Trügerische Sicherheit
Rund 230 Millionen Menschen unterziehen sich weltweit pro Jahr einer Narkose im Zusammenhang mit einer Operation. In Deutschland werden jährlich etwa zehn Millionen Narkosen durchgeführt. Viele Patienten haben dabei Angst, nicht mehr aus der Narkose zu erwachen, eine Befürchtung, die nicht ganz unbegründet ist, wie die aktuellen Zahlen zeigen. Zwar ist es gelungen, die ursprünglich sehr hohe Sterblichkeit in der Narkose erheblich zu senken; so niedrig, wie lange angenommen, aber ist die Todesrate schon längst nicht mehr, wie beim Deutschen Anästhesiekongress in Nürnberg bekannt gegeben wurde. So ging man bis vor wenigen Jahren davon aus, dass auf 250 000 Operationen ein Patient infolge der Narkose zu Tode kommt. Tatsächlich aber ist die Zahl deutlich höher, was die Anästhesisten vor allem auf die zunehmende Zahl an Operationen bei älteren und multimorbiden Patienten zurückführen.
Helsinki-Deklaration zur Sicherheit von Narkosen
Dessen ungeachtet haben die Europäischen Anästhesiegesellschaften jüngst gemeinsam die „Helsinki-Deklaration“ formuliert, die die Anästhesie als Schlüsseldisziplin in der Medizin stärken und die Sicherheit bei Narkosen verbessern soll. Denn bei den 230 Millionen Narkosen traten bei sieben Millionen Patienten schwere perioperative Komplikationen auf, von denen eine Million zum Tode führte. Allein in Europa versterben damit pro Jahr derzeit rund 200 000 Menschen infolge einer Narkose, so die Zahlen, die in der Deklaration genannt werden.
„Alle Beteiligten sollten mitwirken, diese Komplikationsrate signifikant zu senken“, heißt es dort weiter. In der Helsiniki-Deklaration wird unter anderem festgeschrieben, dass die Anästhesisten die Ausrüstung vor jeder Narkose prüfen sowie die eingesetzten Medikamente kennzeichnen und dokumentieren müssen. Fester Bestandteil der Narkose ist zudem die Schmerztherapie vor und insbesondere nach der Operation sowie die Kontrolle der Körpertemperatur und möglicher allergischer Reaktionen.
Denn die Anästhesiologie trägt laut Professor Dr. Jürgen Schüttler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) wesentliche Verantwortung für die Sicherheit des Patienten im Bereich der Narkose-, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin: „Dies umfasst sämtliche Abläufe im Rahmen einer klinischen Operation, aber auch Situationen außerhalb des Krankenhauses, in denen Patienten gefährdet sind“, erklärte er in Nürnberg. Daher sitzt nach seinen Worten bei jeder Narkose ein Arzt neben dem Patienten mit dem Ziel, diesem ein Erwachen ohne Nachwirkungen zu ermöglichen und im Falle einer Komplikation unmittelbar eingreifen zu können.
Komplikationsrate von eins zu 10 000
Trotzdem kommt es laut Schüttler immer wieder zu gravierenden Zwischenfällen: Die Komplikationsrate liegt nach seinen Worten bei Narkosen derzeit bei etwa eins zu 10 000, was zum einen am oft nicht unerheblichen Alter und der Komorbidität der Patienten liegt, zum anderen aber auch daran, dass sowohl auf Seiten der Technik als auch auf Seiten des Menschen Fehler nie ganz auszuschließen sind. Die Deklaration nimmt deshalb die Hersteller in die Pflicht, für die Zuverlässigkeit der Narkosegeräte und die Sicherheit der Medikamente zu garantieren und betont andererseits die hohe Bedeutung der Aus- und Fortbildung der Anästhesisten. „Nur bestmöglich qualifizierte Ärzte können ein optimales Narkoseumfeld gewährleisten“, so Schüttler.
Hilfreich sind nach seinen Angaben Patienten-Simulationssysteme, um das Verhalten der Ärzte in kritischen Situationen zu trainieren. Dabei vertritt eine Puppe den Menschen, wobei ein Computer den komplexen menschlichen Organismus simuliert und das bis hin zu Pupillenreflexen und Blutungen.
Noch viele offene Fragen
Das allerdings löst nicht alle Probleme, denn es gibt in der Anästhesiologie nach Professor Dr. Carla Nau aus Erlangen noch viele unbeantwortete wissenschaftliche Fragen. So ist beispielsweise unklar, wie Anästhetika genau wirken, ob sie bei sehr jungen und sehr alten Patienten möglicherweise schädlich sein können und wie tief die Narkose bei Patienten idealerweise sein sollte. Unerforscht ist auch, warum einige Patienten nach der Operation chronische Schmerzen entwickeln, andere dagegen nicht und ebenso bleibt die Frage, wie hoch das Risiko für postoperative Konzentrations- und Gedächtnisstörungen ist, noch offen. Es bleibt nach Nau außerdem noch zu klären, warum einige Patienten nach großen operativen Eingriffen eine Sepsis entwickeln, die schwer zu therapieren ist, andere jedoch in vergleichbaren Situationen nicht. Das macht deutlich, dass auch Zahnärzte auf eine sorgfältige Indikationsstellung hingewiesen werden sollten.
Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln
Mehr auch unter:http://www.dgai.de/aktuelles/Helsinki_Deklaration.pdf