Das Quincke-Ödem in der Zahnmedizin
Daria Pakosch, Martin Kunkel
Ein 59-jähriger Patient stellte sich mit einer spontan aufgetretenen Schwellung des Gesichtes vor. In der klinischen Untersuchung zeigten sich extraoral eine Gesichtsschwellung, insbesondere rechtsseitig betont, sowie ein nahezu symmetrisches teigiges Ödem der Ober- und Unterlippe (Abbildung 1). Die intraorale Untersuchung ergab eine glasige Schwellung der gesamten Mundschleimhaut. Der Zahnstatus war bis auf eine negative Sensibilitätsprobe am Zahn 17 unauffällig. Der Patient beklagte weder Atemnot noch Schluckbeschwerden, der Unterkieferrand war durchgehend tastbar. Anamnestisch waren keine Medikamenteneinnahme und keine Allergien bekannt. Die labor-chemische Untersuchung war, vor allem im Hinblick auf Entzündungsparameter, weitestgehend unauffällig.
In der weiterführenden Diagnostik mittels digitaler Volumentomografie zeigte sich eine apikale Osteolyse an Zahn 17, die sich in die Kieferhöhle vorwölbte. Daneben fand sich in beiden Kieferhöhlen eine basale Schleimhautschwellung. Da der Patient selbst Mediziner war und sein Erkrankungsbild bereits kannte, wurde er mit der Diagnose eines Quincke-Ödems stationär aufgenommen. Hier erfolgte die intravenöse Gabe von Antihistaminika und Glukokortikoiden. Unter dieser Therapie zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Schwellung, so dass die medikamentöse Behandlung ausgeschlichen werden konnte.
Diskussion
Das hereditäre Angioödem (Quincke-Ödem) entsteht aufgrund einer funktionellen Störung oder eines Mangels des C1-Esterase-Inhibitors im Plasma [Bork et al., 2011] und daraus folgender Aktivierung des Komplementsystems [Stelter et al., 2007]. Klinisch kann das Quincke-Ödem über eine Schwellung der Lippen und des Gesichtes bis hin zu einer Schwellung der Zunge und des Larynx mit einer lebensbedrohlichen Obstruktion der oberen Atemwege reichen. Auslöser für diese Erscheinung können neben Infektionen und Stress auch Traumata und mechanische Reizungen sein, allerdings kann für die meisten Fälle keine konkrete Ursache identifiziert werden.
Für die zahnärztliche Praxis muss beachtet werden, dass eine Vielzahl von Quincke-Ödemen nach zahnmedizinischen Eingriffen beobachtet wurde [Bork et al., 2011]. Die klinischen Beschwerden des Ödems treten dabei sehr selten direkt nach der zahnmedizinischen Behandlung auf, meistens liegt zwischen der Behandlung und den ersten Symptomen ein symptomfreies Intervall von bis zu 30 Stunden [Rice et al., 2007]. Im Rahmen einer „late onset“-Form können klinische Beschwerden sogar bis zu 72 Stunden nach der Behandlung entstehen. In der Literatur sind beispielsweise die vier bekannten Todesfälle durch ein hereditäres Angioödem nach Zahnextraktion sämtlich in den frühen Morgenstunden der folgenden Nacht eingetreten [Bork et al., 2011].
Dies bedeutet, dass Patienten auch längere Zeit nach der Behandlung überwacht werden müssen. Letztlich muss durch ein Atemwegs-Monitoring gewährleistet sein, dass ein Larynxödem erkannt und auch Maßnahmen zur Sicherung des Atemweges rechtzeitig ergriffen werden können. Dies wird, wie im vorliegenden Fall, regelhaft nur im Rahmen einer stationären Behandlung zu erreichen sein.
Vor allem die Anamneseerhebung hinsichtlich früherer Schwellungsereignisse aber auch eine gezielte Medikamentenanamnese (ACE-Hemmer können ein Quincke-Ödem auslösen) können zur Verdachts-diagnose dieses Erscheinungsbildes führen. Anamnestisch geben die Patienten neben einer positiven Familien-Anamnese und rezidivierenden Gesichtsschwellungen auch Episoden von Bauschmerzen, bedingt durch Schwellungen im Gastrointestinaltrakt, an. Laborchemisch kann der funktionelle oder quantitative Mangel des C1-Esterase-Inhibitors [Stelter et al., 2007] und außerdem ein verminderter Wert des C4-Komplementfaktors nachgewiesen werden [Wüthrich, 2012].
Die Behandlung eines akuten Angioödems erfolgt durch die intravenöse Gabe eines Antihistaminikums und von Glukokortikoiden. Bei dem lebensbedrohlichen Bild der Zungen- und Rachenschwellung mitErstickungsgefahr ist die intravenöse Gabe von C1-Esterase-Inhibitor-Konzentraten (20 Einheiten pro kg Körpergewicht), bei akuter Atemwegs-Verlegung die Intubation und im Extremfalle sogar eine Tracheotomie notwendig.
Bei einem zahnmedizinischen oder einem chirurgischen Eingriff im Mund-Rachen-Raum kann, in Abhängigkeit vom Schweregrad des Eingriffs, eine Prophylaxe eingeleitet werden. Hier kann entweder vorab ein C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat oder ein Androgen (beispielsweise Danazol) verabreicht werden [Wüthrich, 2012]. In einer aktuellen Studie wurde die Effektivität der medikamentösen Prophylaxe bei Zahnextraktionen untersucht [Bork et al., 2011]. Hier konnte man zeigen, dass eine medikamentöse Prophylaxe-Behandlung mit einem C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat das Risiko für ein Angioödem nach einem zahnmedizinischen Eingriff um rund 40 Prozent senkt. Allerdings traten auch unter medikamentöser Prophylaxe noch bei rund 20 Prozent der Patienten ein Angioödem auf, so dass die Prophylaxe das Atemwegs-Monitoring bislang nicht ersetzen kann.
Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall daran erinnern, dass ein Quincke-Ödem grundsätzlich ein lebensbedrohliches Krankheitsbild darstellen kann, was gerade nach operativen Eingriffen, aber auch allein durch eine lokale dentogene Infektion ausgelöst werden kann. Der Eintritt der Schwellung tritt unter Umständen dabei mit deutlicher Latenz auf, so dass eine Überwachung des Patienten sicher gestellt werden muss. Eine medikamentöse Prophylaxe ist anzuraten, sie kann aber das Atemwegs-Monitoring bisher nicht ersetzen.
Dr. Daria Pakosch
Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- undplastische Gesichtschirurgie
Ruhr-Universität Bochum
KnappschaftskrankenhausBochum-Langendreer
In der Schornau 23-25
44892 Bochum
Fazit für die Praxis
• Dentogene Infektionen oder auch zahnmedizinische Behandlungen können der auslösender Faktor für das Quincke-Ödem sein.
• Beim Quincke-Ödem kann es über eine Schwellung des Larynx zur Obstruktion der oberen Atemwege mit der Gefahr des Erstickungstodes kommen.
• Es sollte aufgrund der möglichen lebensbedrohlichen Komplikationen im Krankenhaus behandelt werden.
• Die Symptome können sich bis zu 72 Stunden nach einem zahnmedizinischen Eingriff entwickeln. Daher ist eine Überwachung des Patienten erforderlich. Es muss die Möglichkeit für eine Intubation, und im Extremfall auch für eine Tracheotomie gegeben sein.