Paro-Mekka in Florenz
28 Kollegen waren aus dem Norden nach Italien gereist, um mit dem Expertenteam Pierpaolo Cortellini und Prof. Dr. Maurizio Tonetti (Ergoperio, Genua) ihre Kenntnisse und Fertigkeiten in regenerativer Parodontalchirurgie weiter zu entwickeln.
Der Freitagvormittag war den operativen Techniken gewidmet, die an den folgenden Tagen sowohl in vier Live-Operationen demonstriert, als auch in praktischen Übungen am Model geübt wurden. Es ging um die Therapie intraalveolärer Knochentaschen mittels verschiedener Schnittführungen: modifizierter (modified papilla preservation flap: MPPF) bezeihungsweise vereinfachter (simplified papilla preservation technique: SPPT) Papillenerhaltungslappen, „minimal invasiv surgical technique“ (MIST) (Abbildung 1) und schließlich die modifizierte MIST-Schnittführung (mMIST). Die Gemeinsamkeit all dieser Techniken ist, dass das Gewebe der Interdentalpapille möglichst komplett erhalten wird, um den Defekt nach dem regenerativen Eingriff dicht verschließen zu können. Der MPPF erfordert einen ausreichend breiten und hohen Papillensteg (größer gleich zwei Millimeter).
Ist die Papille zu schmal, wird auf den SPPT zurück gegriffen. Bei MPPF und SPPT wird ein Mukoperiostlappen über die mukogingivale Grenzlinie hinaus mobilisiert. Dies ermöglicht einerseits nach Periostschlitzung eine Koronalverschiebung. Allerdings verursacht die breite Mobilisation des Lappens andererseits auch eine ausgeprägte Wundinstabilität. Wenn es aber um das Ausmaß der Regeneration geht, spielt die Stabilität der Wunde eine entscheidende Rolle. Faktoren, die die Stabilität des postoperativ in der Knochentasche entstehenden Blutkoagulums beeinträchtigen (wie erhöhte Zahnbeweglichkeit, weniger Knochenwände, weit mobilisierter Lappen), hemmen auch die Regeneration. Deshalb ist die Anwendung von MPPF und SPPT nur sinnvoll, wenn eine Koronalverschiebung des Lappens beabsichtigt ist. Dies macht aber eine zusätzliche Stabilisierung der Wunde durch die Verwendung von Barrieremembranen („Exoskelett“) oder Füllmaterial („Endoskelett“) erforderlich.
MIST und modified MIST
Wird der Lappen nur gerade bis zum knöchernen Rand des Defektes mobilisiert spricht man von der MIST-Schnittführung. So bleibt ein größerer Teil des Gefäßanschlusses erhalten als bei MPPF und SPPT, was die Wundheilung begünstigt. Die Papille wird gelöst und nach oral mobilisiert. Wird der Papillensteg zwar „unterminiert“, aber nicht mobilisiert, handelt es sich um das modifizierte MIST-Verfahren. Auf diese Art und Weise wird ein maximaler Grad an Wundstabilität erreicht. MIST kann bei intraalveolären Defekten angewandt werden, die ein Drittel der Zahnflächen umfassen. Wenn der Defekt komplett von bukkal gereinigt werden kann, ist er für mMIST geeignet. Ist auch ein Zugang von oral erforderlich, muss die Papille mobilisiert werden (MIST). Bei Defekten, die drei Viertel der Zahnflächen umfassen und weit fortgeschritten sind, eignen sich MPPF beziehungsweise SPPT besser für die regenerative Therapie. Für MIST in unterstützenden Defekten (überwiegend dreiwandig) und mMIST reicht die Verwendung von Schmelz-Matrix-Protein zur Regeneration (Abbildung 2). Die Kombination mit Füllmaterial ist sinnvoll bei nicht unterstützenden Defekten (zum Beispiel primär einwandig).
Fallauswahl
Im Anschluss stellte Prof. Pierpaolo Cortellini die vier Fälle vor, die er am Freitagnachmittag und Samstagvormittag in seiner Praxis operieren würde: drei Patienten mit Knochentaschen im Frontzahn-, eine Patientin mit intraalveolären Defekten im Seitenzahnbereich. Bei allen Patienten war die antiinfektiöse nichtchirurgische Therapie erfolgreich abgeschlossen. Im Frontzahnbereich muss bei der nichtchirurgischen Instrumentierung darauf geachtet werden, dass das Weichgewebe nicht verletzt wird, um die Retraktion der Gingiva zu begrenzen. Diese antientzündliche Therapie kann durch die zusätzliche Applikation eines lokalen Antibiotikums etwa eine Woche präoperativ unterstützt werden. Eine weitgehende Reduktion der Entzündung ist eine wesentliche Voraussetzung für die regenerativen Lappentechniken. Großer Wert wird auf effektive individuelle Plaquekontrolle (Plaqueindex < 15 Prozent ) und zumindest eine Reduktion des Nikotinkonsums (< zehn Zigaretten/Tag) gelegt.
Die Live-Operationen
Die Gruppe teilte sich nach einer kurzen Mittagspause, die bereits zu intensiven Diskussionen genutzt wurde: 14 Kursteilnehmer folgten Prof. Pierpaolo Cortellini in seine Praxis, während die anderen im Kursraum die chirurgischen Techniken mit Prof. Maurizio Tonetti an Modellen üben konnten. Am folgenden Samstagvormittag tauschten beide Gruppen die Plätze. Die Operationen von Prof. Cortellini wurden in zwei Räume übertragen, in denen die Teilnehmer dem Geschehen auf zwei Ebenen synchron folgen konnten. Eine Kamera nahm zum einen die gesamte Behandlungseinheit mit allen Interaktionen zwischen Operateur, Patient und Assistenz auf. Zum anderen wurde auf eine große Leinwand die Sicht von Prof. Cortellini durch das Operationsmikroskop auf das Operationsfeld übertragen. Die Kursteilnehmer hatten also zu jeder Zeit die intraoperative Sicht des Operateurs. Alle zuvor vorgestellten Techniken (MPPF, SPPT, MIST und modified MIST) kamen zum Einsatz, so dass jeder Teilnehmer ausgiebig Gelegenheit hatte alle Details dieser Operationsverfahren zu betrachten.
Hands-on
Jeweils eine Hälfte der Gruppe konnte mit Prof. Maurizio Tonetti (Abbildung 3), während die anderen die Live-Operationen verfolgten, vier Defekte beziehungsweise Defektkombinationen an speziell präparierten Phantommodellen operieren. In der Folge wurde das Vorgehen bei MPPF mit Füller und einer Kollagenmembran, MIST mit Schmelz-Matrix-Protein, modified MIST und schließlich einer Kombination von MIST und mMIST trainiert. Anhand von Videodemonstrationen wurden die Schnittführungen Schritt für Schritt erläutert und anschließend umgesetzt. Bei optimaler Sicht konnten die Nahttechniken, bei MIST und mMIST bevorzugt eine Laurell-Naht, ausprobiert und immer weiter perfektioniert werden. Die Skalpell-Klinge der Wahl ist eine Micro-Mini-Klinge der Spezifikation USM 6900 (Abbildung 1) und ohne Lupenbrille ging praktisch nichts (Abbildung 3).
Fragen über Fragen
Beide Gruppen trafen sich am Samstagnachmittag wieder zu einer Diskussion der operierten Fälle. Natürlich gab es viele Fragen. So zum Beispiel wie sieht das postoperative Regime konkret aus? Für vier Wochen spülen alle Patienten mit 0,12 prozentiger Chlorhexidinlösung für eine Minute drei mal täglich und putzen alle Zähne normal mit Ausnahme der regenerativ behandelten Region. Eine Woche postoperativ erfolgt die Nahtentfernung, und alle Zahnflächen werden gereinigt (Politur). Der Patient erhält eine sehr weiche Zahnbürste. In der zweiten postoperativen Woche sind Zahnzwischenraumbürsten im Operationsgebiet noch Tabu. Zahnreinigungen erfolgen wöchentlich, ab der dritten postoperativen Woche darf eine unterdimensionierte Zahnzwischenraumbürste eingesetzt werden. Bei komplikationsloser Heilung kann der Patient vier Wochen postoperativ zu seiner normalen Mundhygiene zurückkehren.
Ausblick
Die DGP setzt ihr neues Konzept der Frühjahrstagungen fort: Am 25./26. Februar 2011 wird die „Göteborger Schule“ in Frankfurt am Main zum Thema „25 Jahre Implantieren im parodontal kompromittierten Gebiss. Wo stehen wir heute?“ Stellung nehmen. Auch hier besteht wieder die Möglichkeit am 6. und 7. Oktober 2011 ein vertiefendes Modul 2 an der Wirkungsstätte der Referenten in Göteborg zu besuchen.
Peter Eickholz (Universität Frankfurt am Main)Ulrich Schlagenhauf (Universität Würzburg)Heinz Topoll (Münster)Kai Worch (Garbsen)eickholz@med.uni-frankfurt.de