Anleger in der Krise

Wissen schützt vor falschen Entscheidungen

Seit drei Jahren halten aufeinander folgende Krisen die Finanzwelt im Griff und es ist kein Ende abzusehen. Die Politik hat bislang noch kein überzeugendes Rezept gefunden. Bei den Anlegern zeigen sich Profis und Amateure gleichermaßen verunsichert. Sie treffen zum Teil irrationale Entscheidungen. Private Anleger können sich davor schützen, in dem sie ihre Kenntnisse über die Produkte verbessern und lernen, ihre persönliche Risikoneigung besser einzuschätzen.

Allein in den ersten drei Wochen des August dieses Jahres hat der Dax 23 Prozent verloren. Die Börse kommt nicht zur Ruhe. Gründe dafür gibt es viele. Doch die existierten auch schon in den Monaten davor, als die Kurse munter weiter stiegen. Warum also der Absturz zu diesem Zeitpunkt? Die Konjunkturprognosen für die USA sind schlecht, auch für das wirtschaftlich stabilste EU-Land Deutschland versprechen die Voraussagen keine allzu rosige Zukunft, die Wachstumsraten sinken weltweit. Und, obwohl die meisten deutschen Unternehmen sehr gut aufgestellt sind, sinken die Kurse ihrer Aktien. Denn die Bestellungen aus dem Ausland lassen nach. Hinzu gesellen sich Ängste um die Verschuldung der EU-Staaten und vor allem der USA. Außerdem bestimmen die mit den entsprechenden Daten gefütterten Computer die Kurslisten der Börsen. Die Programme haben Kauf- und Verkaufssignale eingebaut, die bei bestimmten Entwicklungen automatisch ausgelöst werden und so Abstürze verursachen.

Die Ungeduld der Finanzwelt

Schnell wirksame Maßnahmen beruhigen die Marktteilnehmer nur für den Augenblick. Für dauerhaft heilende Therapien zeigt die Finanzwelt keine Geduld. Die Vorschläge von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, eine europäische Wirtschaftsregierung und für jedes Land eine Schuldenbremse einzurichten, machen Sinn.

Wie es funktionieren soll, zeigt Deutschland. Hier ist die Schuldenbremse im Gesetz verankert. So darf der Bund in fünf Jahren während einer normalen Konjunktur kaum noch neue Schulden aufnehmen, in zehn Jahren sollen die Länderfinanzen ausgeglichen sein. Das funktioniert nicht von heute auf morgen. Die Haushaltsplanung bezieht diese Vorgaben schon heute mit ein – ein Grund für die AAA-Note Deutschlands.

Politik im Griff der Wirtschaft

Doch dafür braucht es Zeit und Überzeugungskraft. Nur wenn sicher gestellt ist, dass die Empfängerländer verantwortungsbewusst handeln, können auch „Zahlländer“ wie Deutschland sich mit Euro-Bonds anfreunden. Das heißt also, im Grunde muss die Politik sich von den Forderungen der Finanzwelt distanzieren und sich nicht länger von ihr antreiben lassen. Nur so kann eine Gesundung gelingen. Mit anderen Worten: Die Krise, welchen Namen sie auch immer trägt, wird die Menschen und unter ihnen vor allem die Anleger noch weitere Jahre verunsichern. Es ist also notwendig, ein Geschick für den Umgang mit ihr zu entwickeln.

Das Wichtigste ist, Angst und Unsicherheit zu bekämpfen. Denn nur mit einem klaren Kopf und dem nötigen Abstand zum Problem lassen sich die richtigen Entscheidungen treffen. Doch so ein überlegtes Verhalten fällt den meisten Anlegern schwer. Untersuchungen zeigen, dass Profis und Amateure mit unvorhergesehenen Ereignissen gleichermaßen falsch umgehen. Viele von ihnen bemerken negative Entwicklungen erst, wenn sie sich schon längst gezeigt haben. Verhaltensforscher haben erkannt, dass sich Anleger nur auf eine Gefahr konzentrieren können. So erkennen sie beispielsweise die abstürzenden Kurse und verkaufen. Es könnte aber sinnvoller sein, die Kursabstürze auszusitzen. Werden die Aktien verkauft, ist das Gleichgewicht innerhalb des Depots gestört.

Investoren und Fehlverhalten

Schon 2002 hat der israelische Nobelpreisträger Daniel Kahnemann das systematische Fehlverhalten von Investoren analysiert. Sie lassen ihr Unterbewusstsein schalten und walten und glauben dennoch, dass sie die Kontrolle über ihr Tun bewahren. Die Profis sammeln Informationen über eine Anlage, studieren die Entwicklung in der Vergangenheit und ziehen ihre Schlüsse für eine zukünftige Entwicklung. Aufgrund ihres Wissens geben sie dann Empfehlungen für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren an ihre private Klientel weiter. Diese wiederum glaubt, aufgrund von objektiven Kriterien eine Entscheidung zu treffen. Dabei lassen sie außer Acht, dass der Berater bei seiner Empfehlung vor allem eigene Interessen beziehungsweise die seiner Bank verfolgt. Der Kunde merkt häufig nicht, dass er seine Entscheidungen fremd gesteuert trifft. Er sehnt sich vor allem nach Sicherheit und glaubt, dass der Bankberater ihm dieses Gefühl verschaffen kann. Er gibt einfach die Verantwortung an ihn ab.

Mit diesen Verhaltensweisen befasst sich die Wissenschaft der Behavioral Finance. Deren bekanntester Vertreter in Deutschland ist Prof. Martin Weber, der an der Universität Mannheim das Institut für Finanzwirtschaft leitet. In seinem 2007 erschienenen Buch „Genial einfach investieren“ erklärt er zusammen mit seinen Mitarbeitern „warum bei der Geldanlage allein die Vernunft zum Erfolg führt und welche psychologischen Fallen den Anleger daran hindern können“.

Die Hybris der Finanzprofis

Niemand kann sagen, wo der Dax am Ende des Jahres stehen wird. Doch die Anleger möchten es gern glauben. Aber auch die gut informierten Profis überschätzen sich. Weber nennt diesen Fakt in seinem Buch den „Overconfidence Bias“.

Gemeint ist damit der Glaube der Marktteilnehmer, sie hätten die Fähigkeit, die Entwicklung von Aktienkursen vorhersagen zu können, nur weil diese in der Vergangenheit einen bestimmten Verlauf genommen haben. Dabei bestimmen viele unvorhersehbare Ereignisse die Kursentwicklung. Berater und Kunde gaukeln sich eine Sicherheit vor, die sie nicht haben.

Dabei wäre es für private Anleger sehr wichtig, wenn sie selbst dazu in der Lage wären, Risiken und damit ihre eigene Einstellung zum Risiko besser einschätzen zu können. Darin sieht Weber eine der Hauptursachen für die Probleme bei der privaten Geldanlage: „Die persönliche Risikoeinstellung entscheidet darüber, wie viel Risiko Privatinvestoren im Rahmen ihrer Anlageentscheidung eingehen.“ In einem Forschungsprojekt der Universität Mannheim hat Weber zusammen mit Christine Kaufmann und Christian Ehm ein Risiko-Tool entwickelt, mit dem interessierte Anleger ihre persönliche Risikobereitschaft testen können. Dabei wählt der Nutzer einen Anlagebetrag und die Anlagedauer. Danach entscheidet er, wie viel des Betrags er in eine sichere Festgeldanlage steckt und wie viel in einen risikoreicheren, weltweit investierenden Aktienfonds.

Virtuelle Vermögensberechnung per PC

Aufgrund dieser Angaben berechnet das Programm das wahrscheinliche Vermögen am Ende der Anlagefrist. Als Berechnungsgrundlage dienen die historischen Wertentwicklungen des Dax und eines internationalen Aktienindex. Wie hoch das Vermögen ausfällt, hängt davon ab, wie der Anleger seinen Einsatz auf die beiden Risikovarianten verteilt. Beispiel: Man verteilt 50 000 Euro je zur Hälfte auf eine Festgeldanlage, die mit drei Prozent rentiert und auf einen Indexfonds. Dann liegt das zu erwartende Endvermögen bei 67 889 Euro. Während der Ertrag für das Festgeld fixiert ist, wird die Entwicklung des Indexfonds simuliert. In das Ergebnis fließt die häufigste Ergebnisnennung ein. Zu 95 Prozent schwankt der Endbetrag zwischen 51 191 und 91 185 Euro, zu 70 Prozent zwischen 57 635 und 78 312 Euro. Die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende ein Verlust steht, liegt bei nur zwei Prozent. Der Anleger kann zusätzlich die Verteilung seines Vermögens auf die sichere und die riskante Anlage variieren. Er sieht dann sofort, inwieweit sich das Ergebnis verändert. Mithilfe der grafischen Darstellung des Chance-Risiko-Verhältnisses kann der Nutzer die finanziellen Konsequenzen seiner Entscheidung schnell erkennen.

Persönliches Risikoprofil

Den kompetenten Umgang mit Risiken hält auch Prof. Gerd Gigerenzer für unerlässlich, wenn es um eine erfolgreiche Geldanlage geht. Der Psychologe ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Das dortige Harding-Center für Risikokompetenz befasst sich damit, wie Menschen besser mit Risiken umgehen können. Dazu bedarf es vor allem einer besseren Bildung im wirtschaftlichen Bereich. Gigerenzer bemängelt, dass dieses Thema in den Schulen so gut wie gar nicht vorkommt und junge Erwachsene völlig unvorbereitet Entscheidungen bei der Geldanlage treffen müssen. Mit erhöhten Risiken in Krisenzeiten sind sie und die meisten Erwachsenen völlig überfordert. Das bestätigen zum Beispiel die Antworten, die Gigerenzer auf die Frage bekam: Wann ist ein Kredit über 3 000 Euro bei zwölf Prozent Jahreszinsen abgezahlt, wenn man jeden Monat 30 Euro zurückzahlt. Auf die richtige Antwort „Nie“ kam nur ein Viertel der Befragten.

Dabei würde „das kleine Einmaleins der Ökonomie“, so Gigerenzer gegenüber dem Handelsblatt, „die Bürger davor schützen, von Bankern, Versicherungen oder Marketingexperten hinters Licht geführt zu werden und dabei viel Geld zu verlieren“. Zu einer besseren Ausbildung gehört nach Meinung des Wissenschaftlers auch die Beschäftigung mit Risiken. Er fordert daher auch, den Mathematikunterricht in den Schulen um die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erweitern: „Nur wer die Welt mit ihren Risiken versteht, kann verantwortlich handeln.“ Das gilt für jeden Lebensbereich.

Gewissheit ist eine Illusion

So muss einem Anleger auch klar sein, dass selbst eine AAA-Note für Deutschland nicht heißt, dass in Bundesanleihen investiertes Geld absolut sicher ist. Übernimmt sich beispielsweise die Regierung mit Garantien für die Schuldnerländer und wird das Geld tatsächlich eingefordert, gerät auch Deutschland in Not. Denn die Summen, um die es dabei geht, sind einfach zu gigantisch. In seinem Buch „Bauchentscheidungen“ erklärt Gigerenzer: „Die Wahrheit ist, dass Gewissheit eine Illusion ist. Wenn die Ungewissheiten offen eingestanden werden, lassen sich Krisen möglicherweise dadurch vermeiden, dass Politiker rechtzeitig auf Probleme aufmerksam machen, die am Horizont auftauchen.“ Doch darauf zu hoffen, ist müßig. Zumindest in den meisten Fällen.

Dass es funktionieren kann, zeigt der Chef der Bank of England, Mervyn King. Er hatte, bevor er sein Amt antrat, den ehemaligen Vorsitzenden der amerikanischen Notenbank Paul Volcker gefragt, was er tun müsse, um Erfolg zu haben. Die Antwort war „rätselhaft bleiben“. Doch King entschied sich für Transparenz im Umgang mit der Öffentlichkeit. So gab die Bank of England bei der Schätzung der Inflationsrate nicht einfach eine Zahl an, sondern veröffentlichte eine Schwankungsbreite und begründete sie. Die Politiker waren zunächst verunsichert. Sie wünschten sich eine Angabe, an die sie sich klammern können.

Doch inzwischen ist die Bank of England eine der britischen Institutionen, denen am meisten Vertrauen entgegengebracht wird. Allerdings dürfte es sich bei King um eine Ausnahmeerscheinung handeln. Um sich als Anleger vor todsicheren Tipps oder vor heißen Empfehlungen von Freunden und Beratern zu schützen, hilft es vielleicht, sich an den Satz zu erinnern, den Benjamin Franklin im November 1789 zur Zeit der Französischen Revolution formulierte: „In dieser Welt ist nichts gewiss außer dem Tod und den Steuern.“

Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de

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