Unter starke Arme greifen
„Ein Mann, der zu beschäftigt ist, sich um seine Gesundheit zu kümmern, ist wie ein Handwerker, der keine Zeit hat, seine Werkzeuge zu pflegen“, sagt ein spanisches Sprichwort. Doch es sind nicht nur die Männer selbst, die ihre Gesundheit mitunter sträflich vernachlässigen, indem sie zu viel arbeiten, sich ungesund ernähren, zu viel Alkohol trinken oder sich zu wenig bewegen.
Vielmehr scheinen auch gesellschaftliche Umstände und fehlende, auf die spezifischen Bedürfnisse des männlichen Geschlechts ausgerichtete Gesundheitsangebote mit dafür verantwortlich zu sein, dass die Lebenserwartung der Männer jener der Frauen noch immer rund fünfeinhalb Jahre hinterherhinkt. Zu diesem Schluss kommen die Autoren des ersten deutschen Männergesundheitsberichts.
Der Bericht der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit versucht mit Vorurteilen aufzuräumen und das Thema unter ganzheitlichen Gesichtspunkten zu beleuchten.
„Wer die Gesundheit des Mannes wirklich fördern will, muss körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden ganzheitlich stärken“, lautet daher auch die Botschaft des Buches. Denn der genetische Alters-Vorteil der Frauen beträgt Studien zufolge gerade mal ein Jahr.
Ein Blick in die Historie belegt zudem ein anderes interessantes Phänomen. „Die viel zitierte Doppelbelastung von Familie und Beruf ist erstaunlicherweise nach allen vorliegenden Untersuchungen eher gesundheitsförderlich im Vergleich zu der einseitigen beruflichen Belastung, der die meisten Männer ausgesetzt sind“, so Prof. Martin Dinges vom Institut für Geschichte der Medizin in Stuttgart bei einem Expertengespräch zum Thema Männergesundheit in der Evangelischen Akademie Bad Boll.
Seit sich vor allem ab Mitte der 1980er-Jahre der Anteil berufstätiger Frauen erhöht hat, habe sich die Differenz in der Lebenserwartung von Frauen und Männern stetig verringert und zwar von rund sieben auf derzeit knapp fünfeinhalb Jahre. Die Veränderungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und des Risikoverhaltens von männlichen und weiblichen Jugendlichen dürften die Unterschiede weiter abschleifen, meint Dinges. Die Medizin wiederum habe an der abnehmenden Differenz nur einen geringen Anteil und zwar Studien zufolge nur von etwa einem Viertel.
Medizinische Angebote an Bedürfnissen ausrichten
Dennoch sei es wichtig, medizinische Angebote stärker als bislang auf die spezifischen Bedürfnisse von Jungen und Männern auszurichten, so Dr. Reinhard Winter und Gunter Neubauer vom Sozialwissenschaftlichen Institut Tübingen. Bereits männliche Schulkinder würden mit Angeboten zur Gesundheitsförderung und -bildung nämlich schlechter erreicht als Mädchen, obwohl Jungen bis zum Alter von 17 Jahren zum Beispiel signifikant häufiger Unfälle und Verletzungen erlitten und eher zu Übergewicht neigten, so Neubauer. Auch läge die Selbstmordrate bei männlichen Heranwachsenden deutlich höher. „Jeweils dreimal mehr Jungen als Mädchen sterben durch Transportmittelunfälle und durch Suizid“, konstatierte Winter.
Zugleich sei der Wissens- und Forschungsstand über die spezifischen gesundheitlichen Probleme von Jungen flach, kritisierte der Pädagoge. Die meisten Ansätze beschäftigten sich vornehmlich mit einem Vergleich zwischen dem Gesundheitszustand und -verhalten von Jungen und Mädchen.
Dr. Matthias Stiehler vom Institut für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft in Dresden bemängelte zudem, dass die hohe Komorbidität zwischen der Neigung zum Selbstmord und typisch männlichen psychischen Erkrankungen, wie Depressionen und antisoziale Persönlichkeitsstörungen, oft verkannt werde.
Auch würden das Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) oder die zunehmende Spiel- und Computersucht von männlichen Jugendlichen nicht ausreichend tief analysiert. „Das schnelle Verschreiben von Ritalin bei ADHS zeigt, dass es allemal einfacher ist, ein Medikament zu verabreichen, als sich mit hinter den Symptomen steckenden Ursachen auseinanderzusetzen“, kritisierte der Diplomtheologe.
Einig waren sich die Experten darüber, dass Angebote zur Gesundheitsförderung, zum Beispiel in Schulen oder auf speziellen Jugendgesundheitstagen, auch gezielter auf das Problem der Milieuzugehörigkeit eingehen sollten. „Über Aufklärungsbroschüren, selbst wenn sie in verschiedenen Sprachen vorliegen, erreichen sie Migranten zum Beispiel kaum“, sagte der Pädiater Dr. Bernhard Stier aus Butzbach.
Während zudem Mädchen durch Besuche beim Frauenarzt frühzeitig regelmäßig Zugang zum Medizinbetrieb bekämen und dadurch auch für andere Vorsorge- und medizinische Leistungen besser erreichbar seien, fehle Jungen und Männern ein solcher „Vertrauensarzt“, der sie von der Pubertät bis ins hohe Alter begleitet. „Der Anteil der Frauen in den Arztpraxen liegt im Schnitt bei 60 Prozent“, verdeutlichte Dinges.
Herausforderung für alle Lebensbereiche
Neben den Ärzten seien aber auch die Politik sowie andere gesellschaftliche Gruppen, Kindergärten, Schulen und Einrichtungen zum Beispiel der Jugendhilfe stärker gefordert, um dem Thema Jungen- und Männergesundheit den Stellenwert einzuräumen, der ihm gebührt, so das Fazit der Veranstaltung in Bad Boll.
Petra SpielbergFachjournalistin für GesundheitsundSozialpolitikp.spielberg@t-online.de