Differentialdiagnose papillomatöser Schleimhautveränderungen

Verruköses Karzinom des Zungenrückens

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Eine 60-jährige Patientin mit bekanntem oralen Lichen ruber wurde uns zur weiteren Abklärung eines seit mehreren Monaten bestehenden, schmerzlosen Tumors im Bereich des Zungenrückens vorgestellt. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein im Durchmesser etwa 3 cm großer, breitbasig aufsitzender, exophytischer Tumor von papillomatösem Erscheinungsbild (Abbildung 1). Die Zungenoberfläche war im Rahmen des oralen Lichen ruber atrophisch verändert und durch Regionen erosiver Schleimhautveränderungen charakterisiert. Im Tastbefund präsentierte sich eine derbe Tumormasse. Korrespondierend zum klinischen Zahnbefund zeigte sich im Orthopantogramm ein konservierend und prothetisch unvollständig versorgtes Restgebiss mit einem Wurzelrest in Regio 47 und einem kariös tief zerstörten Zahn in Regio 12 (Abbildung 2). Im Rahmen der sonographischen Untersuchung stellten sich mehrere vergrößerte, jedoch sonomorphologisch unauffällige Lymphknoten mit Hiluszeichen submandibulär und in den cervicalen Gefäßlogen links betont dar. Eine Probeexzision aus dem Randbezirk des Tumors erbrachte die Diagnose einer Verruca vulgaris, so dass in einem weiteren Termin eine vollständige Exzisionsbiopsie des Befunds vorgenommen wurde (Abbildung 3). Die histopathologische Aufbereitung des in toto exzidierten Gewebes ergab jedoch nun die Diagnose eines gut differenzierten verrukösen Karzinoms mit nur minimaler Stromainvasion (pT1) (Abbildung 4). Mit der geänderten Diagnose eines histologisch gesicherten Plattenepithelkarzinoms wurden Untersuchungen zum Staging der malignen Erkrankung eingeleitet, die neben den bereits sonographisch nachgewiesenen vergrößerten Lymphknoten keine weiteren pathologischen Befunde erbrachten. In Vollnarkose erfolgten eine Nachresektion im Bereich der Zungenmitte zur Wahrung eines Sicherheitsabstands sowie eine selektive Lymphknotenexstirpation submandibulär links. Die histologische Aufbereitung konnte jedoch keine Karzinomzellen mehr nachweisen. Die Patientin befindet sich im Tumor-Recall und ist bislang rezidivfrei (Abbildung 5).

Diskussion

Das verruköse Karzinom der Mundschleimhaut ist ein langsam wachsendes spinozelluläres Karzinom. Es manifestiert sich bevorzugt bei Männern im siebten und im achten Lebensjahrzehnt und umfasst etwa ein bis zwei Prozent aller Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs mit Hauptlokalisation im Mundraum (73 Prozent; vor allem buccal) beziehungsweise Kehlkopf (11 Prozent ) [Mast et al., 2009].

Hinsichtlich der Ätiologie werden neben dem Tabak- und Betelkauen als Risikofaktoren auch humane Papillomaviren (HPV Typ 2, 6, 11, 16 und 18) aufgrund ihres Nachweises im Tumor als mögliche Ursache diskutiert [Balram et al., 1995]. Das klinische Erscheinungsbild zeigt einen exophytischen, breitbasig aufliegenden Tumoren mit papillärer, verhornter Oberfläche. Typisch ist die maligne Transformation des Tumors aus vorausgehenden prämalignen Veränderungen [Cabay RJ et al., 2007].

Differentialdiagnostisch war im vorliegenden Fall die Diagnose einer Verruca vulgaris erwogen worden, die durch die humanen Papillomaviren 2, 4, 6, 7, 10, 40 verursacht wird. Als hyperplastische, knotige, häufig hyperkeratotische Exophyten des Weichgewebes findet sich die Verruca vulgaris am Gaumen, an der Mucosa der Lippen, an der Gingiva und an der Zunge. Die klinisch ähnlich imponierenden Condylomata acuminata sind durch die HPV 6, 11, 16 und 18 verursacht. Eine maligne Entartung der Verruca vulgaris und auch der Condylomata accuminata konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Eine Infektion von HPV 14, HPV 16 und HPV 22 scheint jedoch mit Tumorerkrankungen assoziiert zu sein. Pathogenetisch wird dabei durch virale Proteine das p53, ein Tumorsuppressorgen, inaktiviert [Butz et al., 1995]. Das im Rahmen des Cervixkarzinoms als Ursache identifizierte HPV 16 scheint im Rahmen klinischer Studien auch bei der Genese des Mundhöhlenkarzinoms relevant zu sein [D’Souza et al., 2007].

Papillomatöse Schleimhautveränderungen sollten daher einer histologischen Diagnostik zugeführt werden, um bezüglich der Dignität Sicherheit zu gewinnen. Eine regelmäßige Untersuchung der Mundschleimhaut ist bei Patienten mit papillomatösen Schleimhautveränderungen notwendig, um eine statistisch gehäuft auftretende, maligne Transformation frühzeitig zu erkennen. Während bei kleinen Befunden eine Exzisionsbiopsie erfolgen sollte, sind im Falle flächiger Befunde Probebiopsien an mehreren Lokalisationen vorzunehmen.

Das klinische Verhalten des verrukösen Karzinoms der Mundschleimhaut ist charakterisiert durch ein langsames und gering lokal invasives Wachstum mit sehr seltener Metastasierung. Therapie der Wahl ist die Exzision im Gesunden, wobei der Tumor aufgrund seines niedrigen Rezidivsowie Metastasierungsverhaltens mit einer günstigen Prognose behaftet ist [Kang et al., 2003].

Der vorliegende Fall soll nochmals die Wichtigkeit der Abklärung pathologischer Schleimhautbefunde verdeutlichen. Eine Probeexzision kann, muss aber nicht repräsentativ für den Gesamtbefund sein, so dass eine Exzision des Befunds angestrebt, alternativ mehrere Proben gewonnen werden sollten.

Dr. Dr. Felix KochKeyvan SaghebDr. Dr. Christian WalterProf. Dr. Dr. Wilfried WagnerKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainzwalter@mkg.klinik.uni-mainz.de

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