Rauschgiftkonsum in Europa

Neuen Drogen auf der Spur

Heftarchiv Gesellschaft
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Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) in Lissabon wacht über die Entwicklungen in der Sucht- und Drogenpolitik. Sie spiegelt Trends, trägt Daten zusammen und gibt Warnungen an die Länder heraus. Der 15. Jahresbericht zeigt: Während der Konsum von Cannabis stabil bleibt, sind neue synthetische Substanzen auf dem Vormarsch. Für die Fahnder von Europol oder des Bundeskriminalamtes (BKA) sind sie oftmals schwer auszumachen. Zu häufig ändern die Anbieter den Namen der Droge und das Verpackungsdesign.

Seit dem Jahr 2006 existiert auf EU-Ebene ein Frühwarnsystem. Es dient zur Aufdeckung von neuen psychoaktiven Substanzen, die in erster Linie über das Internet vertrieben werden. Im Jahr 2009 wurde der EBDD und Europol über dieses Warnsystem eine Rekordzahl neuer Drogen gemeldet: 24 neue psychoaktive Substanzen – ein neuer Negativrekord und doppelt so viele, wie im Jahr 2008. Alle Verbindungen waren synthetischer Art.

Einer der Umschlagplätze für neue Drogen sind Online-Shops. Im Jahr 2010 wurden europaweit 170 Shops ermittelt. Von denen boten 30 sowohl sogenannte Legal Highs, als auch halluzinogene Pilze an. Erstere umfassen eine Vielzahl nicht reglementierter synthetischer Verbindungen, die von Pflanzenmischungen über synthetische oder Designerdrogen bis hin zu „Partypillen“ reichen. Hierzu gehören synthetische Cathinone, synthetische Cannabinoide sowie neue synthetische, Kokain und Amphetaminen ähnelnde Substanzen. Geraucht, geschnupft oder inhaliert entfalten sie ihre Wirkung. Die Vielfalt erschwert die Sammlung und Deutung des Konsums von Legal Highs. Für die Kontrolleure eine der größten Herausforderungen. Zum Vergleich: In den USA sitzen 38 Online-Shops, die primär Legal Highs anbieten, berichtet die EBDD.

Legal Highs – meist illegal

Diplom-Psychologe Ingo Kipke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Therapieforschung (IFT) in München ist Mitautor des deutschen Berichts an die EBDD. Im Gespräch mit den zm erklärte er: „Oftmals sind im Internet angebotene Legal Highs eben gar nicht legal. Selbst wenn bestimmte neue Substanzen (noch) nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fallen, könnten die Vertreiber oftmals nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) belangt werden.“

Nur wenige aktuelle Erhebungen melden Prävalenzdaten bezüglich des Konsums von Legal Highs. Eine polnische Studie (2008) unter 18-jährigen Schülern ergab, dass 3,5 Prozent bereits einmal Lega Highs konsumiert haben – 2,6 Prozent davon innerhalb eines Jahres. Die jüngste Erhebung des britischen Mixmag-Magazins, das sich an junge Clubbesucher richtet, kam zu dem Ergebnis, dass 56 Prozent der Befragten bereits Legal Highs konsumiert haben. Gefragt wurde auch, woher die Heranwachsenden die Substanzen beziehen. „Von Freunden“, sagten 95 Prozent, während 92 Prozent der Befragten auf Online-Shops verwiesen. „In Shops vor Ort“ sagten 78 Prozent, gefolgt von „Ständen auf Festivals“ mit 67 Prozent. Schließlich gaben 51 Prozent an, „bei Dealern“ gekauft zu haben. Mehrfachantworten waren möglich. Mephedron (4-Methylmethcathinon) wurde wegen seiner Verbreitung und der gesundheitlichen Gefahren in Deutschland und 17 anderen EU-Ländern verboten und auf Bundesebene unter das BtMG gestellt. Die psychoaktive Substanz zählt zur Gruppe der Amphetamine und weist eine ähnliche Wirkung wie Ecstasy und Kokain auf. Gelegentlich wird es auch als Dünger oder Badesalz verkauft.

Spice – Synthetische Stoffe in Räuchermischungen

Laut der EBDD hält das sogenannte Spice- Phänomen an: Dahinter verbergen sich Substanzen auf Pflanzenbasis in rauchbarer Form, die mit synthetischen Cannabinoiden versetzt sind. Forensische Chemiker identifizierten die psychoaktiven Bestandteile von Spice. Dabei handelt es sich etwa um den Cannabinoidrezeptor-Agonist JWH-018, der die Wirkung des in Cannabis enthaltenen Tetrahydrocannabinol, kurz THC, nachahmt. Laut EBDD verändern sich sowohl die Namen, als auch die Verpackungen von Spice-ähnlichen Produkten ständig – eine Re-aktion auf die neuen Kontrollmechanismen. Im Jahr 2009 wurden über das Frühwarnsystem neun neue synthetische Cannabinoide gemeldet. Die Ermittlung, Überwachung und nicht zuletzt die Bewertung des Risikos gestaltet sich aufgrund der Vielzahl von auf dem Markt befindlichen synthetischen Cannabinoide als schwierig. Eine zusätzliche Gefahr: Über die pharmakologischen und toxikologischen Profile der Bestandteile und deren Wirkung auf den menschlichen Organismus ist kaum etwas bekannt. Fest steht: Art und Umfang der zugesetzten synthetischen Cannabinoide können deutlich variieren. Ingo Kipke beobachtet in Zusammenhang mit dem steigenden Aufkommen synthetischer Drogen ein Phänomen: „Die Partydroge Ecstasy wird weniger nachgefragt. Grund sind der bittere Geschmack und Nebenwirkungen (u.a. Übelkeit und Erbrechen) des neuen Hauptwirkstoffs mCPP, einem Derivat von Piperazin.“ Noch bis 2008 sei MDMA, eine zur Gruppe der Amphetamine gehörende chirale chemische Verbindung, fast ausschließlich als psychoaktiver Wirkstoff in Ecstasy verwendet worden. Statistisch gesehen haben rund 11 Millionen Europäer schon einmal Ecstasy probiert – rund 2,5 Millionen allein im Jahre 2009. Generell werde der Ecstasymarkt, so der Tenor der EBDD, immer komplexer. Schuld seien Fluktuationen bei der Verfügbarkeit für den chemischen Grundstoff von MDMA (PMK).

GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure) unterliegt seit 2001 internationalen Kontrolllen, während Ketamin – ein medizinisches Produkt, von den Mitgliedstaaten im Rahmen der nationalen Drogen- oder Arzneimittelvorschriften kontrolliert wird. Der Konsum von Gamma-Butyrolacton (GBL), dass sich nach der Aufnahme schnell in GHB umwandelt, hat auf EU-Ebene jüngst ebenfalls Bedenken geweckt. Denn: GBL gilt als nicht erfasster Grundstoff und unterliegt dem freiwilligen Überwachungsprogramm für Drogengrundstoffe. Die Prävalenz des Konsums von GHB und Ketamin ist, so der Tenor des Berichts, niedrig. In bestimmten Milieus und Regionen könne sie aber höher liegen. In Deutschland zeigt sich: Mit Ausnahme von Cannabis werden illegale Drogen hier fast ausschließlich importiert. Wie das BKA berichtet, ist die Gesamtzahl der registrierten Sicherstellungsfälle von Rauschgift 2009 im Vergleich zu den Vorjahren gesunken.

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