Die Bank kassiert
Für viele Hausbesitzer bedeutet der Einzug ins eigene Heim die Verwirklichung eines Lebenstraums. Doch manchmal findet der ein jähes Ende, wenn die Scheidung ansteht oder wenn der Hauptverdiener seinen Arbeitsplatz verliert und die Raten für den Kredit nicht mehr zahlen kann. Aber auch weniger dramatische Gründe wie der Wechsel des Arbeitsortes oder der Umzug aus Altersgründen führen zum Verkauf des Eigenheims. Ist die Immobilie zu diesem Zeitpunkt noch mit einer Hypothek belastet, muss auch der Kreditvertrag gekündigt werden. Mit dem Erlös aus dem Verkauf zahlt der Kunde seinen Kredit zurück. Den Ausstieg aus dem Darlehen lassen sich viele Kreditinstitute teuer bezahlen, weil sie künftig keine Zinsen mehr kassieren können.
Um diesen Verlust auszugleichen, verlangt die Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung. Häufig genug macht das Institut dabei ein gutes Geschäft, kassiert Tausende Euro. Inwieweit die hohen Summen berechtigt sind, können die Betroffenen oft nicht nachvollziehen. Dr. Achim Tiffe, Geschäftsführer des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (iff), glaubt nicht wirklich an den Verlust für den Darlehensgeber: „Die Bank legt die von den Kunden gezahlten Raten auf ein Sammelkonto. Dieses Geld verleiht sie wieder zu den üblichen Zinssätzen.“ Dass die Banken das vorzeitig zurückgezahlte Geld tatsächlich in niedrig verzinste Pfandbriefe anlegen, glaubt er nicht. Doch dient diese Annahme meistens als Basis für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung.
Gesetzliche Vorgaben fehlen
Wie sich die Kosten zusammensetzen und ob sie in dieser Höhe berechtigt sind, zeigt eine Studie, für die die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg 224 Fälle der letzten anderthalb Jahre untersucht hat. Die Auswertung ergab, dass in 82 Prozent der Fälle die von der Bank verlangte Entschädigung über der von den Verbraucherschützern errechneten Summe lag. Im Schnitt fielen die Vorfälligkeitsentschädigungen um 846 Euro zu hoch aus. Ein Institut schoss mit 350 Prozent beziehungsweise 11200 Euro über dem Durchschnitt den Vogel ab.
Ausstieg nur unter Voraussetzungen
Der Grund für die großen Schwankungen liegt darin, dass es für die Vorfälligkeitsentschädigung keine genauen Vorgaben gibt. Sie sind nicht gesetzlich festgelegt. Die derzeit mehr oder weniger angewandten Regeln ergeben sich aus der Rechtsprechung der vergangenen Jahre. Tatsache ist, dass laut Paragraf 609a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der Darlehensnehmer kein Recht zur vorzeitigen Kündigung eines Vertrags mit fester Laufzeit hat.
In der Regel kann er erst nach zehn Jahren mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist aus dem Vertrag aussteigen. Wer sich für ein variabel verzinstes Darlehen entschieden hat, kündigt seinen Kredit üblicherweise mit einer dreimonatigen Frist. Unter bestimmten Voraussetzungen darf der Kreditnehmer auch vorzeitig aus einem Vertrag mit fester Laufzeit aussteigen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe anhand zweier Grundsatzurteile festgelegt:
• Immobilienverkauf (BGH XI ZR 267/96):
Entschließt sich der Besitzer dazu, sein Haus zu verkaufen, kann er aus seinem Kreditvertrag aussteigen. Dafür verlangt die Bank eine Entschädigung für entgangene Zinsen.
• Zusatzkredit (BGH XI ZR 197/96):
Die Immobilie wird zur Absicherung eines zusätzlichen Kredits benötigt, den das bisherige Institut verweigert. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn bereits ein großer Teil der Schuld getilgt ist und die Bank das komplette Haus als Sicherheit nicht mehr benötigt. Der Kunde kann dann aus seinem alten Vertrag aussteigen und bei einer anderen Bank einen zusätzlichen Kredit aufnehmen.
Kein uneingeschränkter Anspruch der Bank
In diesen Fällen darf die Bank nur dann eine Vorfälligkeitsentschädigung erheben, „wenn sie“, so die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in ihrer Studie, „die vorzeitig zurückgezahlte Darlehenssumme bis zum Ende der vertraglichen Bindung nur zu niedrigeren Zinssätzen wieder anlegen kann. Sie hat also keinen Anspruch, wenn sie die vorzeitig zurückgezahlte Darlehenssumme bis zum Ende der vereinbarten vertraglichen Bindung zu gleichen oder gar höheren Zinssätzen wieder anlegen kann.“
Die Vorfälligkeitsentschädigung soll die Bank so stellen, als hätte der Kunde seinen Kredit so schnell wie möglich zurückgezahlt – so verlangt es der BGH (BGH XI ZR 285/03). In der Praxis bedeutet das für die Bank, sie muss bei der Berechnung der Entschädigung unterstellen, dass der Kunde alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Kredit so schnell wie möglich zu tilgen.
Häufig räumt die Bank bei Vertragsabschluss Sondertilgungsrechte ein, wonach der Kunde zum Beispiel jährlich eine bestimmte Summe zusätzlich zur Rate tilgen kann. Wie stark sich deren Nichtbeachtung auswirken kann, zeigt das Beispiel, das die Verbraucherzentrale Bremen beschreibt: Ein 2003 aufgenommenes Darlehen über 250 000 Euro wird Ende August 2005 vorzeitig zurückgezahlt. Der Zinssatz lag bei 5,26 Prozent und war bis zum 31.12.2013 festgeschrieben. Neben der vereinbarten anfänglichen Tilgung von einem Prozent besaßen die Darlehensnehmer das Recht, jährlich zehn Prozent der ursprünglichen Darlehenssumme zusätzlich zu tilgen. Ohne Berücksichtigung der Sondertilgungsrechte hätte die Bank bei der vorzeitigen Darlehensablösung eine Vorfälligkeitsentschädigung von rund 34 500 Euro verlangen können. Unter Anrechnung der Sondertilgungsrechte reduzierte sich die Entschädigung auf 15 800 Euro – weniger als die Hälfte. Aber auch kleinere Sondertilgungsrechte können die Entschädigungssumme schnell um ein paar Tausend Euro senken.
Kredite mit Wahlrecht bei Tilgung
Manche Kreditnehmer lassen sich ein Wahlrecht bei der Höhe der Tilgungsrate einräumen. Zahlen sie zu Beginn vielleicht nur ein Prozent, können sie mit steigendem Einkommen die Rate auf drei und mehr Prozent steigern. Die Bank muss bei der Berechnung ihres Entschädigungsanspruchs unterstellen, dass der Kunde den höchstmöglichen Tilgungssatz gewählt hat. Das ist jedenfalls die Meinung der meisten Experten. Die Richter des Oberlandesgerichts Frankfurt waren anderer Ansicht. In einem Urteil (AZ: 16 U 182/99) fordern sie, dass der Kunde glaubhaft machen muss, dass er die Rechte auch genutzt hätte. Manche Banken berufen sich auf dieses Urteil. Auch die Allianz hat sich diese Klausel in den Vertrag geschrieben, wonach sie Sondertilgungsrechte bei der Vorfälligkeitsentschädigung nicht beachten will. Die Verbraucherzentrale Hamburg will den Konzern verklagen.
Als Basis für die Wiederanlage des vorzeitig zurückgezahlten Kredits nehmen die Banken gern die Renditen der Hypothekenpfandbriefe. Der BGH hat diese Methode als zulässig anerkannt (BGH XI ZR 285/03). Der Vorteil ist, dass die Entwicklung der Rendite in der Statistik der Bundesbank für jeden zugänglich und damit nachvollziehbar ist – so wie die Bundesrichter es verlangen. Die meisten Kreditinstitute wenden sie bei ihren Berechnungen auch an.
Die Tricks der Banken
Betroffene Hausverkäufer sollten darauf achten, dass sie nicht zu viel zahlen. Denn: Bei einer vorzeitigen Rückzahlung spart die Bank auch einige Ausgaben wie zum Beispiel einen Teil der Verwaltungskosten, für die Restschuld entfällt das Kreditrisiko. Diese Ersparnisse mindern die Vorfälligkeitsentschädigung. Bei der Berechnung lassen die Institute diese gerne mal unter den Tisch fallen. Auch Tiffe zeigt sich misstrauisch: „Die Banken tricksen häufig. Das trifft für alle Institutsgruppen zu.“ Manche Geldhäuser lassen sich zudem noch die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bezahlen. Finanztest berichtet, dass die Commerzbank stolze 300 Euro dafür verlangte. Eine Auskunft darüber, worin der Aufwand der Berechnung bestehe, verweigerte die Bank. Für Laien ist eine Kontrolle der Berechnungsmethoden meist kaum möglich. Sie wenden sich am besten an Verbraucherschützer (siehe Kasten) und lassen gegen eine Gebühr die Vorfälligkeitsentschädigung prüfen. Das Ergebnis präsentieren sie dann ihrer Bank. Dirk Scobel, Experte bei der Verbraucherzentrale Hamburg, meint: „Kunden, die sich mit Nachdruck gegen falsche Berechnungen wehren, erzielen überraschend gute Erfolge.“ Das heißt, die Banken geben nach. Scobel mahnt aber auch die Verbraucher, mehr Verantwortung für ihre Bankgeschäfte zu übernehmen: „Sie sollten sich bereits bei Vertragsabschluss über die Bedingungen informieren. Haben sie etwas nicht verstanden, sollten sie sofort nachfragen.“
Rascher Hausverkauf selten geplant
Allerdings rechnen die meisten Kreditnehmer bei der Hausfinanzierung nicht damit, dass sie ihr neues Heim schnell wieder verkaufen müssen. „Viele Banken haben die Vorfälligkeitsentschädigung nicht in ihren Vertragsbedingungen stehen“, berichtet Tiffe aus der Praxis. Er verlangt, dass wenigstens im Privatkundenbereich auf die Vorfälligkeitsentschädigung hingewiesen werden sollte. In Brüssel arbeitet man zurzeit an einer neuen Richtlinie. Danach sollten dem Kunden bei der Rückzahlung des Baukredits „keine übermäßigen Kosten entstehen“. Tiffe wünscht sich wenigstens eine Obergrenze, an die die Geldhäuser sich halten müssen. Gut wäre eine Regelung wie sie bereits seit 2010 für Ratenkredite besteht.
EU entwickelt Richtlinie
Die Richtlinie verlangt eine Entschädigung je nach Restlaufzeit von maximal 0,5 bis ein Prozent der Restschuld. Doch Tiffe weiß auch, dass die deutschen Banken eine sehr starke Lobby in Brüssel haben. Die europäischen Nachbarn verlangen jedenfalls sehr viel niedrigere Entschädigungen: In Frankreich sind es maximal drei Prozent der Restschuld oder sechs Monatszinsbeiträge und die belgischen Banken begnügen sich mit den Zinsen für drei Monate.
In Deutschland haben die Kunden drei Jahre Zeit für eine Beschwerde. Denkt der Hausbesitzer nicht an einen Verkauf, liebäugelt aber mit den derzeit sehr niedrigen Zinsen und bittet die Bank um eine Umschuldung, bringt ihm das meistens keinen Vorteil. Die Bank darf hierbei den Ausstieg aus dem Vertrag verweigern oder eine Vorfälligkeitsentschädigung fordern.
Forward-Darlehen können Alternative sein
Ist die Restlaufzeit des alten Vertrags nicht mehr lang, kann sich der Abschluss eines Forward-Darlehens lohnen. Dabei sichert sich der Kunde bereits jetzt die aktuell günstigen Zinsen für den Zeitpunkt, zu dem sein laufender Vertrag endet. Für diesen Service verlangt die Bank ein Aufgeld. Angesichts der aktuell sehr günstigen Konditionen kann sich ein Forward-Darlehen lohnen.
In der Vergangenheit hatten viele Kreditnehmer das Nachsehen. Sie hatten ihr Forward-Darlehen zu früh abgeschlossen, weil kaum jemand mit weiter sinkenden Zinsen gerechnet hat. Viele möchten diese Darlehen am liebsten kündigen. Doch die Regeln für den Ausstieg sind unklar. Die Banken erheben auch hier eine Vorfälligkeitsentschädigung, obwohl überhaupt noch kein Geld ausgezahlt wurde. Wie bei normalen Hypotheken berechnen sie eine Laufzeit von zehn Jahren und sechs Monaten, auch wenn das Darlehen nur über drei Jahre läuft. Für Achim Tiffe besitzt der Kunde eigentlich nur eine Option auf ein Darlehen, mehr nicht.
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaft
INFO
Hier gibt es Hilfe
Wer den Verdacht hat, dass die verlangte Vorfälligkeitsentschädigung zu hoch ausfällt, kann sich an diese Verbraucherzentralen wenden. Gegen eine Gebühr von 70 Euro überprüfen die Experten die Berechnungen der Bank:
• Verbraucherzentrale Bremen:
www.verbraucherzentrale-bremen.de
• Verbraucherzentrale Hamburg:
Auf besonders komplizierte und umfangreiche Fälle hat sich das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) in Hamburg spezialisiert:www.iff-hamburg.de
Die Kosten für eine normale Kontrolle belaufen sich dort auf 186 Euro.