Gut ist oft besser als perfekt
In der Zahnarztpraxis kommt es in vielen Bereichen auf genaues Arbeiten an. Deshalb steht man oft unter Stress, da man perfektes Handeln erwartet. Für ein entspannteres Dasein jedoch ist es nötig, nicht der extremen, überengagierten Sucht des Perfektionismus zu verfallen.
Die Behandlung von Zahnschäden, der Umgang mit Patienten, Bestellungen, die Kommunikation mit den Angestellten, Hygiene und Ordnung – der Arbeitsplatz Praxis bietet jede Menge Arbeitsfelder, in denen man sich perfekt betätigen kann. In den letzten Jahren ist der Zahnmediziner darüber hinaus häufig gezwungen, sich von heute auf morgen auf ungeliebte und oft überflüssige Änderungen durch gesetzliche Verordnungen einzustellen, die teilweise als Restriktion empfunden werden. Der Druck von außen wird zum eigenen – und trotzdem wird erwartet, dass alles fehlerlos funktioniert. Dadurch entsteht noch mehr Stress.
Zwei Perfektionistentypen
Grundsätzlich werden zwei Arten von Perfektionisten unterschieden: der introvertierte und der extrovertierte Typus. Ersterer zeichnet sich dadurch aus, dass er unerbittlich gegen sich selbst ist, sich Fehler nicht vergeben kann, sich selbst abwertet und unter sich leidet.
Der Extrovertierte hingegen sieht Fehler und Schwächen vorwiegend bei anderen und kritisiert deren Unvollkommenheit, kann sich selbst leichter verzeihen, hat oftmals Schwierigkeiten mit anderen und leidet an ihnen. Das kann zu Störungen des Betriebsklimas führen.
Der extrovertierte Typ Mediziner läuft absoluten Forderungen hinterher und erreicht sie nicht. Dadurch entsteht Grund zum Nörgeln und Unglücklichsein, er ist fehlerstatt erfolgsorientiert. Aus Angst vor Fehlern packt der Zahnarzt auch manche Aufgaben gar nicht erst nicht an, die Leistungsfähigkeit ist von Anfang an gebremst, es besteht Kontrollzwang. Als Konsequenz bemerkt der Patient eventuell eine für ihn nicht erklärbare Unsicherheit und bezweifelt die Kompetenz des Arztes.
Keine Schuldgefühle
Der Perfektionist verlangt von sich im Nachhinein, er hätte vorhersehen müssen, was er mit seinem Verhalten anrichtet. Bei Misserfolgen verurteilt er nicht sein Verhalten in diesem einen Fall, sondern sich als Mensch. Außerdem macht er sich für Dinge verantwortlich, über die er nur bedingt Kontrolle hat. Um Schuldgefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen, helfen folgende Fragen: Entsprechen meine Bewertung und meine Schlussfolgerungen den Tatsachen? Helfen mir die Beurteilung der Situation und meine Folgerungen daraus, mich so zu fühlen und zu verhalten, wie ich es möchte?
Das 80:20-Prinzip
Hilfreich für Perfektionisten, ihr Verhalten zu ändern, ist das 80:20-Prinzip. Dieses Prinzip stammt von Vilfredo Pareto, einem Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert. Es besagt, dass es in einem System wie dem Wetter, der Wirtschaft, der Familie oder auch dem Menschen einige wenige Punkte gibt, die einen überproportional großen Einfluss auf die Gesamtheit haben. So machen zum Beispiel 20 Prozent der Kunden eines Unternehmens 80 Prozent des Umsatzes aus.
Übertragen auf die persönlichen Leistungen bedeutet das Prinzip: 20 Prozent der eigenen Anstrengungen sind für 80 Prozent des Erfolgs verantwortlich. Spinnt man diesen Gedanken weiter, erscheint es nützlich, sich in seinen Handlungen vorrangig auf die 20 Prozent zu konzentrieren, die den größten Erfolg bringen. Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, überall das Optimum zu verlangen und dadurch einen Großteil an Kraft für ein geringes Mehr an Effektivität zu verlieren. In der Praxis heißt das: Die Erfolg versprechendsten Tätigkeiten sind immer zuerst zu erledigen.
Für den Zahnarzt kann das bedeuten, sein Arbeitspensum eventuell einzuschränken und dafür in Ruhe zu behandeln – oftmals unter Erzielung des gleichen Umsatzes wie vorher. Am besten teilt die Praxisleitung auch ihrem Team mit, wo die Präferenzen liegen. Die Beobachtung, welche Arbeiten erst einmal überflüssig sind, weil sie nur sehr wenig zum großen Ganzen beitragen, zeigt den Weg zu weiterem Zeit- und Kraftsparen. Auch können Aufgaben im Team möglicherweise besser delegiert werden.
Keine Angst vor Fehlern
Es ist besser zu handeln, statt in Angst vor Fehlern tatenlos zu verharren – auch wenn nicht alles klappt. Rückschläge sind Zeichen des Vorwärtskommens. Hat man es schon einmal geschafft, bewusst nicht mehr zu leisten, schafft man es auch ein zweites Mal. Zum Erlernen einer neuen Fähigkeit ist eine gewisse Fehlerquote notwendig. Vor einem Irrtum oder Fehlgriff braucht und sollte man keine Angst haben. Mit Fehlern bei der ärztlichen Tätigkeit setzt sich auch Thomas Bergner in seinen Büchern zum Arztberuf auseinander. So bietet er in seinem Werk „Arzt sein – die sieben Prinzipien für Erfolg, Effektivität und Lebensqualität“ neben anderen guten Hilfen auch den Tipp zur „Entkatastrophisierung“ an. Der Begriff meint, mit dem Schlimmstdenkbaren umzugehen und dabei auch noch ganz nebenbei zu lernen, Hilfe anzunehmen. Vielfach lebt man nach Regeln, die gar nicht mehr nachvollziehbar sind. Man kann dann das Brechen dieser Regeln zelebrieren und die neue Freiheit – den Nicht-Perfektionismus – genießen.
Der Nicht-Perfektionismus
Auf die Freizeit bezogen bedeutet Nicht-Perfektionismus, nichts mit nach Hause zu nehmen, was in die Praxis gehört, also die ewigen Diskussionen mit den Krankenversicherungen, Fachliteratur, das Einholen von Kostenvoranschlägen für neue Geräte oder Reparaturen in der Praxis. Wenn dies schwer fällt, kann man es mit „Einschleichen“ versuchen und erst einmal das Aufwendige in der Praxis lassen, Kleinigkeiten mitnehmen und peu à peu auch diese für zu Hause abschaffen.
Gedanklich abzuschalten fällt leichter, wenn man sich Übergangsrituale schafft: von der Arbeit kommend, erst duschen oder mit dem Hund eine Runde gehen, sich eine Viertelstunde hinlegen oder ähnliches, bevor man sich der Familie widmet oder den Fernseher einschaltet. Auch hier kann man kleine Schritte zum Entwöhnen starten, anstatt das Ideal sofort zu erwarten.
Private Verabredungen plant man genauso fest ein wie einen Patiententermin, eine OP, ein Geschäftsessen oder eine Fortbildungsveranstaltung. Das Leben lässt sich nicht auf Wiedervorlage programmieren, sondern findet jetzt und einmalig statt. Verschiebt man alles , sind die Kinder aus dem Haus, bevor man merkt, dass welche da sind, Ausstellungen, die einem wichtig sind, schon längst vorbei, Kinofilme abgesetzt und der Unternehmungsgeist so geschwächt, dass man keine Lust mehr auf seine Traumreise hat und darüber enttäuscht ist.
Überraschen kann man sich selbst und seine Gesprächspartner, indem man ganz neue Sätze erklingen lässt wie: „Da habe ich mich geirrt!“, „Das weiß ich nicht!“, „Da habe ich einen Fehler gemacht!“. Nur diesen einen kurzen Satz sagen und nicht mehr – kein Rechtfertigen, Schuldzuschieben, schlechtes Gewissen. Im Gegenteil: Als fortgeschrittener „Unperfekti“ strahlt man sein Gegenüber fröhlich und unbefangen an.
Typischerweise erwarten Perfektionisten von sich, dass sie in allem, was sie neu beginnen, auch fehlerlos sind. Bis zum perfekten Nicht-Perfektionisten ist es ein etwas längerer Weg, man kann sich in diesen speziellen Dingen durchaus von einem Coach helfen lassen. Kleine Erfolge unterwegs dürfen genüsslich wahrgenommen und gefeiert, im Tagebuch vermerkt und nahe stehenden Menschen mitgeteilt werden. Keine Angst: Insgesamt bleiben genug Dinge übrig, bei denen Perfektion sinnvoll ist und lustvoll ausgelebt werden darf.
Ute JürgensDiplom-Pädagogin/Kommunikationstrainerin//info@kommed-coaching.de:info@kommed-coaching.de
Literatur:Thomas Bergner: Arzt sein – die siebenPrinzipien für Erfolg, Effektivität und Lebensqualität.Schattauer Verlag.
Simone Janson: Die 110% Lüge – Wie Siemit weniger Perfektion mehr erreichen.Redline Verlag, 2009.