Unklare zervikale Raumforderung

Rezidivierende mediane Halszyste

229697-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Markus Hullmann, Martin Gosau, Torsten E. Reichert

Eine fünfjährige Patientin wurde aufgrund einer unklaren Raumforderung im Bereich des Mundbodens durch einen niedergelassenen HNO-Kollegen zur Abklärung und zum Ausschluss eines odontogenen Fokus bei gleichzeitig bestehenden subfebrilen Temperaturen in unserer Klinik vorgestellt (Abbildung 1).

Anamnestisch bestand seit zwei Wochen eine submentale, größenprogrediente und indolente Schwellung. Schluck- und Atembeschwerden bestanden nicht. Seit drei Tagen klagte die Patientin über grippale Symptome, die bereits im Abklingen waren. Bei der klinischen, extraoralen Untersuchung zeigte die Schwellung eine prall-elastische Konsistenz ohne Druckschmerzhaftigkeit. Eine begleitende Hyperämie war nicht nachweisbar. Verletzungen im Halsbereich waren nicht erkennbar. Bei der bimanuellen Palpation ließ sich die verschiebliche Schwellung kaudal des Musculus mylohyoideus lokalisieren. Bei der intraoralen Inspektion zeigte sich ein unauffälliger Zahnstatus. Aus den Speicheldrüsenausführungsgängen ließ sich klares Sekret exprimieren. Im OPT (Orthopanthomogramm) konnte kein pathologischer Befund im Bereich der Zähne und der Kieferknochen lokalisiert werden. In den letzten drei Monaten waren keine zahnärztlichen Eingriffe vorgenommen worden. Eine dentogene Ursache konnte somit ausgeschlossen werden.

In der anschließend durchgeführten Sonografie des Halses kam eine 2,3 cm mal 2,4 cm mal 1,2 cm messende, hypodense und homogene Raumforderung mit dorsaler Schallverstärkung in der Medianebene des Halses oberhalb des Os hyoideum zur Darstellung (Abbildung 2).

Auf eine weiterführende computertomografische Darstellung (CT) wurde aufgrund des jungen Alters der Patientin aus strahlenhygienischen Gründen verzichtet. Daraufhin wurde die Verdachtsdiagnose einer medianen Halszyste gestellt und die operative Entfernung des Prozesses angestrebt. In Allgemeinnarkose wurde die Raumforderung über einen extraoralen Zugang operativ entfernt (Abbildungen 3 und 4).

Neben der Enukleation des zystisch imponierenden Gewebes wurde der mittlere Teil des kranialen Randes des Zungenbeins mit entfernt. Das entnommene Gewebe wurde histopathologisch begutachtet und die Verdachtsdiagnose bestätigt. Die beschriebene Grippesymptomatik, die den Verdacht auf einen möglichen Infekt gelenkt hatte, bestand höchstwahrscheinlich unabhängig vom Primärbefund. Nach einem dreitägigen stationären Aufenthalt konnte die Patientin bei Ausbleiben perioperativer Komplikationen in die ambulante Nachsorge entlassen werden. Ein Jahr postoperativ wurde die Patientin erneut in unserer Poliklinik aufgrund einer wiederaufgetretenen submentalen Schwellung vorgestellt. Wiederum zeigte sich eine prall-elastische, indolente Schwellung kaudal der Mundbodenmuskulatur. Die Ultraschalluntersuchung konnte erneut eine hypodense Raumforderung mit dorsaler Schallverstärkung mit einem Durchmesser von 1,2 cm mal 1,1 cm mal 0.9 cm Durchmesser nachweisen (Abbildung 5). Es musste daher von einem Rezidiv der medianen Halszyste ausgegangen werden. In der veranlassten Revisionsoperation konnte wieder ein zystischer Prozess entnommen werden. Die Histopathologie bestätigte den Verdacht eines Rezidivs. Zur Prophylaxe wurde in diesem Eingriff der gesamte mediane Anteil des Os hyoideum reseziert. Am zweiten postoperativen Tag konnte die Patientin in die ambulante Nachsorge entlassen werden.

Diskussion

Die mediane Halszyste gehört zur Gruppe der angeborenen Halszysten, die ihre Ursache während der Embryogenese finden. Die Anlage der Schilddrüse entwickelt sich zunächst im Bereich des Pharynx als Aussprossung des oberen Proenterons. Im weiteren Verlauf wächst das Gewebe schlauchförmig durch die Zungenanlage nach kaudal. Ihre endgültige Lage vor der Trachea nimmt die Schilddrüse etwa in der siebten Embryonalwoche ein [Ozolek, 2009]. Der Ductus thyreoglossus markiert den Abstiegspfad des Gewebes. In der Regel obliteriert er in der fünften Gestationswoche und hinterlässt lediglich das Foramen caecum als sichtbare Vertiefung am Zungengrund. In etwa 25 bis 30 Prozent der Fälle kann ein Rest des Ductus thyreoglossus als dritter, unpaarer Schilddrüsenlappen (Lobus pyramidalis) imponieren. Bleibt der Ductus thyreoglossus vollständig als Relikt bestehen, spricht man von einem Ductus thyreoglossus persistens. Hierdurch kann es zur Entwicklung einer medianen Halszyste kommen [Ozolek, 2009]. Bedingt durch die Entwicklungsgeschichte handelt es sich bei der medianen Halszyste um eine unpaare Raumforderung, wodurch sie sich von den lateralen Halszysten unterscheidet, die paarig auftreten können. Zu 75 Prozent liegt sie in der Mittellinie des Halses, zu 25 Prozent leicht von der Mittellinie des Halses abweichend [Ahuja et al., 2005]. Die mediane Halszyste manifestiert sich zu 65 Prozent im infrahyoidalen Halsabschnitt, 15 Prozent liegen auf dem Niveau des Os hyoideum und 20 Prozent, wie in unserem Fall beschrieben, im suprahyoidalen Halsbereich [Imhof et al., 2004]. Zu 50 Prozent manifestiert sie sich vor dem 20. Lebensjahr [Ahuja et al., 2005]. Bei den differenzialdiagnostischen Überlegungen muss sie von anderen zervikal auftretenden Tumoren unterschieden werden. Als solche kommen entzündliche Prozesse (Abszess, Phlegmone, Lymphadenitiden) und Neoplasien (Lipome, Neurofibrome, Hämangiome, Teratome) infrage [Glosser et al., 2003]. Bei der klinischen extraoralen Untersuchung sollten Aspekte wie Hautkolorit und Temperatur sowie eventuelle Hautläsionen erfasst werden. Um odontogene Ursachen auszuschließen, sollte der Zahnstatus erhoben und ein OPT angefertigt werden. Der nächste diagnostische Schritt sollte die Verwendung der Ultrasonografie sein, da sie einfach verfügbar und nebenwirkungsfrei ist. Der Befund kann sich sowohl echofrei als auch echoarm oder echoreich zeigen, abhängig von der Binnenstruktur der Raumforderung [Imhof et al., 2004]. Bei nicht eindeutiger Zuordnung des Befunds in der Sonografie können weitere bildgebende Verfahren wie das MRT und das CT zur Anwendung kommen. Dabei erfordert die MRT-Diagnostik bei Kindern oftmals eine Sedierung, um Bewegungsartefakte zu vermeiden [Koch, 2005]. Im beschriebenen Fall konnte unter Berücksichtigung des Patientenalters auf eine Computertomografie und eine Magnetresonanztomografie des Halses verzichtet werden, da der sonografische Befund bereits eine zystische Struktur mit homogenem Binnenecho zeigte. Die Therapie der Wahl ist die vollständige Resektion des zystischen Prozesses mit möglichst weit nach lingual reichender Entfernung von Resten des Ductus thyreoglossus und Resektion der medianen Anteile des Os hyoideum zur Rezidivprophylaxe [Deane und Telander, 1978]. Die Schnittführung verläuft hierbei parallel zu den Hautspannungslinien, idealerweise in einer vorhandenen Hautfalte. Hauptrisiken des Eingriffs sind die Verletzung von Nachbarstrukturen wie Halsgefäße und Nerven. Bei ausgedehnten Befunden besteht das Risiko einer Atemwegsverlegung durch ein reaktives Ödem oder eine Nachblutung. Das Rezidivrisiko bei unvollständiger Resektion oder Belassung der angrenzenden Areale des Os hyoideum liegt bei 19 Prozent, wie dies auch im beschriebenen Fall zunächst auftrat [Knipping und Goetze, 2008].

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburgmarkus.hullmann@klinik.uni-regensburg.de

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