Alles unter einem Hut
„Familienfreundlichkeit fordert in den nächsten Jahren Praxen und Krankenhäuser noch intensiver als bisher heraus. Die Nachfrage nach familienfreundlichen Arbeitszeiten und nach mehr Teilzeitarbeitsstellen für Ärzte und Ärztinnen wird weiter zunehmen“, so Prof. Dr. Frieder Hessenauer, Präsident der Landesärztekammer Rheinland- Pfalz (LÄK RP) bei einer Fortbildungsveranstaltung in Mainz, die gemeinsam von der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Pflegepersonen sowie dem Verband der Krankenhausdirektoren veranstaltet wurde. Erforderlich seien insbesondere flexiblere Arbeitszeitmodelle und eine verlässliche Kinderbetreuung vor Ort.
Mit der ist es an deutschen Krankenhäusern allerdings noch nicht weit her. Eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts ergab, dass bislang lediglich 19,2 Prozent aller Kliniken eine betriebliche Kinderbetreuung anbieten. 34,6 Prozent wiederum ermöglichen eine Verlängerung der Elternzeit über den gesetzlichen Anspruch hinaus. 54,1 Prozent gewähren Sonderurlaub aus familiären Gründen.
Kindergartenangebot gefordert
Dass ein Betriebskindergarten bedeutsam für die Personalgewinnung und -bindung sein kann, belegt das Beispiel des DRKKrankenhauses Kirchen. Bereits in den Vorstellungsgesprächen werde auf die Möglichkeit hingewiesen, den Nachwuchs während der Arbeitszeiten im Kindergarten des Krankenhauses unterbringen zu können. „Insbesondere beim ärztlichen Dienst stößt das Angebot auf großes Interesse“, erklärte Klaus Schmidt, Kaufmännischer Direktor der Klinik. Das Ergebnis seien eine Zunahme der Bewerbungen und eine höhere Personalbindung. Familienfreundlichkeit könne zudem ein wichtiger Erfolgsfaktor im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt sein, betonte Bernd Decker vom Verband der Krankenhausdirektoren. Dabei konkurrieren Krankenhäuser sowohl untereinander als auch mit niedergelassenen Praxen um qualifiziertes Personal.
Fachkräftemangel erwartet
Flexible Arbeitszeitangebote sind auch deshalb von enormer Bedeutung, da es unter anderem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren zu einem dramatischen Fachkräftemangel kommen wird. Dr. Annegret Schoeller von der Bundesärztekammer (BÄK) wies darauf hin, dass Studien zufolge die Personallücke im ärztlichen Bereich bis 2030 schätzungsweise auf 165 000 Kräfte anwachsen wird. Im nicht-ärztlichen Bereich blieben zum selben Zeitpunkt möglicherweise sogar 786 000 Stellen unbesetzt. „Bislang ist Teilzeitarbeit die häufigste Antwort auf die Doppelbelastung durch Arbeit und familiäre Pflichten“, sagte Schoeller. „Sinnvoller wäre jedoch der Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten, um die Teilzeitarbeit zurückzudrängen und damit das Fachkräftepotenzial insbesondere bei Frauen besser auszuschöpfen.“
Konrad Einig, Leiter Personalmanagement im Koblenzer Stiftungsklinikum Mittelrhein, bemängelte, dass Mitarbeiterbindung derzeit noch vornehmlich reaktiv betrieben werde, wenn zum Beispiel jemand kündigen wolle. Dies sei der falsche Weg, zumal Zahlen belegten, dass viele Ärzte sich in ihrem Job nicht wohl fühlen.
Mit Berufswahl unzufrieden
So ergab eine Befragung von 729 Assistenzärzten durch die Fachhochschule Münster, dass 20 Prozent mit ihrer Berufswahl unzufrieden sind. Nur ein Drittel würde den Arztberuf weiterempfehlen. Hauptgründe für die Unzufriedenheit sind Stress im Berufsalltag (57,2 Prozent) und zu wenig Freizeit (54,6 Prozent). 94,7 Prozent der befragten Assistenzärzte wünschen sich zudem eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Eine geringere Fluktuationsrate und eine höhere Zufriedenheit rechneten sich auch betriebswirtschaftlich für Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen, betonte die Gesundheitsministerin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer. Sinnvolle Lösungsansätze, die mehr Flexibilität ermöglichten, seien beispielsweise Weiterbildungsangebote in Teilzeit, Telearbeitsplätze sowie Fortbildungsmöglichkeiten während der Elternzeit beziehungsweise Beratungsangebote für Wiedereinsteiger in den Beruf. Um familienfreundliche Angebote im Gesundheitswesen flächendeckend realisieren zu können, bedürfe es einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Unternehmen und der ärztlichen Selbstverwaltung, mahnte Schoeller. Andere europäische Staaten, wie Frankreich und die skandinavischen Länder, seien hier schon weiter.
Petra SpielbergAltmünsterstr. 165207 Wiesbaden