Sterben, Tod und Trauer

Wenn Trost notwendig wird

Auch jahrelange Berufserfahrung und fachliche Routine machen nicht jede Praxissituation beherrschbar. Die Nachricht vom Tod eines Patienten oder die Kenntnis einer schweren Krankheit sind Momente, in denen der Alltag still steht und Wissen nicht weiterhilft, sondern Beistand und Unterstützung gefragt sind. Wie aber reagiert man als Praxisteam?

Zur Beantwortung der Frage, wie man in der Praxis mit den Themen Tod, Sterben und Trauer angemessen und pietätvoll umgeht, kann es hilfreich sein, sich einmal selbst zu fragen, wie man zum Sterben steht und welche Bedeutung es für einen hat. Klarheit über die persönliche Einstellung und über die eigenen Gefühle zum Tod befähigt erst dazu, diese Situation bei anderen nachzuempfinden. So wird einfühlsames Verständnis möglich.

Und erst dieses Verständnis für den anderen lässt uns auch handeln und aktiv Anteilnahme zeigen. In anderen Lebensbereichen helfen wir gerne und spontan, bezeugen Mitleid und Solidarität, haben Verständnis und spenden Trost. Doch bei diesen Themen ist das weitaus schwieriger, eine „vornehme“ Zurückhaltung, Scheu oder auch Verlegenheit sind sehr verbreitet. Doch die meisten Menschen hoffen gerade in solch schwierigen Situationen auf ein vertrautes Wort oder eine mitfühlende Geste. Wenn es gar gelungen ist, zu seinem Patienten ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sind das Hilfebedürfnis auf der einen und die Erwartungshaltung auf der anderen Seite vielleicht umso stärker.

Therapie plus Empathie

Wo liegt der Schlüssel zu einem natürlichen oder – allgemein gesagt – guten Umgang mit dem Thema Tod? Auch die individuelle Art der Lebensführung entscheidet mit darüber, wie „gut vorbereitet“ jemand auf Schicksalsschläge reagieren kann. So hilft es, das Abschiednehmen zu trainieren, denn ein gelungener Abschied beendet einen gelebten (auch einen gemeinsam erlebten) Lebensabschnitt und öffnet die Tür für Neues, ohne das Vergangene unvollendet – und ungewürdigt – zu lassen. Auch das Gefühl, lebenssatt – in einem erfüllten Sinn – aus dem Leben zu gehen, erleichtert die Akzeptanz gegenüber Sterben und Tod, „bewusst leben“ meint dann ausprobieren, genießen, eben Erfüllung im Erleb(t)en zu suchen. Andererseits sollte man sich nicht dagegen wehren, das eigene Alter mit allen Fähigkeiten und Einschränkungen anzunehmen. Gegengewichte schaffen kann man, indem man Freude gegen das Leid setzt, sich also nicht in Schwierigkeiten oder Krankheiten vergräbt.

Neben einem persönlich erfüllten Lebensweg ist – für den Seelenfrieden – auch ein gelungenes Verhältnis zu den Mitmenschen erstrebenswert. Es gilt, Eltern, Kinder, Partner als Individuen anzuerkennen und loszulassen, wenn sie eigene Wege einschlagen wollen. Das Klären von Beziehungen trägt ebenfalls dazu bei, den Tod besser akzeptieren zu können: Dank und Liebe aussprechen, Bedrückendes und offene Rechnungen klären, sich selbst und anderen verzeihen. Man hat dann das Gefühl, „die Dinge in Ordnung gebracht zu haben“. So ist es möglich, Schmerzen, Krisen und Verluste auch positiv als Chance zu sehen, sich weiterzuentwickeln und einen Blick für das Wesentliche im Leben zu bekommen. Dann kann man Frieden schließen mit dem Schicksal, mit dem eigenen nahenden Tod oder mit dem Verlust eines geliebten Menschen. Kraft geben können dabei Rituale. Das Finden von neuen und alten Ritualen zur Bewältigung von Tod und Trauer und ihr Zelebrieren erhöhen das Verständnis, die Akzeptanz und die Fähigkeit zum Weiterleben. Denn Rituale wirken ohne Umweg, Kontrolle und Filtration über den Verstand direkt auf das Gefühl. Das ist wesentlich.

Zuhören und Gefühle zulassen

Was bedeuten diese Dinge für die Zahnarztpraxis? Manchmal stehen wir unvermittelt in einer Situation, die uns sprachlos macht: Ein Angehöriger kommt und erzählt, dass der Partner vor zwei Wochen gestorben ist, oder ein Patient hat gerade von seiner weit fortgeschrittenen Krebserkrankung erfahren. Es macht dann einen großen Unterschied, ob man reagiert, als wenn man nichts gehört hätte, oder ob man sich schon mit dem Thema beschäftigt hat und auf die Person eingehen kann. Auch Mitarbeiter, Nachbarn, der Praxisvermieter und andere Menschen im Umfeld können betroffen sein. Falls bei einer Zusammenarbeit mit der Polizei eine Identifizierung stattfindet, gilt es auch hier, die besonderen Umstände zu bewältigen.Im Umgang mit Trauernden, die von sehr verschiedenen Gefühlen bewegt werden, ist Zuhören wichtig: aktiv, vorurteilsfrei, konzentriert, teilend, Antworten werden kaum erwartet. Menschen sind durch unterschiedliche Lebenserfahrungen individuell geprägt, reagieren anders. Geduld und die Erlaubnis für Todkranke und trauernde Angehörige, den Prozess in der ihnen eigenen Geschwindigkeit zu bewältigen, sind von großem Wert. Tränen sind ein natürlicher Reinigungs- und Heilungsmechanismus.

Falls das Weinen dem Trauernden peinlich ist, ist es gut, deutlich zu machen, dass Gefühle recht haben und sein dürfen. Es genügt oft schon, die Hand zu reichen oder im Stuhl die Hand auf den Unterarm zu legen. Mitunter verfallen Trauernde jedoch in selbstzerstörerische Verhaltensweisen:

Alkohol, überhöhter Tablettenkonsum, Sich-Isolieren, Depressionen. Wenn der Zahnarzt dieses ungesunde Verhalten bemerkt, stellt sich die Frage, ob er die Betroffenen offen darauf ansprechen sollte und unter Umständen Familienangehörige einschalten muss. Das ist natürlich auch vom persönlichen Verhältnis untereinander abhängig.

Zwischen Anteilnahme und Abgrenzung

Jeder steht in einem ständigen Balanceakt: Wie viel Verantwortung übernehme ich bei wem, was ist „Pflicht“, was ist zu viel oder zu wenig? In welchem Maß möchte ich begleiten, stimmt das mit dem überein, was man von mir erwartet, wo ist das für mich gesunde Maß? Inwieweit richte ich mich danach? Die Fähigkeit der inneren Abgrenzung ist bei Trauerprozessen besonders gefragt, speziell die Wahrnehmung fremder und eigener Gefühle, ohne darunter zu leiden.

Alle Kollegen mit der Berufskrankheit Perfektionismus seien aber vehement darin bestärkt, sich im Kontakt mit Schwerkranken und Sterbenden lieber mal ungeschickt zu verhalten, als die Zuwendung aus Angst vor Fehlern vollkommen zu unterbinden. Fehlende Kommunikation ist in einem weit höheren Maß „verkehrt“, als eine aus der Situation entstehende holprige Mitmenschlichkeit.

Eine Anlaufstelle für Unterstützung sind Hospize. Hier werden Ausbildungen für Trauerbegleitung angeboten, für Betroffene gibt es Trauergruppen, in denen sie sich austauschen können.

Verarbeitung in Raten

Sterbeforscherinnen wie Elisabeth Kübler-Ross haben festgestellt, dass die Akzeptanz des Todes für den Sterbenden in bestimmten Phasen abläuft. Dass diese auch für Angehörige gelten, darauf machte unter anderem die Psychologin Prof. Verena Kast aufmerksam.

Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens:

Der Betroffene glaubt nicht an den Tod seines Angehörigen, ist selbst starr und empfindungslos. Die Tränen sind noch nicht da, das Gefühl ist so überwältigend, dass der Körper sich durch den Schockzustand gewissermaßen schützt.

Der Helfende braucht ein gutes Gefühl für Nähe und Distanz: Gibt es Arbeiten, die er für den Trauernden erledigen kann oder möchte dieser es selbst tun? Reicht es, einfach nur da zu sein, oder möchte der andere gerade jetzt körperliche Wärme und in den Arm genommen werden? Alle Gefühle sind „richtig“, auch die Tränen des Helfers oder der Helferin.

Die Phase der aufbrechenden Emotionen:

Wut, Trauer, Freude – alles kann da sein, wechselt teilweise vollkommen überraschend. Schuldzuweisungen an andere oder eigene Schuldgefühle, Zorn, Angst und Ohnmacht werden besonders häufig erlebt, wenn der Tod „vor seiner Zeit“ eingetreten ist.

Als Begleiter kann man diese Gefühle nur zur Kenntnis nehmen, Abschwächen hilft nichts. Zuhören und Da-Sein sind gefragt. Das Chaos der Emotionen ist durchzuhalten, es ist ein Bild für das Weichen von Altem und das Werden von Neuem.

Die Phase des Suchens und Sich-Trennens:

Der Tote wird gesucht zur Auseinandersetzung. Was wird von ihm mitgenommen in den neuen Lebensabschnitt ohne ihn, was bedeutet(e) er für den Angehörigen? Innere Zwiegespräche finden statt, „gemeinsame“ Orte werden noch einmal aufgesucht, das Loslassen versucht.

Der Helfende sollte nicht drängen das Suchen einzustellen, sondern die Geduld aufbringen, sich die immer wiederkehrenden Fantasien und Geschichten anzuhören.

Die Phase des neuen Selbstund Weltbezugs:

Der Verstorbene ist zur „inneren Figur“, zu einer Erinnerung geworden, er wird nicht mehr als Person im Außen gesucht. Der Trauernde wird wieder selbstständiger, geht wieder auf andere Menschen zu und sucht neue Beziehungen. Der Verlust ist akzeptiert. Teilweise treten noch „Rückfälle“ in vorliegende Phasen auf, sie halten nur kurz an. Die Freude am eigenen Leben stellt sich wieder ein. Man denkt mehr als früher über den Sinn des Lebens nach, lebt vielleicht bewusster als vorher.

Diese vier Phasen der Akzeptanz und der Verarbeitung von Tod und Trauer laufen manchmal auch in einer anderen Reihenfolge ab, auch die Dauer variiert. „Störungen“ im Trauerprozess können sich in psychosomatischen Erkrankungen genauso äußern wie in Verzögerungen der einzelnen Phasen.

Handlungsfähig bleiben

Für den eigenen natürlichen Umgang mit dem Tod hilft das bewusste Leben in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Dennoch sollte man darüber nicht vergessen, sich vorher – bevor die Nachricht einen ereilt – einmal mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. Ein wenig „Vorbereitung“ kann im Moment der Trauer die Handlungsfähigkeit erhöhen. Einfacher ist sicherlich, sich in Zeiten, in denen man sich lebendig und stark fühlt, einerseits zu informieren und andererseits emotional mit diesem Lebensbereich zu beschäftigen. Wenn es im beruflichen Alltag, Familien- oder Freundeskreis soweit ist, ist man hilflos genug, weiß aber zumindest, wo man welche Unterstützung finden kann.

Ute JürgensDiplompädagogin/KommunikationstrainerinPeter-Sonnenschein-Str. 5928865 Lilienthal

Literatur:

Klaus Onnasch, Ursula Gast: Trauern mit Leib und Seele – Orientierung bei schmerzlichen Verlusten. Fachratgeber Klett Cotta 2011.

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