Kieferrelationsbestimmung
1. Einleitung
1.1 Zielgruppen und Grundlagen
Diese Stellungnahme ist auf die Zielgruppen der Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie der Zahntechnikerinnen und Zahntechniker ausgerichtet.
Die Kieferrelationsbestimmung dient der Zuordnung von Ober- und Unterkiefermodellen in verschiedenen Formen von Modellhaltern bis hin zu individuellen Artikulatoren.
In der vorliegenden Stellungnahme beschränken sich die Autoren auf die Kieferrelationsbestimmung für die Anfertigung von indirekt hergestellten Restaurationen im funktionell gesunden Kauorgan. Verfahren im Rahmen kieferorthopädischer Behandlungen oder für funktionsdiagnostische oder funktionstherapeutische Zwecke sind nicht Gegenstand dieser Stellungnahme.
Eine Kieferrelationsbestimmung ist als entscheidender Arbeitsschritt für die Herstellung von indirekt hergestellten Restaurationen, wie Inlays, Teilkronen, Kronen, Brücken, implantatgestütztem Zahnersatz sowie Teil- und Totalprothesen unerlässlich, um die Modelle von Oberkiefer und Unterkiefer in einer Relation, die möglichst genau die Verhältnisse am Patienten widerspiegelt, in den Artikulator zu montieren.
Die Beziehung zwischen Ober- und Unterkiefer wird vor allem durch die Kiefergelenke, die Kaumuskulatur und die Okklusion bestimmt. Für die Anfertigung von im Labor hergestellten Restaurationen können grundsätzlich zwei Positionen des Unterkiefers in Relation zum Oberkiefer unterschieden werden, die maximale Interkuspidation und die zentrische Kondylenposition.
1.2 Definitionen
Die maximale Interkuspidation wird bei weitgehend erhaltenen Stützzonen und stabiler Verzahnung ausschließlich durch die Okklusion determiniert. In maximaler Interkuspidation ist die Lage des Unterkiefers in Relation zum Oberkiefer in allen drei Raumrichtungen definiert [1, 32].
Die zentrische Kondylenposition ist durch eine idealisierte Position beider Kondylen der Kiefergelenke in den Fossae bestimmt. Hierbei ist die horizontale Lage des Unterkiefers festgelegt, die vertikale Kieferrelation ist im Rahmen der Rotationsmöglichkeiten unbestimmt und muss anhand weiterer Anhaltspunkte, wie Ruhelage, Sprechabstand oder Profilanalyse festgelegt werden.
Die Stellung der Kondylen in maximaler Interkuspidation ist in der Regel nicht identisch mit der zentrischen Kondylenposition. Die Unterschiede betragen bei gelenknaher Messung im Mittel weniger als 0,8 mm im Raum, die vorwiegend in sagittaler Raumrichtung auftreten können. Sagittale Abweichungen von bis über 1 mm werden jedoch auch im gesunden Kauorgan gefunden [10, 11, 60, 101].
Wechselnde Definitionen für die zentrische Kondylenposition in der nationalen und internationalen Nomenklatur haben in der Vergangenheit zu Verunsicherungen geführt, wobei sich die gewünschte optimale Lage der Kondylen in den Definitionen von posterior über kranial nach ventro-kranial geändert hat. Diese unterschiedlichen Definitionen haben zur Bevorzugung von unterschiedlichen Techniken geführt. Die durch verschiedene Praktiken vermuteten Unterschiede liegen im Zehntelmillimeterbereich. Eine Überprüfung (Validierung) verschiedener Verfahren, ob die angestrebte Position der Kondylen in den Fossae auch erreicht wurde, ist klinisch unmöglich und bei funktionell gesunden Patienten auch nicht nötig.
1.3 Zuverlässigkeit
Die Reliabilität (Reproduzierbarkeit) der Positionen wird aufgrund von direkten gelenknahen Messungen am Patienten auf circa 0,02 mm für die maximale Interkuspidation und 0,2 mm für die zentrische Kondylenposition abgeschätzt [10, 11], wobei nur letztere eine deutliche Untersucherabhängigkeit aufweisen kann [60]. Durch die Übertragung in den Artikulator kommen zusätzliche Fehlerquellen hinzu, so dass sich die Abweichungen räumlich auf rund 0,1 mm für die maximale Interkuspidation und 0,3 mm für die zentrische Kondylenposition erhöhen [101. Die Festlegung, welche der beiden oben genannten Kieferrelationen für die Anfertigung von indirekten Restaurationen herangezogen wird, hängt maßgeblich vom Restzahnbestand, von der Reproduzierbarkeit der Positionen und den hierfür eingesetzten Verfahren und Materialien ab.
2. Relationsbestimmung bei zahnlosen Patienten
2.1 Problembeschreibung
Mit dem Verlust der Zähne geht die über die Okklusion gesicherte dreidimensionale Beziehung zwischen Ober- und Unterkiefer unwiederbringlich verloren. Die Kieferrelationsbestimmung als wesentlicher Behandlungsschritt bei der Herstellung totaler Prothesen hat daher das Ziel, eine dem ursprünglichen bezahnten Zustand und dem ursprünglichen Aussehen nahe kommende, das stomatognathe System nicht schädigende und vom Patienten sowie seiner Umgebung tolerierte neue dreidimensionale Zuordnung des Unterkiefers zum Oberkiefer einzustellen. Die Kieferrelation lässt sich didaktisch und praktisch in eine vertikale und eine horizontale Relationsbestimmung unterteilen.
2.2 Vertikale Kieferrelationsbestimmung
2.2.1 Literaturrecherche zur vertikalen Kieferrelation
Eine in Medline PubMed im September 2008 durchgeführte Recherche lieferte für eine Suche mit Limits für die Suchbegriffe „complete denture(s) AND vertical dimension“ 75 Studien und 21 Reviews, für „complete dentures AND jaw relation“ 70 Studien und 17 Reviews, und für „complete denture( s) AND rest vertical dimension“ sechs Studien, wovon insgesamt 19 Artikel verwendbar waren.
Bei einer ergänzenden Suche in Medline PubMed im November 2008 ohne Limits wurden für die Suchbegriffe „complete denture( s) AND centric relation“ 240 Studien und 9 Reviews sowie für „complete denture( s) AND centric occlusion“ 402 Studien und 13 Reviews identifiziert, wovon nur 10 zusätzlich zu den obigen verwendbar waren. Darüber hinaus wurde in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift im Oktober 2008 mit den Begriffen „Totalprothesen“ 19 Studien, mit den Begriffen „Vertikale Relation ODER Kieferrelation ODER Bisshöhe“ 0 Studien und mit „Vertikale“ 52 Studien identifiziert, von denen insgesamt zwei verwendet werden konnten. Alle weiteren Studien wurden mittels Handsuche identifiziert.
2.2.2 Bedeutung der vertikalen Kieferrelation
Die Festlegung einer adäquaten Kieferrelation hat eine grundlegende Bedeutung, weil bei einer fehlerhaften vertikalen Relation funktionelle und ästhetische Probleme zu erwarten sind [36, 74, 75]. Folgende Schwierigkeiten wurden bei zu hoch gewählter Kieferrelation beschrieben:
• verändertes Aussehen• Prothesenklappern beim Sprechen, Sprachprobleme• Schleimhautbrennen, Schleimhautreizung, flächige Druckstellen, Prothesenstomatitis• Mundtrockenheit• unspezifische Beschwerden, wie Patient „kommt nicht zurecht“, „Unwohlsein“, „Müdigkeit der Muskeln“• verstärkte Knochenresorption• craniomandibuläre Dysfunktion, Gelenkschmerzen. Aber auch bei zu niedrig gewählter Kieferrelation wurden schädliche Auswirkungen auf das stomatognathe System berichtet:• verändertes Aussehen (Untergesicht zu kurz)• Lippen eingerollt und/oder faltig, Lippenrot schmal• Mundwinkel faltig und abfallend, Perlèche• mangelhafte Kaufunktion• Schluckprobleme• craniomandibuläre Dysfunktionen.
Ohne Zweifel gibt es einen Mangel an validen klinischen Nachuntersuchungen über die funktionellen Konsequenzen von zu hoch oder zu tief eingestellten vertikalen Kieferrelationen bei Totalprothesenträgern [77]. Dies hängt sicher damit zusammen, dass solche Studien ethisch nicht vertretbar wären.
2.2.3 Vorschläge zur Einstellung der vertikalen Kieferrelation
Im letzten Jahrhundert wurden für die vertikale Kieferrelationsbestimmung bei unbezahnten Patienten zahlreiche unterschiedliche Vorschläge erarbeitet. Eine Vielzahl dieser teils historischen Verfahren kommt jedoch über eine Beschreibung der Methode und deren Vorzüge nicht hinaus.
2.2.4 Geeignete Verfahren zur Einstellung der vertikalen Kieferrelation
Zu den einzelnen Verfahren existieren eine Reihe von vergleichenden Studien, allerdings nicht selten mit einander widersprechenden Resultaten [2, 4, 15, 19, 20, 24, 28–31, 33, 54, 55, 57, 59, 62, 64–66, 72, 78–80, 82, 83, 92, 105, 106, 112, 114].
Am besten untersucht ist die Bestimmung der Ruhelage in Zusammenhang mit dem Interokklusalabstand bei bezahnten Probanden [3, 5, 6, 14, 16, 28, 30, 39, 43, 52, 58, 68, 76, 87, 88, 90, 107]. Unter der Ruhelage versteht man die unbewusste Abstandshaltung des Unterkiefers vom Oberkiefer bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung. Der interokklusale Spalt ist definiert als Abstand der Seitenzähne von Ober- und Unterkiefer bei Einnehmen der Ruhelage beziehungsweise der Bestimmung des engsten Sprechabstandes [1, 32]. Dabei ist zu beachten, dass die Ruhelage von verschiedenen äußeren Faktoren, wie zum Beispiel der Körperhaltung, beeinflusst werden kann.
Die meisten Untersuchungen konnten zeigen, dass sich zur Einstellung der vertikalen Kieferrelation zur Herstellung von Totalprothesen die Verfahren „Bestimmung des engsten Sprechabstandes“ [18, 20–22, 28, 32, 49, 53, 73, 135, 141, 159, 163] und „Einnehmen der Ruhelage“ eignen [7, 30, 31, 81, 82, 95, 116, 129, 144–146, 151, 165].
Der „engste Sprechabstand“ wird in der Regel während der Aussprache des Konsonanten „s“ zum Beispiel in dem Wort „Mississippi“ oder in ähnlichen Wörtern beziehungsweise eingebettet in geeignete Sätze festgelegt. Die Ruhelage kann über die Methoden „Lockerlassen des Unterkiefers aus maximaler Interkuspidation“ oder „Lippenschluss nach Öffnung“ einigermaßen zuverlässig bestimmt werden, ohne dass die Schwierigkeiten, die mit der jeweils einige Millimeter betragenden Standardabweichung verbunden sind, außer Acht gelassen werden sollten. Die praktische Bestimmung der vertikalen Relation wird nicht einfacher dadurch, dass sich die Ergebnisse beider Methoden durchaus unterscheiden können und entgegengesetzte Konsequenzen erfordern würden.
Neben der Variationsbreite der Ruhelage ist ein weiteres Problem bei der praktischen Bestimmung der vertikalen Relation, dass die extraoral auf der Haut zum Beispiel zwischen Nasenspitze und Kinn gemessenen Distanzen nicht den intraoral tatsächlich vorhandenen Strecken entsprechen müssen [17, 25, 35, 63, 91].
Alle Autoren sind sich einig, dass zusätzlich zu den oben angeführten und als geeignet angesehenen Verfahren auch ästhetische Gesichtspunkte die Entscheidung wesentlich beeinflussen müssen, allerdings mit nachgeordneter Bedeutung. Bei Patienten, die bereits Totalprothesen tragen, ist die Untersuchung der vertikalen Kieferrelation der alten Prothese oft eine Entscheidungshilfe. Alle anderen Vorschläge zur Festlegung der vertikalen Kieferrelation haben sich in der Praxis oder den Studien entsprechend nicht in gleicher Art bewährt oder sind nicht geeignet! Da die vertikale Kieferrelation nicht punktgenau festgelegt werden kann [115], muss sie während der Herstellung einer Totalprothese mehrfach und kritisch mit verschiedenen Verfahren kontrolliert und bei Bedarf entsprechend korrigiert werden.
2.3 Horizontale Kieferrelationsbestimmung
2.3.1 Literaturrecherche zum Thema horizontale Kieferrelation
Eine Literaturrecherche erfolgte im September 2008 in Medline PubMed zunächst ohne Limits. Mit den Suchkriterien „Complete denture(s) AND horizontal relation“ oder „check bite” wurde keine Studie, mit „Complete denture(s) AND jaw relation“ 70 Studien, mit „Complete denture(s) AND central bearing point“ acht Studien, mit „complete denture(s) AND centric relation“ 15 Studien sowie mit „Complete denture(s) AND centric occlusion“ 21 Studien identifiziert, wovon insgesamt nur vier verwendbar waren.
Bei der Suche in Medline PubMed ohne Limits wurden bei den Suchbegriffen „Complete denture(s) AND centric relation“ 240 Studien und neun Reviews, bei „Complete denture(s) AND centric occlusion“ 402 Studien und 13 Reviews, sowie bei „Complete denture(s) AND Gothic arch“ elf Studien gefunden, wobei insgesamt zwölf verwendet werden konnten.
Die Suche in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift im Oktober 2008 ergab für den Suchbegriff „Totalprothesen“ 19 Studien, wovon eine verwendbar war, während die Suchbegriffe „Horizontale Relation“ und „Horizontale“ keine brauchbaren Resultate lieferte. Die restlichen Studien wurden per Handsuche identifiziert.
2.3.2 Bedeutung der horizontalen Kieferrelation
Für die Lagezuordnung des Unterkiefers in sagittal-transversaler Richtung sind die Ziele allgemein anerkannt: Beim Zahnkontakt während des Kieferschlusses in maximaler Interkuspidation sollen sich die Prothesen rechts und links gleichzeitig und gleichmäßig berühren, ohne dass sich die obere und die untere Prothese auf dem Tegument verschieben. Wird dieses Ziel nicht erreicht, dann werden folgende negative Auswirkungen beschrieben, die für die Akzeptanz und die Funktionstüchtigkeit des Zahnersatzes von Bedeutung sind [75]:
• verändertes Aussehen• schlechter sitzende (= weniger gut saugende) Prothesen• Schleimhautreizungen, Druckstellen, Schleimhautbrennen, Prothesenstomatitis• Prothesenklappern, Phonationsprobleme• Pressen, Knirschen (indirekt)• unspezifische Beschwerden: Suchen der Unterkieferposition („Kontrollkontakte“)• Unwohlsein, Müdigkeit der Muskeln• verstärkte Knochenresorption• craniomandibuläre Dysfunktion.
Auch hier ist sicher ein Mangel an validen, vergleichenden Studien zu verzeichnen, die in einem begrenzten Rahmen ethisch vertretbar wären.
2.3.3 Vorschläge zur Einstellung der horizontalen Kieferrelation
2.3.3.1 Übersicht
Da beim Zahnlosen die Zähne zur Einstellung der horizontalen Relation nicht mehr herangezogen werden können, bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder dominiert die Muskulatur die Lagebestimmung, oder der Behandler positioniert den Unterkiefer durch seine Führung in eine Grenzposition der Kiefergelenke. Die empfohlenen Methoden zur Festlegung der horizontalen Kieferrelation sind vielfältig.
2.3.3.2 Zentrische Kondylenposition
Zur Einstellung der zentrischen Kondylenposition als Ausgangspunkt zur Etablierung der statischen Okklusion existieren unterschiedliche Verfahren. Nur wenige Studien zur Reproduzierbarkeit dieser Unterkieferhaltung sind für unbezahnte Patienten vorhanden, wobei nur eine Untersuchung einen systematischen Methodenvergleich beschreibt. Das übliche Verfahren, die horizontale Relationsbestimmung durchzuführen, ist die sogenannte „Handbissnahme“, die im Sinne der im Jahre 2006 neu aufgelegten Nomenklatur besser als „handgeführte Kieferrelationsbestimmung“ bezeichnet wird. Dem steht die Relationsbestimmung mit zentralen Stützstiftplatten gegenüber.
a) Handgeführte Kieferrelationsbestimmung
Die handgeführte Kieferrelationsbestimmung kann auf den Funktionsabformungen, mit Registrierschablonen (Wachswallschablonen, „Bissschablonen“) oder mit Prothesen erfolgen. Als Registrat-Materialien haben sich geeignete Wachse oder thermoplastische Massen bewährt. Hilfreich ist es, Eingriffmulden oder Fingerstützen im Belastungszentrum seitlich der Wachswälle beziehungsweise der Prothesen anzubringen. Während der bimanuellen Durchführung der Relationsbestimmung liegen die Daumen am horizontalen Unterkieferast, die Zeigefinger fixieren gleichzeitig die untere Schablone/Prothese auf dem Tegument. Man achtet auf die Position der Unterarme, die in der Verlängerung der Medianebene des Kopfes liegen sollten, während der Unterkiefer in die zentrische Kondylenposition geführt wird.
Gegenüber dem Stützstiftverfahren bietet die handgeführte Kieferrelationsbestimmung zeitlich deutliche Vorteile und lässt sich mit Registrierschablonen ohne zusätzliches technisches Equipment am Patienten durchführen. Das ist sicher der wesentliche Grund, warum dieses Verfahren in der Praxis die übliche Methode ist. Allerdings ist nicht nur die Reproduzierbarkeit der „Handbissnahme“ der der Pfeilwinkelregistrierung geringfügig unterlegen. Darüber hinaus ist die Gefahr von Fehlregistrierungen wegen der begrenzten Kontrollmöglichkeiten höher [102, 103]. Die handgeführte Kieferrelationsbestimmung – mag sie auch noch so präzise durchgeführt werden – resultiert immer in einer Grenzposition der Kiefergelenke und somit in einer vom Behandler manipulierten Unterkieferhaltung: Ohne Führung des Unterkiefers und Stabilisierung der Schablonen lässt sich keine Relationsbestimmung bei zahnlosen Patienten durchführen.
b) Zentrale Stützstiftregistrierung
Bei der zentralen Stützstiftregistrierung sind folgende Probleme zu berücksichtigen [47, 48, 56, 61, 69, 71, 81, 110, 113, 116]:
• Die Aufzeichnung erfordert eine Aktivität der Muskulatur, die die Unterkieferlage möglicherweise ungünstig beeinflussen kann.• Die den Zungenraum verkleinernden Platten können das „muskuläre Gleichgewicht“ stören.• Es ist unklar, was mit dem Begriff „zentral“ gemeint ist.• Zahlreiche Einflussfaktoren können das Ergebnis der Registrierung verändern.
Die Position des Stützstifts soll die gleichmäßige Belastung der Registrierschablonen und des Teguments gewährleisten, so dass die Schablonen nach dem leichten Kieferschluss bei dann zunehmender Schließkraft in zentrischer Kondylenposition in Ruhe liegen bleiben und keinesfalls auf dem Prothesenlager rutschen.
Die handgeführte Kieferrelationsbestimmung und die Verschlüsselung auf der Pfeilwinkelspitze haben unterschiedliche Unterkieferpositionen zur Folge [13, 50, 53, 85, 99, 103, 116]. Die Differenzen können im Gelenkbereich räumlich um die 1 mm betragen. Da die Studien bei Totalprothesenträgern durchgeführt wurden, kann über die Abweichungsrichtung allerdings keine valide Aussage getroffen werden: Bei den Messungen kann nicht zwischen Verlagerung der Prothesen und Verlagerung des Unterkiefers differenziert werden. Dies wäre nur bei bezahnten Probanden möglich. Nicht nur die Positionen, auch die Reproduzierbarkeit der beiden Verfahren sind verschieden (im Kiefergelenkbereich räumlich: handgeführte Kieferrelationsbestimmung: 0,7 ± 0,4 mm; Pfeilwinkelregistrierung: 0,5 ± 0,3 mm). Etwas präziser ist also die Relationsbestimmung mit zentralen Stützstiftplatten und der Verschlüsselung auf der Pfeilwinkelspitze [99, 100, 102, 103]. Die Genauigkeit korrespondiert hier eher mit der tatsächlich beim Patienten erforderlichen Präzision der Einstellung der Okklusion (interokklusale Tastempfindung bei Totalprothesenträgern: 0,4 ± 0,3 mm) [104]. Für die Pfeilwinkelregistrierung spricht, dass okklusale Diskrepanzen besser sichtbar werden [8].
Nur eine Studie ist uns zu der sicher letztlich entscheidenden Frage bekannt, ob Patienten mit der einen oder anderen Methode auf Dauer besser zurechtkommen. Auch hier scheint die Pfeilwinkelmethode Vorteile zu besitzen (allerdings ohne statistisch signifikante Unterschiede festzustellen) [102, 103].
Für eine gute Reproduzierbarkeit ist generell die Aufzeichnung des Pfeilwinkels unter Handführung des Behandlers und die Verschlüsselung auf der Pfeilwinkelspitze empfehlenswert. Eine anteriore Verschlüsselung hinter der Pfeilwinkelspitze, möglicherweise in der individuell zu definierenden Mitte eines Adduktionsfeldes, mit dem Ziel eine unphysiologisch weit dorsale oder manipulierte Unterkieferposition zu vermeiden, lässt dagegen keine brauchbare Überprüfung der Position zu. Für die Verschlüsselung auf der Pfeilwinkelspitze spricht auch die Tatsache, dass unter Führung des Unterkiefers durch den Behandler eine gegenüber der handgeführten Kieferrelationsbestimmung weiter anteriore Lage der Mandibula resultiert [41]. Es ist also nicht notwendig (wäre aber auch nur bei diesem Verfahren möglich), „hinter der Pfeilwinkelspitze“ zu verschlüsseln, um gezielt einen Abstand zwischen ZKP und der neuen maximalen Interkuspidation zu erzeugen.
Die Aufzeichnung des Pfeilwinkels lässt sich heute mit elektronischer Unterstützung durchführen [109]. Die Möglichkeit, die aufgewendete Kieferschließkraft während der Registrierung zu kontrollieren, ist von Vorteil. Allerdings gibt es keine Studien zu der Frage, wie hoch die Kraft sein muss/darf. Die Schließkräfte liegen unkontrolliert meist unter 10 N [44]; Kräfte über 5 N scheinen negative Einflüsse zu haben [47, 48, 113]. Unklar ist auch, inwieweit die Höhe der aufgewendeten Kieferschließkraft etwas mit dem späteren Zurechtkommen der Patienten mit den Prothesen zu tun hat. Die bei dieser oder vergleichbarer Technik vorgegebene Platzierung des Unterkiefers zur Pfeilwinkelspitze lässt sich weder nachvollziehen noch trifft sie mit den natürlichen Gegebenheiten überein [21].
Im Gegensatz zur handgeführten Kieferrelationsbestimmung hat die zentrale Stützstiftregistrierung Kontraindikationen, die auf der prinzipiellen Systematik beruhen:
• ausgedehnte Schlotterkämme, die ein ungleichmäßiges Einsinken der Prothesen bei Belastung bewirken• Defektprothesen, bei denen das Tegument nicht gleichmäßig belastet werden kann• stark abweichende Prothesenschwerpunkte in Ober- und Unterkiefer• keine stabile Lage der Prothesen (große Zunge, Proglissement u.a.)• Patienten, die nicht mitarbeiten können (Bewusstseinslage!).
2.3.3.3 Neuromuskulär bestimmte Position
Beim Bezahnten führt die Muskulatur den Unterkiefer in der Regel komplikationslos in die maximale Interkuspidation hinein. Daher liegt es nahe, die Schließbewegungen der Mandibula zur Registrierung der Unterkieferlage beim unbezahnten Patienten heranzuziehen, in der Annahme, dass dadurch eine der ursprünglichen maximalen Interkuspidation nahekommende und damit physiologische horizontale Unterkieferhaltung festgelegt wird. Dies ist aus mehreren Gründen kritisch zu sehen:
1. Registrierungen der neuromuskulär bestimmten Lage resultieren nicht in einer punktförmigen, eindeutigen Position. Mit Stützstiftplatten ergeben sich verschieden geformte „Adduktionsfelder“. Daraus eine „richtige“ Position für den Unterkiefer herauszulesen, ist der individuellen Interpretation des Behandlers überlassen und deshalb mit Fehlern behaftet. Auch mit anderen muskelorientierten Verfahren ist keine eindeutige Interkuspidation zu erhalten, die später eine sichere Zuordnung der Schablonen außerhalb des Mundes erlaubt. Die Reproduzierbarkeit dieses Verfahrens ist daher zwangsläufig reduziert [34, 98].
2. Messergebnisse zeigen, dass selbst bei Bezahnten die mit zentralen Stützstiftplatten erzielte neuromuskulär bestimmte Position nicht mit deren maximaler Interkuspidation identisch ist [12, 21, 26, 34, 38, 42, 46, 49, 51, 86, 98, 111]. Das Ziel, die ursprüngliche maximale Interkuspidation im idealen Fall zu übertragen, wird nicht erreicht.
3. Die praktische Durchführung einer von der Muskulatur dominierten Registrierung wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass die Stützstiftplatten die Muskulatur in nicht vorauszusehender Weise beeinflussen und dem Unterkiefer eine fremdkörperbedingte Lage geben, mit mannigfaltigen Einflüssen auf die Registrierung [12, 37, 52, 70, 84, 98].
4. Registrierungen nach vorhergehender Stimulation der Kaumuskulatur zum Beispiel mit dem Myomonitor [45] aktivieren nur einen kleinen Anteil der Kaumuskulatur. Die resultierende Position kann daher nicht als physiologisch angesehen werden.
5. Die Unterkieferlage verändert sich bei Patienten mit Totalprothesen im Laufe der Tragezeit in eine zunehmend anteriore Haltung, bedingt durch Einlagerung der Prothesen, Abrasion der Zähne, Resorption der Alveolarknochen und resultierender Verschiebung der Okklusion der Prothesen [18, 23, 89, 93 bis 97]. Die Muskulatur adaptiert sich. Das würde im Laufe der Jahre eine immer weiter nach anterior verschobene Unterkieferhaltung bedeuten.
Aus den oben dargelegten Gründen sollte die neuromuskuläre Registrierung zur Herstellung von Totalprothesen keinesfalls als alleiniges Verfahren eingesetzt werden.
2.4 Fazit zur Kieferrelationsbestimmung bei zahnlosen Patienten
Die Kieferrelationsbestimmung bei zahnlosen Patienten beinhaltet bei der Festlegung der vertikalen und der horizontalen Dimension einige Unsicherheitsfaktoren, die in der Fehleranfälligkeit dieser Arbeitsschritte begründet sind. Daher ist die kritische Kontrolle der eingestellten vertikalen und horizontalen Unterkieferlage sehr zu empfehlen. Für den Erfolg ist neben der für das Vorgehen vorausgesetzten Gesundheit des stomatognathen Systems [73] auch die Aufklärung des Patienten von wesentlicher Bedeutung: In jedem Fall darf nicht vergessen werden, dass eine Adaptation an die neue Unterkieferhaltung beziehungsweise an den neuen Zahnersatz insgesamt nach der Eingliederung einer Prothese erforderlich ist [67]. Die Bedeutung der Adaptation machen indirekt solche Studien deutlich, die in der Mehrheit keinen Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Herstellungsverfahren von Totalprothesen und der Zufriedenheit der Patienten nachweisen konnten (allerdings ist in einigen Fällen die Methodik in Zweifel zu ziehen, weil oft zu viele Parameter miteinander vermischt wurden) [7, 9, 22, 27, 40, 108].
2.5 Forschungsbedarf
Es fehlen prospektive, doppelblinde klinische Studien, die mehrere unterschiedliche Verfahren vergleichend untersuchen und die eine größere Stichprobe unter Beachtung folgender Parameter beinhalten:
• Adaptierbarkeit/Zurechtkommen• Reproduzierbarkeit• Validität des verwendeten Untersuchungsprotokolls• Aufwand• Behandlereinfluss• Kosten.
3. Relationsbestimmung bei Teil- und Vollbezahnten
3.1 Bestimmung der zentrischen Kondylenposition
3.1.1 Grundlagen
Wenn nicht ausreichend viele okkludierende Zahnpaare zur Verfügung stehen, oder wenn Änderungen der vertikalen oder horizontalen Kieferrelation angestrebt werden, muss beim Teil- und Vollbezahnten die Registrierung der zentrischen Kondylenposition erfolgen. In den übrigen Fällen kann die Zuordnung des Unterkieferzum Oberkiefermodell in maximaler Interkuspidation durchgeführt werden [2, 11]. Auch bei der Bestimmung der zentrischen Kondylenposition beim funktionsgesunden Teil- und Vollbezahnten muss auf die Verwendung der geeigneten Technik und die Materialauswahl geachtet werden [7].
3.1.2 Literaturrecherche
Die folgende Literaturübersicht beruht auf einer Literaturrecherche vom September 2008. Es wurde eine MeSH-Suche in Pub-Med mit folgenden Begriffen durchgeführt: „Jaw relation record“ OR „centric relation“ NOT „craniomandibular disorders“ NOT „dental occlusion, traumatic“ NOT „dental occlusion, balanced“. Die Suche erbrachte 93 Treffer, wobei zehn Publikationen für die Fragestellung gänzlich ungeeignet waren und 2 Publikationen nicht auf Deutsch oder Englisch vorlagen. Zusätzlich wurde in der Datenbank des Deutschen Ärzte-Verlags (Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift) eine Suche durchgeführt (neun Treffer). Ferner wurden die Literaturverzeichnisse der gefundenen Studienartikel analysiert; es konnten 13 weitere relevante Beiträge identifiziert werden. Alle gefundenen Artikel wurden hinsichtlich der Fragestellung „Materialauswahl“ und „Technik“ (siehe unten) untersucht. 32 Studienartikel erfüllten die Kriterien.
3.1.3 Reproduzierbarkeit
Die Reproduzierbarkeit des intraoralen Stützstiftregistrats liegt im Kiefergelenkbereich bei Vollbezahnten räumlich bei etwa . 0,4 bis 0,5 mm und positioniert den Unterkiefer weiter anterior und kranial als andere Methoden [8, 12]. Zusätzlich ist dieses Verfahren recht aufwendig und erfordert die aktive Mitarbeit des Patienten. Die Reproduzierbarkeit der Registrierung mittels Kinnmanipulation (wie Lauritzen-Griff) liegt zwischen 0,4 und 0,5 mm, wobei die Erfahrung des Behandlers bei der Führung des Patienten generell einen Einfluss hat [15]. Eine gute Reproduzierbarkeit weist die bimanuelle Führung auf [7, 14]. Hier ist eine mittlere Schwankungsbreite von 0,3 bis 0,4 mm zu erwarten [12]. Dabei wird die überlegene Reproduzierbarkeit der bimanuellen Führung gegenüber der intraoralen Stützstiftregistrierung und der Kinnmanipulation durch die Streubreite der Messwerte relativiert. Somit erscheinen die genannten Verfahren grundsätzlich geeignet [4]. Für andere Methoden ist die Datenlage bisher unzureichend [1, 3].
Da jedoch die Reproduzierbarkeit der maximalen Interkuspidation deutlich besser ist als die Reproduzierbarkeit der zentrischen Kondylenposition [13], sollte die maximale Interkuspidation als bevorzugte Kieferrelation verwendet werden, wenn dies möglich und aus zahnmedizinischer Sicht sinnvoll ist.
3.1.4 Materialauswahl
Bei der Materialauswahl zur Registrierung der zentrischen Kondylenposition bei Teilund Vollbezahnten sollten möglichst dimensionsstabile Werkstoffe zum Einsatz kommen [9]. Hierfür sind grundsätzlich Trägerplatten aus Kunststoff, Zinn oder Wachsen geeignet [12]. Die Reproduzierbarkeit der Wachsträgerplatten [5] (in Kombination mit Aluwachs oder Zinkoxid-Eugenol-Präparaten als Verschlüsselungsmaterial) ist im Vergleich zu den Kunststoffplatten oder Zinnfolien geringfügig besser (0,3 mm versus 0,4 mm), wobei auch hier die Streuung der Messwerte dieses Ergebnis relativiert [12].
3.1.5 Zusammenfassung
Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die Reproduzierbarkeit von bimanuellen Registraten unter Verwendung von Wachsträgerplatten alleine oder in Kombination mit Zinkoxid-Eugenol-Präparaten beziehungsweise Aluwachs als Verschlüsselungsmaterial gegenüber den anderen Verfahren/Materialien geringfügig überlegen ist. Ob von dieser verbesserten Reproduzierbarkeit der Patient profitiert, lässt sich durch die derzeitige Datenlage nicht klären [10]. Zusätzlich ist unabhängig vom verwendeten Verfahren eine Adaptationsfähigkeit des Patienten Grundlage eines jeden Behandlungserfolgs.
3.2 Kieferrelationsbestimmung in maximaler Interkuspidation
3.2.1 Literaturrecherche
Bei der Bestimmung der maximalen Interkuspidation beim funktionsgesunden Teil- und Vollbezahnten muss auf die Verwendung der geeigneten Technik und die Materialauswahl geachtet werden [5, 10]. Die folgende Literaturübersicht beruht auf einer Literaturrecherche vom September 2008. Es wurde eine Suche in PubMed mit folgenden Begriffen durchgeführt: „intercuspation“ or „maximal occlusion“ or „maximum intercuspal contacts“ or „intercuspal contact“. Die Suche erbrachte 240 Treffer, wobei lediglich 20 Publikationen für die Fragestellung geeignet waren. Zusätzlich wurde in der Datenbank des Deutschen Ärzte-Verlags (Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift) eine Suche durchgeführt (drei relevante Treffer). Zusätzlich wurden die Literaturverzeichnisse der relevanten Treffer durchsucht (zwei weitere Treffer).
3.2.2 Reproduzierbarkeit
Grundsätzlich lässt sich die maximale Interkuspidation deutlich zuverlässiger/reproduzierbarer bestimmen als die zentrische Kondylenposition. Der Interclass-Correlation-Coeffizient liegt bei rund 0,8 [4] und die sagittale Reproduzierbarkeit im Kiefergelenkbereich bei 0,1 mm [10]. Es muss jedoch beachtet werden, dass das Vorliegen zweier vollbezahnter Kiefer beim Patienten keineswegs bedeutet, dass die Modelle später schaukelfrei aufeinander positioniert werden können [10]. Daher empfiehlt es sich, auch die maximale Interkuspidation mittels geeigneter Materialien zu fixieren. Zusätzlich spielt offensichtlich die Abformtechnik in diesem Zusammenhang eine Rolle [8].
3.2.3 Materialauswahl
Bei der Materialauswahl zur Registrierung der maximalen Interkuspidation sollten möglichst dimensionsstabile Werkstoffe zum Einsatz kommen, die einerseits dem Durchbiss einen möglichst geringen Widerstand entgegensetzen, andererseits im ausgehärteten Zustand eine ausreichende Stabilität besitzen [5]. Daher sind hierfür Vinyl-Polysiloxane [7] geeignet, als auch Polyethermaterialien [1, 6] und multifunktionelle Methacrylate auf Bis-Acrylat-Basis [12]. Doch auch bei der Verwendung dieser Materialien ist mit Ungenauigkeiten zu rechnen [12], weshalb das Radieren der Modelle bis zum Auftreten gleich lokalisierter Kontakte wie im Mund, empfohlen wird [11, 3].
Wachse erscheinen für die Registrierung der maximalen Interkuspidation hingegen nicht geeignet, da diese bei In-vitro-Studien rund vier Mal größere Abweichungen aufweisen, als zum Beispiel Polyethermaterialien (38 μm versus 8 μm) [6].
3.2.4 Zusammenfassung
Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die Reproduzierbarkeit der Registrierung der maximalen Interkuspidation unter Verwendung von Vinyl-Polysiloxanen als auch Polyethermaterialien ausreichend genau ist. Das Radieren der einartikulierten Modelle bis zum Auftreten von gleich lokalisierten Kontakten wie im Mund erscheint zielführend.
Karl-Heinz Utz, BonnMarc Schmitter, HeidelbergWolfgang B. Freesmeyer †, BerlinThomas R. Morneburg, ErlangenAlfons Hugger, DüsseldorfJens C. Türp, BaselPeter Rammelsberg, Heidelberg