Editorial

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Liebe Leserinnen und Leser,

eigene biologische Unzulänglichkeiten durch Eigenschaften anderer Lebewesen zu kompensieren, ist ewiger Menschheitstraum. Das Ersehnen unbändiger Kraft, der Wunsch, wie ein Vogel zu fliegen oder wie ein Fisch unter Wasser zu leben, findet seine Entsprechung in einer Vielzahl mythologischer Bilder. Vieles davon fasziniert uns bis heute.

Ob Sphinx, Zentaur, Greif oder Meerjungfrau: Das Sehnen ist archaisch, hat andererseits die Menschheit aber auch „beflügelt“, sich über die scheinbaren Schranken irdischer Realität immer wieder hinwegzusetzen. Wo es ging, wurde unvollkommene Biologie mittels Technik kompensiert.

Heute gehört Fliegen oder Tauchen nicht mehr zu unseren zentralen Sehnsüchten, allenfalls geblieben ist es noch als Gegenstand archaisch geprägter Traumwelten.

Zum Gegenstand menschlichen Interesses ist dieses Thema auf einer ganz anderen Ebene geworden, in den Grenzgebieten zwischen Disziplinen wie Physik, Biologie und Medizin. Dort haben Forschung und Lehre inzwischen einen Stand erreicht, der das Thema in andere Dimensionen hebt und aus ganz anderer Sicht neu aufstellt.

Und es ist keine „Sache der Götter“ mehr: Inzwischen bilden molekularbiologische, biotechnologische, medizinische oder genetische Erkenntnisse einen Nährboden für künftige Möglichkeiten, nützliche Mischwesen zu schaffen. Das Lebewesen Tier als menschliches Ersatzteillager, als Nährboden für Arzneimittel, als Basis für Material, das dem Menschen die Heilung von Krankheit, körperliche Unversehrtheit oder ein längeres Leben ermöglichen soll, impliziert Fragen.

Dass hier gesellschaftliche Übereinkunft getroffen werden muss, wie weit das gehen darf, ist wohl selbstverständlich. Hier wird menschlicher Ethos hinterfragt, verteidigt, eventuell neu definiert. Das ist – ähnlich wie die zu lösende Frage der Sterbehilfe – keine Aufgabe, die Wissenschaftler „unter sich“ klären können. Hier gibt es gesamtgesellschaftliche Verantwortung, hier müssen klare Linien gezogen, im Zweifel und je nach Erkenntnis auch wieder verschoben werden. Dieser Denkprozess gehört etabliert. Er wird in den kommenden Jahrzehnten immer wieder wissenschaftlichinterdisziplinäre Fragen aufwerfen. Beantworten muss sie unsere Gesellschaft.

Und es wird nicht so einfach bleiben wie beispielsweise die Frage zu beantworten, ob auf dem Rücken einer Maus ein Menschenohr gezüchtet werden darf. Eines Tages wird es auch darum gehen zu definieren, ab wann ein Tier mit verpflanzten oder implantierten menschlichen Anteilen zum Mischwesen, oder zum (Teil-)Menschen wird.

Was darf der Mensch als sogenannte „Krone der Schöpfung“? Wann ist ein Mensch ein Mensch? Darf Wissenschaft alles, was sie kann? Ist einmal geschaffenes Wissen tatsächlich gegen Nutzung abschottbar?

Das sind Fragen, für deren Antworten kaum jemand Verantwortung übernehmen will. Aber die Themen stellen sich. Und sie erfordern mehr als die Bewunderung für den Hai, der wegen mehrerer hintereinander liegender Zahnreihen „nachladen“ kann und deshalb keine Implantate braucht.

Erkenntnisreiches Lesen wünscht Ihr

Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur

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