Prinzip der Ablehnung
Nach einer einjährigen Pilotphase in Berlin, Hamburg und Thüringen können jetzt Versicherte der Barmer GEK oder der AOK bundesweit im Netz ihre Ärzte beurteilen. Bei der AOK firmiert das Portal unter dem Titel „AOK-Arztnavigator“, bei der Barmer GEK heißt es „Barmer GEK Arztnavi“. Beide Angebote basieren auf der Weissen Liste, einem Projekt der Bertelsmann Stiftung und der Dachverbände der größten Patientenund Verbraucherorganisationen.
Alle niedergelassenen Ärzte sind verzeichnet. Zahnärzte und Psychotherapeuten sind noch nicht in die Befragung eingeschlossen. Für diese Fachgruppen wollen die Initiatoren im nächsten Schritt separate Befragungsinstrumente entwickeln. Bisher sind nur Ärzte gelistet, die in regelmäßigem Kontakt mit ihren Patienten stehen. Nicht bewertet werden können Pharmakologen und Pathologen. Ab 2012 könnten sich alle anderen Krankenkassen und deren Versicherte an dem Projekt beteiligen, so die Initiatoren.
Ärzte stimmten für Austrag
Die Pressekonferenz der beteiligten Initiatoren fand am 3. Mai in Berlin statt. Nur zwei Tage später startete der Ärztenachrichtendienst „änd“ auf seinem Onlineportal (www.aend.de) eine Mini-Umfrage unter 267 Ärzten. Die Frage lautete: „Lassen Sie sich aus dem Portal austragen?“ Darauf antworteten 101 Ärzte mit „Ja“. Dagegen gaben 56 Mediziner an, ihren Eintrag stehen zu lassen. 68 Befragte sagten, sie wüssten nichts von dem Portal, ließen sich nun aber austragen. 20 gaben an, das Portal nicht zu kennen. Gleichzeitig würden sie ihren Eintrag aber nun auch nicht löschen wollen. Schließlich hatten 22 der befragten Ärzte noch keine oder aber eine andere Meinung. Unter dem Strich sprach sich also die große Mehrheit der Befragten für die Streichung ihres Eintrags aus. Dieses Ergebnis spiegelt das derzeitige Klima auf den Tagungen und Kongressen des zahnärztlichen und ärztlichen Berufsstands.
Profit für Praxen in Aussicht gestellt
Jürgen Graalmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands hält die Vorbehalte der Mediziner für ungerechtfertigt. „Das neue Portal ist für die Patienten, aber nicht gegen die Ärzte entwickelt worden“, sagte er auf der Pressekonferenz in Berlin. Im Gegenteil: Die Ärzte erhielten über das Portal ein „systematisches Feedback“. Vier große Themen werden abgefragt: „Praxis & Personal“, „Arztkommunikation“, „Behandlung“ und „Gesamteindruck“.
Das alles geschehe auf der Basis eines methodisch hochwertigen Fragebogens. Vor diesem Hintergrund sollte jeder Einzelne versuchen, die Ergebnisse in sein praxisinternes Qualitätsmanagement einfließen zu lassen. Es gebe auf dem Portal keine Rangliste der vermeintlich besten Ärzte. Vielmehr könnten die Patienten gezielt nach Kriterien suchen, die ihnen persönlich wichtig sind.
Richtschnur für die Entwicklung des Portals seien Kriterien, die die Ärzteschaft selbst zur Qualität von Arztbewertungsportalen aufgestellt habe. Zuständig hierfür ist das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) als gemeinsames Kompetenzzentrum von Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) für medizinische Leitlinien, Patienteninformationen, Patientensicherheit, evidenzbasierte Medizin und medizinisches Wissensmanagement.
Im Januar 2011 hat das ÄZQ die zweite aktualisierte Auflage der Leitlinie „Gute Praxis Bewertungsportale“ zu den Qualitätsanforderungen für Arztbewertungsportale herausgegeben. Danach müssen – neben für Online-Auftritte geläufigen Aspekten wie der Angabe eines Impres-sums, einer Kontaktmöglichkeit und der Allge-meinen Geschäftsbedingungen (AGBs) – zumindest folgende Punkte berücksichtigt werden:
• Identität des Betreibers (Transparenz)
• keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte (Datenschutz)
• Maßnahmen gegen Missbrauch und Manipulation
• Nutzerfreundlichkeit
• Bewertungshinweise
• Umgangsformen
Wie Graalmann erklärte, habe der Arztnavigator nach Prüfung durch das ÄZQ besser abgeschnitten als andere Portale. Die Qualitätsanforderungen würden erfüllt und an einigen Stellen sogar noch übertroffen: etwa mit einer speziellen Kommentarfunktion für Ärzte oder mit dem Verzicht auf Freitextfelder. Unsachgemäße Äußerungen würden somit ausgeschlossen.
Zum aktuellen Stand sagte Christine Göpner-Reinecke vom AOK-Bundesverband gegenüber den zm: „Bisher wurden die Bewertungen von 1 300 Ärzten veröffentlicht.“ 70 bis 90 Prozent wurden positiv bewertet. Es müssen mindestens zehn Bewertungen für einen einzelnen Arzt abgegeben werden, bevor ein Ergebnis veröffentlicht wird. Jeder Versicherte muss sich mit seiner Versichertennummer registrieren. So wollen die Betreiber verhindern, dass ein und derselbe Patient einen Arzt mehrfach bewertet. Im Übrigen gilt: „Ein Arzt kann ein Ergebnis auch sperren lassen, das ist unkompliziert“, so Göpner-Reinecke. Allerdings erscheine dann auch ein Hinweis an der entsprechenden Stelle.
Man muss das Rad nicht neu erfinden, heißt es. Diese banale Weisheit ließe sich auch auf Arztbewertungsportale anwenden. Hier könne das Gesundheitswesen von der Tourismusbranche lernen. Das ist jedenfalls die Auffassung von Benjamin Jost, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens TrustYou. „Arztbewertungsportale sind jetzt auf dem Stand, wo Reiseportale vor drei Jahren waren“, erklärte Jost unlängst auf dem Bayerischen Vertragszahnärztetag. Die Hoteliers seien anfangs skeptisch gewesen. Aber: Die Kritiker von gestern würden Onlinebewertungen heute als geeignetes Werbemittel loben. Schließlich erzeugten persönliche Bewertungen Vertrauen und seien glaubhafter als Werbeanzeigen, heißt es aus Sicht der Befürworter.
• www.arztbewertungsportale.de
• www.leitlinien.de/edocs/pdf/info/gutepraxis-bewertungsportale.pdf