100. Geburtstag Konrad Zuse

Herr der Rechenmaschinen

Rechnen fand der Computerpionier Konrad Zuse mühsam und lästig. Deshalb entwickelte er eine Maschine, die die leidige Arbeit für ihn erledigte – und legte damit den Grundstein für den Computer. Am 22. Juni wäre der deutsche Erfinder 100 Jahre alt geworden.

„Die Rechenmaschine befindet sich heute, meist noch unbeachtet, in einer Phase der Entwicklung, in der sie in Gebiete des Denkens vorstößt, die man bisher bei mechanischen Vorrichtungen nicht für möglich hält. Die ersten Schritte in Richtung auf das künstliche Gehirn sind bereits getan.“ Das schreibt Konrad Zuse 1948 in seiner Abhandlung „Freiheit und Kausalität im Lichte der Rechenmaschine“. Schon darin zeigt sich: Zuse war ein vielseitig interessierter Denker. Er liebte die Wissenschaft, arbeitete wie ein Besessener an seinen Maschinen und neuen Ideen, war aber zeitlebens auch ein leidenschaftlicher Maler.

Zuse kommt am 22. Juni 1910 in Berlin zur Welt. Sein Vater Emil, preußischer Beamter im Postdienst, und seine Mutter Maria, Hausfrau, erkennen früh das künstlerische Talent ihres Sohnes. Er wird gefördert. Malt, zeichnet und bastelt. 1924 zieht die Familie nach Hoyerswerda im damaligen Schlesien, wo der Vater die Leitung des Postamts übernimmt. 1928 macht Zuse Abitur. Bei der Wahl des Studienfachs lässt er sich von seinen Interessen leiten, schreibt sich für Maschinenbau an der TH Berlin-Charlottenburg ein – und wird enttäuscht. In dem Fach herrschen strenge Regeln. In der Hoffnung auf mehr Spielraum wechselt Zuse zur Architektur. Aber auch dort stören ihn die vielen Normen. 1931 lässt er sich von der TH beurlauben und geht nach Köln, wo er für die Ford-Autowerke Werbeplakate zeichnet. Er denkt darüber nach, Grafiker zu werden, geht dann aber doch nach Berlin zurück und studiert Bauingenieurswesen. 1934 schließt er sein Studium ab. Gelangweilt von den zeitaufwendigen, monotonen Berechnungen, kommt ihm eine Idee: Es sollte eine Maschine geben, die sich für den Ingenieur mit den Zahlenkolonnen herumschlägt. „Die stumpfe Rechnerei hat sein Leben verändert“, so sein Sohn Horst Zuse in einem Interview mit dem „Computer-Club²“ 2007. „Weder in seinen Schulheften noch anderswo findet man vorher Hinweise, dass ihn automatische Rechenmaschinen interessiert haben.“ Die Möglichkeiten, die in einer Rechenmaschine stecken, faszinieren Zuse. Zum einen erhofft er sich, dass durch die Zeitersparnis beim Rechnen mehr Kreativität möglich ist, zum anderen denkt er auch ans Geschäft: Eine Maschine, die das leidige Rechnen übernimmt, ließe sich an viele Kollegen verkaufen. 1936 macht der 26-Jährige sich an die Arbeit.

Vom Blech zum Relais

Zunächst muss der junge Erfinder aber Geld verdienen. Er fängt als Statiker bei den Henschel-Flugzeug-Werken in Berlin an. Jede freie Sekunde steckt er in sein Projekt. Nach einem Jahr kündigt er den Job und widmet sich ganz der Entwicklung der Maschine. Er nennt sie V1, Versuchsmodell 1 – in die Geschichte wird sie als Z1 eingehen.

Wieder unterstützen ihn seine Eltern, die mittlerweile zurück nach Berlin gezogen sind und in Kreuzberg leben. Sie stellen Zuse ihr Wohnzimmer als Werkstatt zur Verfügung. 1938 stellt er die Z1 fertig. Sie besteht aus 30 000 Einzelteilen, kleinen Blechen, die er im Altwarenhandel kiloweise gekauft und in mühsamer Kleinarbeit zusammengefügt hat. Die Maschine erlaubt bereits das Rechnen mit Gleitkommazahlen, besitzt Ein-/Ausgabe-, Rechen-, Speicher- und Programmwerk, das die Programme von gelochten Filmstreifen abliest. Schnell muss Zuse feststellen, dass die mechanische Programmsteuerung nicht zuverlässig arbeitet – die Bleche klemmen stellenweise. Ein weiteres Manko des Prototyps: Der riesengroße Aufwand an mechanischen Verknüpfungen für einen Zwischenspeicher. Zuse macht sich auf die Suche nach einer Alternative und experimentiert ab 1938 für das Nachfolgemodell Z2 mit der elektromagnetischen Relaistechnik. Relais haben zwei Zustände: „Offen“ gleich „0“ und „Geschlossen“ gleich „1“ – das Prinzip des binären Rechensystems. Weil er seine Forschung selbst finanziert, setzt Zuse auf Recycling. Er besorgt sich 200 ausgemusterte Telefonrelais als Schaltelemente. Die Zuverlässigkeit der Relais überzeugt ihn – für seine nächste Rechenmaschine verwendet er circa 2 500 Stück. Da deren Spulenspannung nicht ganz mit seiner vorgegebenen übereinstimmt, muss er alle Spulen neu mit Draht umwickeln und Kontakte aufschrauben.

1941 steht der erste funktionierende Computer der Welt: die Z3. Sie ist programmierbar, rechnet im binären System und speichert die Ergebnisse. „Die Z3 hatte eine Taktgeschwindigkeit von 5 Hz, heutige Computer arbeiten 600 Millionen Mal schneller“, erklärt Horst Zuse.

Für die Nachwelt sind Zuses Originalmaschinen und die Pläne leider nicht erhalten. Sie werden im Zweiten Weltkrieg bei Bombenangriffen zerstört. Mit der Z4, einer leistungsfähigeren Version der Z3, flüchtet der – frisch verheiratete – Ingenieur 1945 kurz vor Kriegsende aus Berlin. Über Göttingen gelangen er und seine Frau nach Hinterstein im Allgäu, wo die Z4 in einem Schuppen untergebracht wird. Nach dem Krieg hält Zuse seine Familie mit dem Verkauf von Bildern, Zeichnungen und Holzschnitten von Alpenlandschaften über Wasser. Gleichzeitig entwickelt er den „Plankalkül“ weiter, die erste universelle Programmiersprache der Welt. 1949 gründet Zuse mit einem Studienfreund die Zuse KG. Erster Kunde wird die Eidgenössische Hochschule (ETH) Zürich, die die Z4 für fünf Jahre mietet. Sie ist damals die einzige programmgesteuerte Rechenmaschine im praktischen Einsatz und weltweit der erste kommerziell ausgelieferte Rechner. Es folgen Auftragsarbeiten für die Firma Leitz und den amerikanischen Konzern Remington Rand. Die Zuse AG wächst schnell. Ende 1958 beschäftigt sie 180 Mitarbeiter, 1964 sind es 1 200. Als der amerikanische Konkurrent IBM auf den Plan tritt, gerät das Unternehmen unter Druck. IBM führt das Leasing ein: Kunden müssen die bestellten Maschinen nicht sofort bezahlen, sondern können monatliche Raten leisten. Für die Zuse AG ist das nicht möglich. Neue Rechenmaschinen zu entwickeln, kostet Zeit und Geld. In den USA subventioniert die Regierung die Entwicklung neuer Geräte – Zuse muss das Kapital alleine aufbringen. Der Konkurrenzdruck zwingt das Unternehmen in die Knie. 1964 wird es von der Siemens AG übernommen, Zuse zwei Jahre später mit 59 Jahren in den Ruhestand geschickt.

Rückzug in die Kunst

Es folgen schwere Jahre für Zuse. Der Computer entwickelt sich in eine Richtung, die er nicht vorhergesehen hat. Der Mikrochip kommt. Horst Zuse erklärt, warum die Entwicklung seinen Vater überholte: „Worin er genial war, war mit mechanischen Schaltungen umzugehen. Er konnte ausgezeichnet dreidimensional denken. Er hat immer gesagt, alles, was er sehen und anfassen kann, darin ist er gut. Deswegen war der Mikrochip undurchschaubar für ihn, und auch die Elektronenrühren vor ihm, weil er die Elektronen ganz einfach nicht sehen konnte.“ Zuse verlegt sich aufs Schreiben. 1969 veröffentlicht er das Buch „Der Rechnende Raum“. Seine These: Ist die Natur, das Universum, ein riesiger Computer? Er geht der Theorie nach, ob rechnende Automaten sich selbst reproduzieren können. Für dieses Buch bezieht der Erfinder laut Aussage seines Sohns „viel Prügel“. Zuse verlegt sich aufs Malen. Zunächst als Kuno See, sein Pseudonym, später wieder unter seinem richtigen Namen schafft er abstrakte Bilder und Porträts von anderen Computerpionieren – auf der Cebit 1995 überreicht er Bill Gates ein Porträt. Ab den 80ern erinnert man sich wieder an Zuse. Er erhält zahlreiche Ehrendoktortitel und Auszeichnungen, unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Kurios: Mit dem PC konnte er sich nicht anfreunden. Horst Zuse: „Mein Vater hat sich strikt geweigert, je eine Taste eines PCs zu berühren.“

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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