgeber anzugehenden Entbudgetierungen für die Mengenentwicklung eine gestaltende Mitverantwortung zu übernehmen. Wir haben die Wege dafür aufgezeigt und von der Vertreterversammlung dazu das Mandat erhalten. Dabei berücksichtigen wir ausdrücklich die von den KZVen eingeforderte wieder zu stärkende Regionalkompetenz. Natürlich fragt die Politik, wie man eine Steuerung der Mengenentwicklung in der GKV zielsicher angehen kann. Nun, die ausgestaltete Regelungskompetenz auf Landesebene schafft das allemal besser als ohnmächtige planwirtschaftliche Spielchen. Nach all den Jahren struktureller Fehlentwicklungen und nicht angepasster Rahmendaten, die zu massiven Verwerfungen der Gesamtvergütungen geführt haben, muss die Ausgangslage neu justiert werden. Mit anderen Worten: reset auf null. Dann kommen wir auch mit der Menge klar! Die KZBV wird dafür die politische Überzeugungsarbeit leisten und die dazu nötigen Zahlen ungeschminkt auf den Tisch legen. Als Vorbild und Vorreiter.
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV