Netzpolitik

Begleiten und gestalten

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Seit dem Wahlerfolg der Piratenpartei in Berlin erfreut sich das Thema Netzpolitik großer Aufmerksamkeit. Die Internetspezialisten der etablierten Parteien wollen sich von den Newcomern nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Warum die Piraten sie abgehängt haben und welche netzpolitischen Positionen sie selbst vertreten, erklärten Vertreter von fünf Bundestagsparteien im Gespräch mit den zm.

Die Kanzlerin bloggt, Abgeordnete twittern, Parteien stellen ihre Ideen online zur Diskussion. Als Kommunikationsmedium nutzt die Politik das Internet schon längst. Oder anders betrachtet: Keine Partei kann heute mehr darauf verzichten. Das bestätigten die Politiker von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke unisono (siehe Kasten). Alle sind sie bestrebt, Bürgernähe auch im Netz zu suchen.

Für die Mitglieder des Bundestags gehört es andererseits zur Aufgabe, den Prozess der Digitalisierung politisch und gesetzgeberisch zu begleiten. Dazu betreiben alle fünf auf Bundesebene vertretenen Parteien Expertenarbeitskreise, teilweise seit vielen Jahren. Trotzdem gelang es ihnen nicht, die Netzpolitik so erfolgreich ins Gespräch zu bringen wie die Piratenpartei.

Ein neues Lebensgefühl

Die Piraten haben die Netzpolitik nicht erfunden, das behaupten sie selbst am allerwenigsten. Viele ihrer Inhalte befürworten auch die Kollegen aus den etablierten Parteien. Große Einhelligkeit herrscht unter anderem bei der Forderung nach einem freien und gleichberechtigten Zugang zum Internet für alle Bürger, insbesondere für Einkommensschwache und für Menschen in Regionen ohne schnelle Datenleitungen. Ganz auf einer Linie mit den Piraten liegen Linkspartei, Grüne und FDP mit ihrer Absage an die Vorratsdatenspeicherung. Für die Popularität der Piraten nennen die befragten Netzpolitiker unterschiedliche Gründe. „Den Piraten ist es gelungen, ein neues Lebensgefühl zu vermitteln und zu vermarkten“, erklärt Jimmy Schulz, Internetexperte der FDP-Bundestagsfraktion. Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Die Linke, kommt zu dem Schluss: „Der Politikstil, den die Piraten pflegen – also Transparenz und raus aus isolierten Politikstrukturen – ist anziehend für viele Menschen.“

Nur teilweise mit Netzpolitik und vielmehr mit Protest habe der Sieg in Berlin zu tun gehabt, findet Malte Spitz, der im Bundesvorstand der Grünen für die Netzpolitik verantwortlich ist. Michael Kretschmer, Vorsitzender des netzpolitischen Arbeitskreises der CDU, sieht darin alleinig ein Protestsignal.

Lars Klingbeil von der SPD nennt noch einen weiteren Grund. Die Anziehungskraft der Piraten ergebe sich aus der Möglichkeit der direkten Beteiligung. „Man kann Politik zwar in Echtzeit verfolgen, aber nicht in Echtzeit mitreden. Das stört viele“, so der netzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Den Sieg der Piraten sieht er als große Chance für die Netzpolitik: „Das Interesse daran ist spürbar gewachsen. Ich habe auch schon vorher dafür geworben, aber es hat wenige interessiert. Die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen, ist jetzt viel größer – aber es hat den externen Einfluss der Piraten gebraucht.“

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Exotenstatus schwindet

Auch Klingbeils Kollegen in den anderen Bundestagsparteien stellen fest, dass die Netzpolitik immer öfter Thema in ihren Parteien ist. Lange Zeit sei das anders gewesen, erzählt FDP-Mann Schulz: „Für viele Politiker war das Internet ein Exoten-Randthema, das eine rein technische, aber keine gesellschafts- und wirtschaftspolitische Bedeutung hatte. Das ist jetzt vorbei. Die Parteien und ihre Führungen haben erkannt, dass Digitalisierung und globale Vernetzung unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie nachhaltig verändern.“

Dass das Thema Digitalisierung im politischen Tagesgeschäft ankommt, zeigen auch die Parteitage der vergangenen Wochen und kommenden Monate. Sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch die SPD brachten umfangreiche netzpolitische Leitanträge zur Abstimmung, und die FDP arbeitet an einem netzpolitischen Positionspapier. Es soll als wesentlicher Bestandteil in das FDP-Grundsatzprogramm eingehen, das die Liberalen auf ihrem Parteitag im März 2012 beschließen wollen.

Die grundsätzliche Formulierung netzpolitischer Ziele ist laut der fünf Experten notwendig, um auf die wirklich wichtigen Themen des digitalen Wandels hinzuweisen. Ein zentraler Punkt für Klingbeil ist die massive Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung: „Es gibt völlig neue Berufsbilder in der Internetbranche, die viele selbstständige Beschäftigungsverhältnisse hervorbringen. Unternehmen lagern Arbeitsbereiche an Selbstständige aus. Außerdem arbeiten immer weniger Menschen an einem festen Ort zu festen Zeiten. Der klassische Betriebsbegriff löst sich auf. Das ist ein Thema, das die komplette Wirtschaft betrifft und dessen sich die Politik annehmen muss.“

Medienkompetenz zu vermitteln, bezeichnen alle fünf Sprecher als eine weitere Hauptaufgabe von Politik. „Im Umgang mit dem Netz besteht sowohl in weiten Teilen der Bevölkerung als auch in Parteikreisen Unkenntnis über Funktionsweisen und Mechanismen“, gibt Kretschmer, zu bedenken. „Die Gefahren im Netz bestehen vor allen Dingen, weil viele nicht wissen, dass es sie gibt. Deswegen brauchen wir eine breit angelegte Aufklärung zum Internet.“

Die Linkspartei betont den Aspekt soziale Gerechtigkeit. „Zur Netzpolitik gehört es sicherzustellen, dass Menschen mit geringem Einkommen am Kulturraum Internet teilhaben können“, so Wawzyniak. Um das zu gewährleisten, sollte der Staat die Anschaffung internetfähiger Hardware erstatten und kostenlose W-LAN-Netze bereitstellen.

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Diskussion versachlichen

Das Internet werde in der Politik meistens als Gefahr und nicht als Chance betrachtet, bedauern die Netzpolitiker der Bundestagsparteien. Sie hoffen, dass mit wachsendem Wissensstand Vorurteile und angstbestimmte Debatten verschwinden. „Oft wird in der Diskussion über die Digitalisierung Themen- Hopping betrieben. Es fehlt eine klare Linie“, beobachtet Spitz. „Die Debatten sind sehr schnelllebig. Hat man sich beispielsweise vor zwei Monaten über den Bundestrojaner aufgeregt, ist es ein paar Wochen später etwas Anderes. Der Fehler ist, die Debatten nicht zu Ende zu führen. Die Parteien müssen lernen, die Themen der Netzpolitik kontinuierlich weiterzuentwickeln.“

Nicht populistisch, sondern sachlich lautet die Forderung der Internetexperten. Genügend Gesprächsstoff gibt es – und auch Konfliktpotenzial. Das zeigen schon die unterschiedlichen Positionen der Koalitionspartner CDU und FDP in punkto Vorratsdatenspeicherung. Die Union plädiere aus Gründen der Strafverfolgung für die Möglichkeit, IP-Adressen zu speichern, sagt Kretschmer. Aber, fügt er hinzu: „Vorratsdatenspeicherung ist ein Punkt, der sehr gut abgewogen werden muss. Wir wollen nicht, dass Bewegungsprofile entstehen. Das Ziel muss sein, möglichst wenige und nur die Daten, die wir wirklich brauchen, zu sammeln.“

Die FDP lehnt die Vorratsdatenspeicherung bekanntlich ab und setzt auch sonst nicht auf eine Internetgesetzgebung: „Es existiert bereits ein rechtlicher Rahmen. Ein Betrug ist ein Betrug, egal, ob er per Brief oder E-Mail begangen wird. Es gibt aber durchaus Bereiche, in denen wir justieren müssen. Zum Beispiel passt das Rundfunkrecht nicht auf das Internet. In solchen Fällen müssen wir bestehende Gesetze anpassen, aber neue Regeln und Verbote brauchen wir nicht.“

Susanne TheisenFreie Journalistin in Berlininfo@susanne-theisen.de

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