Frischer Wind und neues Denken
Die Gesundheitsbranche hat sich zu Deutschlands größtem Industriezweig entwickelt (siehe Kasten) und sogar die Automobilbranche abgehängt. Angesichts dieses industriepolitischen Paradigmenwechsels wunderte sich Tagungspräsident Prof. Heinz Lohmann in seiner Eröffnungsrede über öffentliche Diskussionen und brancheninterne Diskurse, die „zu häufig immer noch angstbesetzt“ seien, wenn es darum geht, „auf die in anderen Branchen längst bewährten Kräfte des Wettbewerbs zu vertrauen“. Die Öffnung des Marktes in der Telekommunikation sei als ein gutes Beispiel anzusehen, schließlich habe diese dank des verschärften Wettbewerbs zu mehr Verbraucherfreundlichkeit geführt. Und dies, obwohl es auch in diesem Wirtschaftsbereich anfänglich große Zweifel gab.
Patientensouveränität, so Lohmann, sei inzwischen ein augenscheinlicher Aspekt des Gesundheitssystems. Informierte und damit gestärkte Verbraucher erwarteten vor allem Qualität in der medizinischen Versorgung. Mit dem Fokus auf mehr Übersichtlichkeit und größere Transparenz erneuerte Lohman darum seine Forderung nach einer „Stiftung Gesundheitstest“.
Versorgungsgesetz ist teilweise Rückschlag
Kritik übte Lohmann an der aktuellen gesundheitspolitischen Debatte um das Versorgungsgesetz. Das Gesetz müsse in einigen Punkten als Rückschlag bewertet werden. So gängele der Bund die Medizinischen Versorgungszentren und die Länder gängelten die Integrierte Versorgung. Die Beschränkung des Kreises der Träger von Medizinischen Versorgungszentren auf Vertragsärzte und Krankenhäuser sowie die Beschränkung der zulässigen Rechtsform auf Personengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung seien Rückschritte. Gleichermaßen kontraproduktiv sei der Kampf der Länder um mehr Einfluss auf die Integrierte Versorgung.
Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks betonte die immer wichtiger werdende Verknüpfung der beiden Bereiche Gesundheit und Wirtschaft: „Gesundheitswirtschaft und Gesundheitsversorgung sind eins“, so die Senatorin. Die Gesundheitswirtschaft werde sich im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Wirtschaftlichkeit entwickeln, für Wachstum sorge allein schon der demografische Faktor. Hierbei kämen dem Personalmanagement und der Gesundheitsförderung der im Gesundheitswesen Beschäftigten bedeutsame Rollen zu, „damit die Menschen möglichst lange in der Gesundheitsversorgung arbeiten können“, so Prüfer-Storcks.
Anreizsysteme im Blickpunkt
Ulf Fink, Senator a. D. und ebenfalls Kongresspräsident, blickte über den Tellerrand hinaus und stellte Überlegungen über generelle Anreizsysteme im Gesundheitswesen an. „Wie erreicht man, dass Menschen sich selbst darum bemühen, gesund zu bleiben?“ Dieser Frage gelte weiterhin höchste Priorität, wolle man gesundheitliche Versorgung langfristig gestalten. Kein Gesundheitssystem der Welt könne es sich leisten auf die selbstmotivierenden Kräfte seiner Versicherten zu verzichten, so Fink.
Unterstützung erhielt Fink beim Thema Anreizsysteme von Thüringens Wirtschaftssenator Matthias Machnig. Er bezweifelte in einer unter dem Motto „Gesundheitswirtschaftspolitik: Frischer Wind durch neues Denken“ stehenden Diskussion, ob die Zusatzbeiträge der Krankenkassen als Anreize für Versicherte reichen. Stattdessen forderte er einen „echten Wettbewerb um die Qualität medizinischer Versorgung“. Private Vorsorge sei gut und schön, so Machnig, „aber wie sollen die Versicherten privat vorsorgen, wenn die Reallöhne seit geraumer Zeit stagnieren und die Leute weniger in den Taschen haben?“ Für die Zukunftssicherung der gesetzlichen Krankenversicherung empfahl er, zunächst einmal deren Wirtschaftlichkeitsreserven zu nutzen.
Während der Vorstandsvorsitzende des Albertinen Diakoniewerks, Prof. Dr. Fokko ter Haseborg, zugleich zweiter Vorsitzender der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, die größten Effizienzreserven vorwiegend zwischen und weniger in den einzelnen medizinischen Sektoren ausmachte, war auch der Wirtschaftsingenieur und Unternehmer Thomas Pfänder der Ansicht, dass die Effizienzreserven im System noch längst nicht ansatzweise angepackt, geschweige denn gehoben seien. „Eine Prozessoptimierung im Gesundheitswesen ist möglich“, so Pfänder. Mit „Cost cutting“ sei nicht zuerst die Mitarbeiterreduktion gemeint, wie oft befürchtet werde. Er verwies auf das Beispiel einer geplanten Klinik in Riesa. Diese werde zunächst komplett digital entworfen, erst danach werde gebaut. So könnten Investitionen von Anfang an sinnvoll eingesetzt werden. Für derlei Projekte sei allerdings ein „neues Denken“ gefordert. sg