Eine Leidenschaft, medizinisch betrachtet

Die Übertragung von Karies beim Küssen

Verursacht Küssen Karies? Bei der Beantwortung dieser Frage ist eine vorschnelle (zahn-)medizinische Festlegung wenig angebracht. Das meint der Oberarzt Rainer A. Jordan, M. Sc., von der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin der Uni Witten/Herdecke. Schließlich ist die Herkunft von Karies multikausal.

Dass Herpesviren durch Küssen übertragen werden und in der Folge zu wiederkehrenden Erkrankungssymptomen führen, beschrieb schon William Shakespeare in seiner Tragödie „Romeo und Julia“: „O’er ladies’ lips, who straight on kisses dream, Which oft the angry Mab with blisters plagues, because their breaths with sweetmeats tainted are.“ (Übersetzung: „Der schönen Lippen, die von Küssen träumen, oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese, weil ihren Odem Näscherei verdarb.“)

Etwa 40 000 Mikroorganismen und 250 Bakterienarten wechseln die Mundhöhle bei einem französischen Kuss. Das Pfeiffer-Drüsenfieber (Mononucleosis infectiosa) ist ein bekanntes Beispiel dafür, dass dabei auch Keime, in diesem Fall das Epstein-Barr-Virus, übertragen werden, die Krankheiten auslösen können.

Angaben differieren

Doch wie sieht es mit den oralen Haupterkrankungen Karies und Parodontitis aus? Bereits der Nachweis von Mutans-Streptokokken in der kariesfreien Mundhöhle von Kleinkindern ist mit einem doppelten Risiko, an Karies zu erkranken, verbunden. Unter-suchungen haben gezeigt, dass bei bis zu 40 Prozent bestimmte Klone von Mutans-Streptokokken mit denen der Mutter übereinstimmten. Eine sogenannte vertikale Infektion findet auch bei Laktobazillen statt. Für parodontalpathogene Spezies existieren unterschiedliche Angaben, möglicherweise, weil die bakterielle Nische von Leitkeimen im anaeroben, also subgingivalen Bereich liegt und somit vor einer Speichelübertragung in relevanter Menge besser geschützt ist.

Klinische Studien konnten zeigen, dass eine hohe Keimbelastung von Mutans-Streptokokken in der Mundhöhle der Mutter mit dem Auftreten frühkindlicher Karies korreliert. Zurückhaltung in der Interpretation scheint geboten, da kaum zwischen infektiologischen und andererseits verhaltens-bedingten Ursachen unterschieden werden kann. Schließlich sind Karies und Parodontitis besondere, weil multifaktoriell und multibakteriell bedingte Erkrankungen des oralen Biofilms. Die moderne Biofilmforschung beschreibt die bakterielle Ätiologie dieser Erkrankungen immer mehr als ein komplexes, organähnlich funktionierendes Geschehen.

Kontrolle des Biofilms

Es ist davon auszugehen, dass die Bedeutung einzelner Spezies für die Entwicklung einer Karies überschätzt wird. In der Mundhöhle können regelmäßig bis zu 700 verschiedene Bakterienspezies identifiziert werden. Offensichtlich spielt für die Aufrechterhaltung einer guten Mundgesundheit das häusliche Management der Kontrolle des oralen Biofilms an sich durch eine gute Mundhygiene eine wesentlich höhere Rolle als die An- oder Abwesenheit eines Bakteriums.

OA Rainer A. Jordan, M.Sc.Abteilung für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin(Leiter: Prof. Dr. S. Zimmer)Universität Witten/HerdeckeFakultät für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeAlfred-Herrhausen-Str. 5058448 WittenTel.: (02302) 926-629Fax: (02302) 926-681E-Mail:andreas.jordan@uni-wh.de

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