Private Ketten auf dem Vormarsch
Schramberg im März 2011. Das kleine Schwarzwald-Städtchen befindet sich im Ausnahmezustand. Ansonsten eher unauffällige Bürger gehen auf die Straße und demonstrieren für den Erhalt ihres Krankenhauses. Am 14. März sind es sogar mehrere Tausend, die sich vor dem Rathaus eingefunden haben. Von der Tribüne sind aufpeitschende Reden zu hören. „Mit unfassbarer Gefühlskälte“ hätten die Kreisräte für den Abbau von 350 Arbeitsplätzen gestimmt, wettert zum Beispiel Gemeinderat Uli Bauknecht am Mikrofon.
Ende Februar hatte der Kreistag in letzter Konsequenz für die Schließung der traditionsreichen Klinik gestimmt. Das Haus steckte tief in den roten Zahlen, und die Helios Kliniken GmbH hatte sich erboten, das Schramberger Krankenhaus und gleich auch noch eine zweite Klinik im nahe gelegenen Rottweil zu übernehmen. Das Rottweiler Krankenhaus soll nun ausgebaut werden – für die Schramberger kommt indessen das Aus.
Der Trend zur privaten Übernahme
Schramberg ist kein Einzelfall. In ganz Deutschland werden Krankenhäuser geschlossen – oder von privaten Betreibern übernommen. Allein in den vergangenen Wochen wurden mehrere neue Fälle bekannt, bei denen nun die Notbremse gezogen werden soll. So geriet das schwäbische Krankenhaus Marktoberdorf in die Schlagzeilen, das Johanniter-Krankenhaus in Radevormwald und die Kliniken Hohenlohe in Baden-Württemberg.
Während in den 80er-Jahren private Ketten bei der Versorgung der Patienten in Deutschland praktisch noch keine Rolle spielten, liegt ihr Marktanteil inzwischen bei etwa 15 Prozent, wie das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen ermittelt hat. Öffentlichrechtliche Träger halten inzwischen lediglich noch etwa 50 Prozent. Die übrigen 35 Prozent entfallen auf freigemeinnützige Organisationen.
Neben der Marktverschiebung nimmt auch die Zahl der Krankenhäuser ab. Inzwischen gibt es nur noch 2 065 Krankenhäuser im Land. Das sind rund 180 weniger als noch vor zehn Jahren. Das RWI geht davon aus, dass weitere Kliniken aus dem Markt scheiden werden. Bis zum Jahr 2020 könnten weitere zehn Prozent aufgeben, so die Prognose. Voll investitionsfähig seien in Deutschland zurzeit überhaupt nur etwa ein Drittel der Krankenhäuser. Die übrigen verdienten nicht genug.
Die privaten Anbieter hingegen haben sich in den vergangenen Jahren zum Teil zu Großkonzernen entwickelt. Ganz vorne dabei – und praktisch gleich aufliegend – die Helios Kliniken GmbH und die Rhön-Klinikum AG. Jeder der Konzerne setzt jährlich rund 2,5 Milliarden Euro um – bei jeweils über zwei Millionen Patienten. Ein Großteil der Patienten sind dabei gesetzlich Versicherte. Ganz so, wie es die Kassenpatienten gewöhnt sind, rechnen auch die privaten Kliniken direkt mit den Kassen ab. Der Versicherte muss am Empfang nur seine Chipkarte vorlegen. Dies ist möglich, weil die privaten Kliniken in die reguläre Versorgung mit aufgenommen wurden. Lediglich in Einzelfällen stehen ihre Leistungen tatsächlich nur Privatpatienten offen.
Das Expansionskonzept der Privaten ist ebenso simpel wie schlüssig: Defizitäre Kliniken sollen möglichst preiswert aufgekauft und dann auf Rendite getrimmt werden. Das typische Szenario sieht so aus: Eine Kleinstadt hat ihr Krankenhaus bislang wie ein Amt geführt und unternehmerische Entscheidungen nach Parteienproporz gefällt. Nun steckt das Haus tief in den Miesen, weil es dem Kostendruck im Gesundheitswesen nicht gewachsen ist. Auch die Kommune schlägt sich mit Geldsorgen herum und überlässt das Krankenhaus schließlich zähneknirschend einem privaten Klinikbetreiber. Dieser nimmt die längst überfälligen Investitionen vor, führt eine leistungsgerechtere Bezahlung ein und senkt die Kosten der Klinik, indem er unrentable Abteilungen schließt, Abläufe strafft und bestimmte Dienstleistungen auslagert. Nach einer Übergangsphase wirft das Haus plötzlich Gewinne ab.
Die Erfolge und die Schwächen
Die Rechnung der privaten Klinikbetreiber geht meistens auf. Allerdings hat die Branche bis heute ein Image-Problem. Kann ein Unternehmen, das vom schnöden Mammon regiert wird, für seine Patienten tatsächlich nur das Beste wollen – wo doch in Sachen Gesundheit das Beste gerade gut genug ist? Die Frage wird in der Öffentlichkeit nach wie vor heiß diskutiert. Einen vorläufigen Höhepunkt stellte dabei im Jahr 2005 ein Interview mit dem damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ dar. Dort klagte Hoppe „Statt Mildtätigkeit regiert der Kommerz“ und „Der Mensch wird zum Verlierer“. Dem Magazin zufolge verdächtigte Hoppe damals Helios und Co., sie würden Patienten lieber blutend auf die Straße setzen, als ihre Gewinnmarge zu gefährden.
Seither haben die kommerziell arbeitenden Häuser allerdings eine ganze Menge Punktsiege im Kampf um die öffentliche Meinung erzielt. Ein geradezu sensationeller Erfolg kam nun mit dem aktuellen „Krankenhaus Rating Report“ des RWI. Für diesen hatten die Wissenschaftler öffentlich zugängliche Qualitätsdaten von Krankenhäusern mit Daten über die Wirtschaftlichkeit der Häuser verglichen. Ergebnis: „Es bleibt festzustellen, dass sich Wirtschaftlichkeit und Qualität nicht ausschließen, sondern im Gegenteil sogar gegenseitig zu begünstigen scheinen.“ In den Marketingabteilungen der privaten Klinikketten dürften die Sektkorken geknallt haben.
Die Privaten haben gezeigt, dass sie Patienten versorgen können. Doch die allgemeine Skepsis gegenüber der finanzkräftigeren Konkurrenz bleibt. So wirft ihnen zum Beispiel Dr. Johannes Kramer „Rosinenpickerei“ vor. Nach Einschätzung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Dienstleistungsund Einkaufsgemeinschaft Kommunaler Krankenhäuser eG konzentrieren sich die Privaten weiterhin auf nur wenige Erkrankungsarten. Dadurch hätten sie eine deutlich geringere Anzahl schwerer und teurer Fälle als etwa kommunale Häuser. Und Hoppe gab in einem Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt zu bedenken: „Wenn die Privaten aber ein Land komplett versorgen müssten, hätten sie dieselben Probleme wie die öffentlichen Kliniken.“
Die gegenläufige Entwicklung
Hinweise, dass das Wachstum der Privaten begrenzt sein könnte, gibt es durchaus. Inzwischen haben nämlich auch die ersten erwerbswirtschaftlich orientierten Wettbewerber den Rückzug angetreten. Den Anfang dürfte der Helios-Konzern im Jahr 2007 gemacht haben, als er das Krankenhaus Herbolzheim in der Nähe von Freiburg an die öffentliche Hand zurückgab. Seither sind weitere Fälle bekannt geworden.
Ganz gleich, wie weit die Privatisierung noch voranschreiten mag, zumindest auf die Flure der öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser hat sie frischen Wind geweht. Angesichts der schnell wachsenden Konkurrenz haben viele Kommunen ihren Kliniken inzwischen mehr unternehmerische Freiheiten eingeräumt. Auf diese Weise sollen sie im Wettbewerb bestehen. Aus den „Verwaltungsämtern“ von einst wurden durchaus moderne GmbHs, die nun ebenfalls auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit achten. Eine neue Konkurrenz entsteht – diesmal aber für die Privaten.
Andrea SteinertFreie WirtschaftsjournalistinEverhardstr. 6350823 Kölnandrea.steinert@t-online.de