Leitartikel

Das richtige Augenmaß

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Hessens Ministerpräsident meint, er habe seine Schuldigkeit getan. Roland Koch geht. Über die Gründe mag man spe kulieren. Schließlich war die mögliche Nachfolge für eine Spitzenkandidatur in Hessen rechtzeitig einzuleiten und einen Ruf nach Berlin gab es auch nicht. Und ob man ihn mochte oder nicht: Mit ihm verlässt ein Weiterer das poli tische Feld, der auch Unbequemes in die Runde gab, der seinen politischen Prinzipien treu geblieben ist – auch wenn der Wind einmal härter ins Gesicht blies. Schlechte Zeiten für Politiker mit Ideen und Grundsätzen? Auch Philipp Rösler ist als solcher angetreten. Schlechte Zeiten auch für ihn? Nach eigenem Bekunden will er Deutschlands Gesundheitswesen entrümpeln und für eine ordentliche Zukunft nachhaltig sichern. Rösler verspricht nach wie vor, seiner liberalen Linie treu zu bleiben – trotz NRW-Wahlergebnis, trotz Wirtschaftskrise, trotz nach wie vor bestehender Gegnerschaft aus eigenen Regierungskreisen.

Mit seinem klaren Bekenntnis zur Gesundheitsprämie hat er durchaus Gewichtiges eingebracht: Er verband seine Existenz als Minister mit der großen Idee, die Finanzierung des Gesundheitswesens endlich auf solidere Füße zu stellen. Ob ihm das gelingt, darüber streiten sich dazu berufene Geister nach wie vor mit Vehemenz – egal ob aus Politik oder Medien. Und leichter wird es für den Bundesgesundheitsminister nicht! Nach der von oben verordneten politischen Grabesstille bis zur NRW-Wahl, nach dem für die Koalitionsparteien desaströsen Wahlausgang in NRW sind die Chancen für politische Reformen gewiss nicht größer geworden. „Lame duck“-Rösler?

Dass der mit liberalen Idealen angetretene Arzt Rösler per se nicht lahm ist, hat er, trotz immens langer Findungsphase, bereits bewiesen – nicht zuletzt durch seine gesetzgeberischen Aktivitäten im Arzneimittelbereich. Aber durch die Umstände, die ihm das politische Umfeld in immer wieder neuen Schüben präsentiert, scheint Philipp Rösler zwischenzeitlich durchaus gelähmt. Und das ruft – wen wundert’s – seine politischen Gegner immer wieder auf den Plan. Trotzdem: Dieser Gesundheitsminister hat seine Ziele nicht am Eingang des Ministeriums abgegeben. Ob er seine Versprechen einhalten kann, werden die kommenden Wochen zeigen.

Erst dann können wir unsere Messlatte anlegen, um festzustellen, ob die Ziele, die im Koalitionsvertrag angelegt waren, trotz haushalterischer Schäuble-Sperre und trotz durch das NRW-Wahldesaster verlorener Bundesratsmehrheit tat sächlich überleben können. Das ist dieser Demokratie zu wünschen. Sie hat es – allen derzeitigen Tiefs zum Trotz – verdient. Auch Philipp Rösler wird sich in diesen Zeiten an seinen Idealen, seinen selbst auferlegten Zielen und seinen selbst formulierten Grundsätzen messen lassen müssen. Politisches Gestalten ist keine Domäne des Finanzministers. Herr Schäuble löst die GKV-Probleme dieser Republik sicher nicht!

Von einem muss Philipp Rösler aus gehen: Wir Zahnärzte sind uns zwar bewusst, dass Deutschland nicht in Zeiten steckt, in denen Geschenke aus Füllhörnern verteilt werden. Aber wir wissen auch, dass es bei allen Änderungen darum gehen wird, Sinnvolles zu halten und uns allen Sinnloses zu ersparen. Was wir erwarten, was unsere Patienten erwarten, sind Strukturen, die eine zukunftssichere gesundheitliche Versorgung ermöglichen. Investitionen in unser Gesundheitssystem sind – wie im Bereich Bildung – Investitionen in die Zukunft. Die Baustellen in diesem Bereich sind bekannt. Brachliegende Baugruben und strukturelle Bauruinen – die beide dennoch unnützes Geld kosten – hat unser Gesundheitssystem genügend.

Wer sparen muss, ist weder mit dem Rasenmäher noch mit der Brechstange gut bedient. Um jetzt das Richtige zu tun, benötigt Philipp Rösler mehr denn je eine glückliche Hand. Vor allem aber braucht er das richtige Augenmaß.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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