Fusionskontrolle bei Krankenkassen beendet

Auf Konzentrationskurs

Die Fusionskontrolle zählt zum Kerngeschäft des Bundeskartellamts. Doch genau aus dieser zieht sich die oberste Behörde jetzt zurück. Jedenfalls dann, wenn es um die „Hochzeit“ von Krankenkassen geht. Der Kassenheiratsmarkt könnte an Fahrt gewinnen.

Was bisher geschah: Am 25. Januar 2010 kündigten acht gesetzliche Krankenkassen bei einem gemeinsamen Auftritt im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin die Erhebung von Zusatzbeiträgen an. Wegen des Verdachts der unerlaubten Preisabsprache leitete das Bundeskartellamt förmliche Verfahren ein. Dagegen klagten die Kassen vor dem Hessischen Landessozialgericht (Darmstadt). Sie sahen ihr Selbstverwaltungsrecht verletzt und hielten das Kartellrecht für nicht anwendbar. Das Bundeskartellamt hingegen stuft die gesetzlichen Krankenkassen als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts ein. In seinem Urteil (AZ: L 1 KR 89/10 K) entschied das Gericht am 15. September gegen die „Wettbewerbswächter“: „Gemeinsames Handeln der gesetzlichen Krankenkassen im Hinblick auf die Erhebung von Zusatzbeiträgen unterliegt nicht der Kartellaufsicht. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist insoweit nicht anwendbar“, heißt es darin. Laut einer Mitteilung des Gerichts handelten die Kassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und „nicht als Unternehmen“. Die Teilnahme am Preiswettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen und damit auch das auf die Erhebung eines Zusatzbeitrags gerichtete Handeln seien keine wirtschaftlichen Tätigkeiten. Anders als die privaten Versicherungsträger würden die gesetzlichen Krankenkassen eine rein soziale Aufgabe wahrnehmen, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werde. Dabei seien die Krankenkassen im Wesent- lichen zu den gleichen Leistungen verpflichtet und müssten diese unabhängig von der jeweiligen Beitragshöhe erbringen. Zudem seien sie zu einer Art Solidargemeinschaft zusammengeschlossen und hätten unter- einander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen.

Für das Urteil zeigte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, kein Verständnis und entschied kürzlich, die Kontrolle von Versicherungsfusionen zu beenden. Aus seiner Sicht wird sich der Konzentrationsprozess gen Großkassen nun noch beschleunigen. Einzig die Geschwindigkeit sei noch nicht absehbar. Die jetzige Situation empfindet Mundt als „unmöglich“. Das Gesundheitswesen stehe für mehr als ein Zehntel der gesamtdeutschen Wirtschaft und werde nur noch lückenhaft vom Wettbewerbsrecht erfasst, zitiert ihn die „FAZ“. Eingriffsmöglichkeiten habe seine Behörde nur noch im Verhältnis der Kassen zu den Leistungserbringern wie Arznei- mittelindustrie und Krankenhäusern. Einem Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht gibt Mundt keine Chance.

„Wir brauchen mehr als eine Krankenkasse. Es müssen nicht 150 sein. Das soll der Wettbewerb entscheiden“, sagte Bundes-gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auf einer Veranstaltung im BMG in diesem Spätsommer.

Vom GKV-Spitzenverband gab es keine offizielle Stellungnahme. Ann Marini, stellvertretende Pressesprecherin, begründete die Zurückhaltung auf Nachfrage gegenüber den zm: „Wir sind zu Neutralität verpflichtet. Daher haben wir uns hierzu nicht geäußert.“ Im Übrigen sei man ja „nur“ der politische Dachverband. Die Aufsichtspflicht für die gesetzlichen Krankenkassen habe auf Bundesebene das Bundesversicherungsamt (BVA). Auf Länderebene seien die Gesundheitsministerien zuständig. Allerdings wird dort nur eine Fachaufsicht ausgeübt; die wettbewerblichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses bleiben bei der Prüfung durch das BVA, respektive die Aufsichtsbehörden der Länder unberücksichtigt. Auf Nachfrage der zm entgegnete ein Pressesprecher des BVA: „Es handelt sich um eine Entscheidung des Bundeskartellamts, die wir nicht kommentieren.“

Fest steht: Das Bundeskartellamt spielt keinen Schiedsrichter mehr. Der Weg zur möglichen Oligopolbildung ist frei.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.