Lifestyle – Auswirkungen auf die Parodontaltherapie
Am Vortag des Symposiums wurde wieder ein Vorkongresskurs mit praktischen Operationsübungen angeboten. Der leitende Zahnarzt im Fachzahnmedizinischen Zentrum, Parodontologie und Truppenzahnmedizin, des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz, und Organisator dieser Veranstaltung, Oberstarzt Dr. Thomas Eger, stellte den 50 Teilnehmern in einer systematischen Übersicht das neue Verfahren vor.
Minimalinvasive Parodontalchirurgie
Minimalinvasive Schnitt- und Nahttechniken aus den letzten 15 Jahren wurden vorgestellt und ihre Indikationsbereiche erläutert. Die Behandlungsergebnisse der verschiedenen Techniken wurden anschließend anhand multizentrischer Studienergebnisse diskutiert. Entscheidendes Erfolgskriterium ist die engmaschige anfangs mindestens wöchentlich durchgeführte professionelle Plaquekontrolle für bis zu zwölf Wochen. Dieses Procedere ermöglicht eine optimale Wundheilung und einen parodontalen Knochengewinn von häufig über vier Millmeter im ersten postoperativen Jahr.
In einem Hands-on-Kurs konnte jeder Teilnehmer diese vorgestellten Operationstechniken an Tierphantomen umsetzen. Diese praktische Übungen wurden durch die erfahrenen Parodontologen Dr. Beate Schacher, Frankfurt am Main, Oberfeldarzt Dr. Jochen Weyer, Bundeswehrkrankenhaus Berlin, und Oberfeldarzt Michael Luepke, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, begleitet.
Fragen zum Lebensstil
Dr. Eger führte in die Kongressthematik Lifestyle ein und stellte die Auswirkungen veränderter sozialer, ernährungsbedingter und ökonomischer Faktoren im Hinblick auf gesundheitliche Aspekte dar. In der Medizin geht es bei „Lifestyle“ um die gesundheitlichen Aspekte des Lebensstils. Der Referent zeigte anhand systemischer Erkrankungen auch die Auswirkungen modulierender Faktoren, wie Stress oder unterschiedliche Ernährungsformen (moderne gegenüber steinzeitlicher Kost) und welchen Einfluss diese auf die Entstehung von Parodontopathien haben. Aber nur wenige kennen den direkten Zusammenhang zwischen Allgemeinerkrankungen und Parodontopathien, welcher jedoch immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Admiralarzt Dr. Wolfgang Bart, Inspizient Zahnmedizin, Sanitätsamt der Bundeswehr, war auch nach Koblenz gekommen, um in seinem Grußwort auf die Bedeutung der Parodontologen im Hinblick auf die kurzfristige Sicherstellung der Auslandsverwendungsfähigkeit der Soldaten hinzuweisen und weitere Untersuchungen zur Epidemiologie von Parodontitiden in der Bundeswehr anzuregen, da aus wehrmedizinischer Sicht wenige verlässliche Daten für die Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen in Deutschland vorliegen. Dr. Margrit Brecht-Hemeyer, Vorsitzende der Bezirkszahnärztekammer Koblenz, verwies auf die bewährte sehr gute Organisation des Symposiums und die besondere Bedeutung der zivil-militärischen Kooperation in Regionen ohne Universitätsklinika und mit geringer parodontologischfachzahnärztlicher Versorgungsdichte. Prof. Dr. Holger Jentsch, Leipzig, begrüßte als 2. Vorsitzender der (NAgP) die Teilnehmer.
Dr. Eger spannte einen Bogen von den klassischen diagnostischen Hilfsmitteln, wie Parodontalsonden und Röntgenbildern, über die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung der Messung von genetischen oder Speichel-Biomarkern, zu mikrobiologischen Testverfahren und unterschiedlichen bildgebenden Verfahren (wie deutlich strahlungsärmere Verfahren der Ultraschalluntersuchung, optische Kohärenz-Tomographie oder Infrarot-Spektroskopie). Die verschiedenen Untersuchungsmethoden wurden im Hinblick auf eine risikoorientierte Kosten-Nutzen-Relation und die therapeutischen Konsequenzen korreliert, die allerdings bisher geringe Verbreitung finden. Dabei wurden auch neuere Ansätze, wie die Nutzung der photodynamischen Therapie oder der Einsatz von Prä- und Probiotika, die Rauchentwöhnung und unterstützende Antibiotikatherapie vorgestellt. Zur modernen Parodontologie gehört heute die Identifikation und schnelle Behandlung von Parodontitis-Hochrisikopatienten, bevor diese eine schwere generalisierte Parodontitis entwickeln sowie die Weiterentwicklung der Zahnerhaltungsfähigkeit statt der Prüfung der Zahnerhaltungswürdigkeit nach den Vorgaben verschiedener Sozialversicherungsträger.
Epidemiologie, Therapie von Parodontopathien
Prof. Dr. Peter Eickholz, Frankfurt am Main, stellte die Prävalenz parodontaler Erkrankungen im internationalen Vergleich dar und diskutierte den Einfluss länderspezifischer gesundheitspolitischer Maßnahmen auf die Erkrankungshäufigkeit. Die Behandlungsergebnisse von regenerativen Maßnahmen und der Full-Mouth-Disinfection wurden dargestellt und anhand verschiedenster Übersichtarbeiten verglichen und bewertet. Der Referent wies auf die hohe Prävalenz parodontaler Erkrankungen in Deutschland im Vergleich zu präventionsorientierten Gesundheitssystemen in Schweden oder in den USA hin. Die Abwertung der GKV-Honorare für systematische Parodontalbehandlungen um etwa 30 Prozent im Jahr 2004 hatte nachhaltig negative Auswirkungen auf die Zahl der durchgeführten Behandlungen. Präventive beziehungsweise prävalenzorientierte Zahnheilkunde sieht anders aus. Er betonte die Bedeutung der nichtchirurgischen Therapie im Sinne einer Full-Mouth-Disinfection und minimalinvasiver regenerativer Maßnahmen für die moderne Parodontaltherapie.
Stress, Compliance und parodontale Therapie
Prof. Jentsch ging auch auf die verschiedenen Auswirkungen von akutem und chronischem Stress ein und erläuterte die Auswirkungen der stressinduzierten modulierenden Faktoren auf den Gesamtorganismus. Er stellte stressanamnestische Vorgehensweisen aus der Humanmedizin vor und erläuterte die Auswirkungen von Stress auf die Patientencompliance.
Neben den Schwierigkeiten, die mit Compliance-fördernden Maßnahmen einhergehen, zeigte Prof. Dr. Jentsch verschiedene Möglichkeiten der Compliance- Verbesserung im Hinblick auf zahnärztlichparodontale Maßnahmen auf. Hierbei wies er auf die Wichtigkeit einer ausführlichen Patientenaufklärung und einer individuellen, gemeinsam mit dem Patienten entwickelten Therapieentscheidung im Hinblick auf eine erfolgreiche Parodontaltherapie hin.
Photodynamische Therapie
PD Dr. Sigrun Eick, Bern, stellte die Wirkungsweise der photodynamischen Therapie in der Zahnmedizin dar. Anhand verschiedener Studien verglich sie Behandlungsergebnisse und erläuterte die Bedeutung der photodynamischen Therapie im Hinblick auf die Möglichkeit der Verringerung des Einsatzes von Antibiotika und somit einer Vermeidung von Resistenzentwicklungen. Neben der allgemeinen Wirkungsweise der photodynamischen Therapie ging die Referentin hierbei auch auf die immunmodulative Wirkung, wie zum Beispiel Proteaseninhibition im Hinblick auf die Therapie von Parodontopathien und periimplantären Erkrankungen ein.
Nutzen der Parodontalbehandlung
Dr. Eva Streletz, Heusenstamm, erläuterte anhand von GOZ, GOÄ und Bema die aktuellen Abrechnungsmodalitäten parodontaler Diagnostik und Therapiemaßnahmen und stellte die Diskrepanz zwischen einer geforderten engmaschigen risikoorientierten (unterstützenden) Parodontaltherapie und den Abrechnungsoptionen dar, die derzeitigen das unterschiedliche Risiko einzelner Patienten nicht berücksichtigenden.
Lifestyle – Fazit und Ausblick
Verdoppelte sich 1950 das Wissen in der Zahnmedizin gemessen an der Zahl der Originalpublikationen noch alle 25 Jahre, so verdoppelt es sich heute bereits nach vier bis fünf Jahren. Aus dieser Flut an neuem Wissen, ergibt sich die berufspolitische Folgerung und der Wunsch, dass die aktuellen Ergebnisse der Grundlagen- und der klinischen Forschung von Fachzahnärzten/DGP-Spezialisten für Parodontologie® durch Fortbildungsangebote für Generalisten in die klinische Praxis ständig „übersetzt“ werden müssen. Die unterschiedliche Kosten-Nutzen-Effektivität für Behandlungen durch Spezialisten und Generalisten sollte ebenfalls regelmäßig neu von den Kostenträgern bewertet werden. Psychologie, Patientenverhalten und Compliance werden zukünftig zur Verbesserung parodontaler Langzeit-Behandlungsergebnisse praxisspezifisch ebenfalls mehr Berücksichtigung finden.
Termine
Der weiteren Beantwortung der aufgeworfenen Fragen widmen sich am 19. und 20. November 2010 die 18. Jahrestagung der NAgP e.V. zum Thema „Parodontologie im Zentrum interdisziplinärer Zahnheilkunde“ in Aachen und das 19. Symposium Parodontologie am 14. Mai 2011 im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz zum Themenkomplex von Langzeitergebnissen parodontaler Therapie einschließlich Perioprothetik, Perio-Implantologie und Periimplantitis-Management.
Oberstabsarzt Dr. René ThierbachBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzAbteilung VIIa – Fachzahnärztliches ZentrumRübenacher Str. 17056072 Koblenzrenethierbach@bundeswehr.org