Schweizer Zahlenspiele
„Es ist immer relevant, wer der Auftraggeber für eine Studie ist“, mahnte Rüdiger Strehl, Generalsekretär beim Verband der Universitätsklinika (VUD) kürzlich auf dem 7. Innovationskongress der Deutschen Hochschulmedizin in Berlin. Klar ist: Das Prognos- Gutachten wurde vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen bestellt. Dessen Vertreter gehen jetzt mit den Ergebnissen hausieren.
Demnach könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) vom Paragrafen 105 Abs. 3 SGB V Gebrauch machen und 12 000 Vertragsarztpraxen in überversorgten Gebieten (Versorgungsgrad über 110 Prozent) aufkaufen, um sie dann nicht wieder neu zu besetzen. Dass das Gutachten methodisch strittig sein könnte, zeigt auch die Kritik auf der Ärzteseite, die einem Hagelsturm gleichkommt.
„Die Forderung des GKV-Spitzenverbands zur Streichung von 12 000 Arztsitzen geht völlig an der Realität vorbei und berücksichtigt nicht die Interessen der Patienten.“ Mit diesen Worten wies der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, die Forderung der Kassen entschieden zurück, nach der die KVen per Gesetz verpflichtet werden sollen, alle frei werdenden Arztsitze in überversorgten Regionen aufkaufen zu müssen.
Widerstand kommt auch vom Berufsverband Niedergelassener Chirurgen (BNC). BNCPräsident Dr. Dieter Haack: „Der GKV-Spitzenverband will, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen in Gebieten mit hoher Arztdichte Arztsitze aufkaufen und stilllegen. Dies führt aber nicht automatisch dazu, dass sich mehr Ärzte in unterversorgten Regionen niederlassen!“ Bedarfsplanung sei komplexer als es das Gutachten suggeriere: „Man muss auch berücksichtigen, dass täglich Tausende Pendler in die Großstädte fahren und nach der Arbeit dort den Arzt ihrer Wahl aufsuchen“, sagte Haack.
Pauschal und realitätsfern
Der BNC-Präsident kritisierte darüber hinaus die wirklichkeitsfremde, pauschale Kategorisierung der Ärzte nach Fachgruppen: „Es gibt keine homogene Gruppe der Chirurgen, sondern OP-Spezialisten, die in Operationszentren komplexe, stationsersetzende Eingriffe vornehmen und gleichzeitig Kollegen, die an der Basis und vorwiegend konservativ arbeiten – beispielsweise Arbeits- und Schulunfälle versorgen.“ Dieser Vielfalt werde das Gutachten jedoch nicht gerecht. Haack: „Die Daten sind oberflächlich und tendenziös. Sinnvoll wäre eine kleinräumige Betrachtung mit einer Unterscheidung der Spezialisierungen innerhalb der jeweiligen Fachgruppe.
Damit hätte man die Versorgung und den Versorgungsbedarf realistisch abbilden können – doch das war wohl kaum das Ziel des GKV-Spitzenverbands!“
Als absurd und realitätsfern bezeichnete der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands (DHÄV), Ulrich Weigeldt, den Vorschlag der Krankenkassen. „Der Spitzenverband will seine realitätsferne Legende der Überversorgung aufrechterhalten, anstatt sich um die dringendsten Versorgungsprobleme zu kümmern“, so Weigeldt in einem Statement. Die Zahlen zur Bedarfsplanung, auf die sich das Prognos-Gutachten stützt, würden nichts über den tatsächlichen Versorgungsbedarf aussagen. Weigeldt: „Sie stellen lediglich die Entwicklung seit 1992 dar, als die Besetzung der Plangebiete willkürlich mit 100 Prozent festgelegt wurde.“ Die Idee, Arztpraxen – insbesondere Hausarztpraxen – aufgrund solcher Zahlenspiele zu vernichten, sei absurd und gehe am Versorgungsbedarf der Bevölkerung völlig vorbei.“ Weiter warf er einigen Kassen vor, dass sie sich dem Abschluss von Hausarztverträgen und somit einer strukturierten ambulanten Versorgung verweigern würden. „Versicherte nehmen mit der Einschreibung in Hausarztverträge ihr Recht der freien Arztwahl wahr. Nicht wenige waren bisher auch bereit, die Kasse zu wechseln, weil ihnen diese Wahlmöglichkeit für eine strukturierte ambulante Versorgung verweigert wurde“, so der DHÄV-Chef.
Die Autoren des Prognos-Gutachtens prophezeien in ihrem Fazit indes positive versorgungspolitische Effekte, denen aber eingeschränkte regionale Niederlassungsmöglichkeiten des ärztlichen Nachwuchses gegenüber stünden. Es bliebe Aufgabe der Politik, diese Effekte gegeneinander aufzuwiegen, heißt es dort.