Die Zeit ist reif
Seit mehr als 20 Jahren engagieren sich bundesweit Zahnmediziner mit Unterstützung ihrer Organisationen für eine Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung. Lange scheiterten diese Bemühungen allein an der Definition der Anspruchsberechtigung. Die Forderung nach einem gesetzlich geregelten Leistungsanspruch wurde bereits beim 1. Internationalen Symposiums zur zahnärztlichen Betreuung von Menschen mit Behinderung im April 2004 in Berlin nicht nur durch die Zahnmedizin selbst, sondern auch durch Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen laut. Fortsetzung fanden diese Bemühungen in den letzten Jahren in einer ganze Reihe von Veranstaltungen.
Handlungsbedarf
Über den dringenden Handlungsbedarf bestand auf allen Ebenen Konsens. Im Ergebnis wurde seitens der Zahnmedizin und ihrer wissenschaftlichen Fachgesellschaften die Ausarbeitung „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter – Konzept zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen“ mit Lösungsvorschlägen unterbreitet. Wissenschaftlich fundiert werden darin präventive und therapeutische Leistungen, der Ausgleich des Mehraufwandes für die zahnmedizinische Behandlung und die Verankerung der Anspruchsberechtigung in § 22a SGB V für Menschen mit zahnmedizinisch relevanten Behinderungen gefordert. Im Entwurf des Bundeskabinetts für das Versorgungsstrukturgesetz sucht man allerdings die lang diskutierten notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der zahnmedizinischen Betreuung von Menschen mit Behinderung vergeblich. Zeigt sich die Qualität eines Gesundheitssystems nicht auch in der (zahn)medizinischen Versorgung der Schwächsten?
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist seit 26. März 2009 auch für Deutschland verbindlich. Als Meilenstein in der Behindertenpolitik wird damit das Recht auf Partizipation und umfassenden Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen formuliert und eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft gefordert. Zur Umsetzung dieser Rechte soll der im Juli 2011 beschlossene nationale Aktionsplan der Bundesregierung beitragen.
Im Versorgungsstrukturgesetz sind deshalb nun auch Regelungen zur Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit notwendig, die sowohl der Umsetzung der UN-Konvention als auch dem grundgesetzlichen Auftrag entsprechen, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf (Artikel 3 Abs. 3 GG).
Nach mehr als 20 Jahren ist die Zeit reif zu handeln! Es besteht die Chance, das medizinische Versorgungssystem gesetzlich so weiterzuentwickeln, dass Menschen mit zahnmedizinisch relevanter Behinderung der Leistungsanspruch zum Erreichen einer gleichwertigen Zahn- und Mundgesundheit gesetzlich garantiert werden kann. Die Umsetzung dieses Grundrechts für Menschen mit Behinderung darf keine Frage von Finanzen sein.
Es ist deshalb an der Zeit, das GKV – Versorgungsstrukturgesetz nun endlich für eine gesetzliche Regelung zur Lösung der zahnmedizinischen Versorgungsprobleme bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung zu nutzen.
Dr. Imke Kaschke MPH2. Vorsitzende AG Zahnärztliche Behindertenbehandlung im Bundesverband der Oralchirurgen