Antikoagulantien in der Diskussion

Gerinnungshemmung heißt erhöhtes Blutungsrisiko

Schon kurz nach dem Start der breiten Anwendung beim Vorhofflimmern gerät der erste für diese Indikation zugelassene Vertreter der neuen Antikoagulantien, der Wirkstoff Dabigatran, in die Kritik. In großen Schlagzeilen wird über Todesfälle durch unerwünschte Blutungen berichtet. Vergessen wird dabei zum Teil, dass Gerinnungshemmung nicht „zum Nulltarif“ zu haben ist und auch bei den Heparinen und den üblicherweise in der Langzeittherapie eingesetzten Vitamin-K-Antagonisten ein stark erhöhtes Blutungsrisiko besteht.

Von mehr als 250 Todesfällen durch schwere Blutungen war zu lesen und von Herzinfarkten nach der Einnahme des neuen Thrombin- Inhibitors Dabigatran (Pradaxa®). Das hat Patienten, die das Präparat erhalten, verunsichert und nicht selten zum eigenmächtigen Absetzen der gerinnungshemmenden Medikation veranlasst. Die Verunsicherung war so groß, dass sich nun vier Fachgesellschaften zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengetan haben. Explizit raten die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Deutsche Herzstiftung (DSH) allen Patienten, die Behandlung fortzuführen und nur in enger Absprache mit ihrem behandelnden Arzt eine Anpassung der Dosierung vorzunehmen.

Die Experten der Fachgesellschaften haben – das wurde betont – diese Empfehlung nach eingehender Prüfung der vorliegenden Daten ausgesprochen. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass die neuen Antikoagulantien „deutliche Vorteile gegenüber den bereits länger als 50 Jahre eingesetzten Vitamin-K-Antagonisten“ besitzen. In großen Studien wurde für die neuen Antikoagulantien bei mindestens gleicher Wirksamkeit insbesondere ein geringeres Blutungsrisiko und vor allem ein geringeres Risiko für schwer verlaufende Blutungen dokumentiert.

Zum Hintergrund: Es gibt verschiedene Indikationen für den Einsatz eines Gerinnungshemmers. Die Palette reicht von der Thromboseprophylaxe bei operativen, mit hohem Thromboserisiko verbundenen Eingriffen über die Behandlung und die Sekundärprophylaxe von Thrombosen bis hin zur Schlaganfallprophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern. Ziel der Behandlung, die bislang üblicherweise mit niedermolekularen Heparinen und/oder einem Vitamin-KAntagonisten (VKA), wie dem international meist eingesetzten Warfarin oder dem in Deutschland gebräuchlichen Phenprocoumon (bekannter als Marcumar®), erfolgte, ist die Hemmung der Blutgerinnung und damit die Prophylaxe einer Thrombenbildung.

Lange wurde nach Alternativen gesucht. Denn die Behandlung mit Heparin ist nicht oral möglich, sondern erfolgt in aller Regel als subkutane Injektion mit allen damit verbundenen Konsequenzen wie der regelmäßigen Injektion, der Hämatombildung und auch dem Risiko einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT), übrigens auch einer potenziell lebensbedrohlichen Komplikation. Gegen die VKA sprechen die nur geringe therapeutische Breite der Wirkstoffe und die schwankenden Wirkspiegel, was regelmäßige Gerinnungskontrollen notwendig macht, die oft schwierige Einstellung auf den Ziel-INR-Wert und die Tatsache, dass umfassende Interaktionen mit Arzneimitteln und auch Nahrungsmitteln zu beachten sind.

Seit mehreren Jahren sind Alternativen verfügbar mit dem direkten Thrombininhibitor Dabigatran, der nun in die Schlagzeilen geriet, sowie den beiden Wirkstoffen Rivaroxaban und seit Kurzem auch Apixaban, die als orale Faktor-Xa-Hemmer einen etwas anderen Wirkmechanismus aufweisen. Dabigatran und Rivaroxaban sind bereits seit Längerem zur Thromboseprophylaxe bei orthopädischen Operationen (Knie- und Hüftgelenkersatz) zugelassen, so dass schon umfassende therapeutische Erfahrungen vorliegen. Seit Kurzem gibt es für beide Wirkstoffe auch eine offizielle Zulassung zur Schlaganfallprophylaxe beim Vorhofflimmern, nachdem durch groß angelegte Studien mit Tausenden von Patienten eine eindeutige klinische Wirksamkeit bei gegenüber Warfarin deutlich geringerem Risiko für schwere und intrakranielle Blutungen dokumentiert wurde.

Blutungsrisiko im direkten Vergleich

Dabei bleibt selbstverständlich das generelle Problem bestehen, dass bei der Behandlung mit Antikoagulantien im Einzelfall stets sorgfältig zwischen dem bestehenden Thromboserisiko infolge der Grunderkrankung und dem pharmakologisch induzierten Blutungsrisiko durch die Gerinnungshemmung abzuwägen ist. Auch müssen Spezifika der Medikation wie etwa die vorwiegend renale Ausscheidung von Dabigatran beachtet werden, was zum Beispiel bei Patienten mit Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung erforderlich machen kann.

Wie relevant das Blutungsrisiko unter Dabigatran im Vergleich zu den VKA ist, haben die vier Fachgesellschaften nunmehr anhand der vorliegenden Daten hochgerechnet: Demnach liegt die Rate tödlicher Blutungen unter Dabigatran derzeit bei 63/100 000 Patienten und damit niedriger, als nach den Studiendaten prognostiziert worden war (230/100 000 Patienten). Würden die Patienten weiterhin wie bisher mit Phenprocoumon behandelt, ständen dem – so die Stellungnahme der Fachgesellschaften – 330 tödlich verlaufende Blutungen pro 100 000 Patienten entgegen. Das Thema Antikoagulantien folgt in einem der kommenden Repetitorien noch umfassender mit Fokus auf den Praktiker.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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