Die drei R: Restaurieren, Rekonstruieren, Regenerieren
Vor dem Hintergrund, dass Patienten immer älter werden und damit auch ein integrierter Zahnersatz weitaus länger im Mund verbleiben wird als noch vor 30 Jahren, war die Wahl des Tagungsthemas ein Griff „ins Volle“. Denn hier konnten Wissenschaftler und Praktiker zeigen, was heute alles möglich ist und das an zwei vollen Fortbildungstagen. Die Vorträge waren in Gruppen gebündelt und nach Fachrichtungen sortiert, so dass sich das Motto der drei großen R durch das gesamte Programm zog, immer wieder anders beleuchtet, ob es nun Endodontie, Kieferchirurgie, Implantologie, Parodontologie, Laserzahnheilkunde, restaurative Zahnheilkunde, Prothetik oder gar interdisziplinäre rein medizinische Thematik und mehr war.
Kongressauftakt mit Filmpremiere
Einen besonderen Höhepunkt stellte der „etwas andere“ Kongressauftakt dar. Das Wissen um eine ganz besondere Filmpremiere hatte viele Teilnehmer schon vor der üblichen Kongresszeit aus den Federn geholt. Sie saßen erwartungsvoll in den Reihen und mussten miterleben, wie die Technik der Aktion anfangs einen Streich spielte. Aber dann ging es doch los! Beeindruckend schossen animierte Zellen über die riesige Leinwand: Mit dem 3-D-Wissenschaftsfilm „Die entzündliche Reaktion“ wurde auf subzellulärer Ebene ein Einblick in die im Verlauf eines parodontalen Prozesses beteiligten Zellen und Botenstoffe gegeben. So wurden unter anderem die wichtigsten Wechselwirkungen des Knochenstoffwechsels mit dem Immunsystem visualisiert. Mit einem großen Team hatte der Quintessenzverlag, dem großen „Avatar-Film“ vergleichbar, mit Höchstrechnerleistung eine perfekte Animation vollbracht. Die Wissenschaftler Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden und PD Dr. Dr. Bernd Stadlinger fungierten als Storyboard-Master. Hochwissenschaftlich ausgeleuchtet wurden so Prozesse deutlich, die jeder Zahnarzt am Patienten kennt, aber noch nie in dieser Dimension im Bild gesehen hat. Auch eine Patientenversion ist erhältlich, die sicherlich den einen oder anderen Patienten doch zu einer verstärkten Compliance animieren wird, wenn er im Bild sieht, was bei seiner Parodontitis eigentlich im Detail so passiert.
Weniger ist mehr
„Minimalinvasiv“ sei das Schlagwort der heutigen Zahnmedizin, wie sich Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake, DGZMK-Präsident, anlässlich der Pressekonferenz ausdrückte.
„Und das bedeutet nicht nur ’wenig Bohren’, sondern zieht sich grundsätzlich durch alle zahnmedizinischen Disziplinen und heißt eigentlich nur ’gewebeschonend arbeiten’.“ So wurde in den Hauptvorträgen geklärt, ab wann eine Karies überhaupt therapiert werden sollte, unter welchen Bedingungen kariös zerstörtes Material im Mund belassen werden kann, was man tun sollte, wenn die Karies stagniert, wie es um die Kariesinfiltration in der heutigen Praxis bestellt ist und dass eine defekte Füllung nicht immer gleich erneuert, sondern durchaus auch einmal repariert werden kann, wie Prof. Dr. Roland Frankenberger an Beispielen demonstrierte. Denn die heutigen Materialien machen das möglich, so dass nicht noch mehr Zahnsubstanz geopfert werden muss. In den chirurgischen Disziplinen können mithilfe von computergestützter Navigation, Miniimplantaten, gezieltem Knochenaufbau und mehr, Knochensubstanz sowie Weichgewebe enorm entlastet werden.
Geweberegenerationen an Knochen, am Parodont, sogar im Endodont und in der Pulpa sind heute möglich, erste Verfahren wurden vorgestellt. Auch der Einsatz spezieller Materialien im Tissue engineering oder zellbasierte Therapieansätze wie mesenchymale/embryonale Stammzellen oder dentale Pulpa-Stammzellen sind bereits möglich.
Genau diese Thematik wurde im Gemeinschafts-Symposium des Transdisziplinären Arbeitskreises „Regenerative Medizin“ (TAK RegMed) und der Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG) vertieft. Prof. Dr. Paul Sharpe, London, gab einen umfassenden Einblick in den Bereich der Zahn(re)generation und zeigte, dass sich heute bereits Zahnknospen, die aus Stammzellen und embryonalem, oralem Epithelium generiert wurden, in Nager implantieren lassen und sich nach einigen Wochen zu belastbaren Zähnen entwickeln. Bislang jedoch nur im Labor. Das Banking von Stammzellen aus extrahierten Zähnen wird bereits kommerziell, wie bei Nabelschnurblut, praktiziert. Prof. Dr. Achim Göpferich, Regensburg, zeigte, dass Polymere als ideale Zellträger einsetzbar sind. Mittels biomimetischer Materialien können Zellfunktionen gezielt vorhersagbar gesteuert werden. Hydrogele eignen sich besonders als Träger von Proteinen und Peptiden. Prof. Dr. Hans Peter Wiesmann, Dresden, ergänzte diese materialtechnische Komponente um biologische Aspekte und erklärte, wie funktionale nanostrukturierte Oberflächen mit biologisch aktiven Molekülen designed werden können. PD Dr. Dr. Martin Gosau, Regensburg, demonstrierte Ergebnisse von bakteriziden Implantatbeschichtungen (Silber, Kupfer, Wismut) sowie Oberflächen, die antiinfektiv wirksam sind. Wie weit es bislang möglich ist, eine Regeneration der dentalen Pulpa zu realisieren, demonstrierte PD Dr. Kerstin Galler, Regensburg. In einer der kommenden zm-Ausgaben wird sie zeigen, wie weit diese bislang als Zukunftsmusik bezeichnete Vision vorangeschritten ist. Auf lokale und systemische Einflussfaktoren der parodontalen Regeneration ging Prof. Dr. James Deschner, Bonn, ein. Das Göttinger Team um Prof. Dr. Nicolai Miosge und Dr. Boris Schminke ergänzte den Komplex „Regeneration“ mit der Darstellung seiner Arbeiten im Bereich Knorpel. Details auf der Homepage der Fachgesellschaften.
Erfahrungen mit Vollzirkon
Die alten Präparationsregeln für vollkeramische Inlays und Onlays stellte Prof. Karlheinz Kunzelmann, München, auf den Prüfstand. Kausimulationen bewiesen, dass die Mindestschichtstärke der Okklusalfläche bei Verwendung von Lithiumdisilikat auf 0,8 mm bis 1,0 mm abgesenkt werden kann. Dank der Adhäsivtechnik sei für die Teilkrone eine zirkuläre Stufenpräparation mit abgerundeter Stufe oder Hohlkehle nicht mehr erforderlich. Anstatt einer Höckerüberkuppelung reiche aus, wenn die Präparationsgrenze für die Keramik lediglich über den Höcker-Kontaktpunkt ausgedehnt und somit Zahnsubstanz erhalten wird. Die Endo-Onlay-Krone sei ebenso belastbar wie ein Stiftaufbau, vermeide aber das Risiko einer Wurzelfraktur beim Einbringen des Stiftes. Bei Kauflächen-Veneers, angezeigt zur Bisserhöhung und adhäsiv auf Schmelz befestigt, könne auf eine Hohlkehle verzichtet werden.
Eine Lösung bei Substanzverlust durch Bruxismus hatte PD Dr. Oliver Ahlers, Hamburg: funktionskorrigierende Repositions-Onlays und -Veneers aus Kunststoff als semipermanente Therapie oder aus Silikatkeramik zur dauerhaften Versorgung (Abbildung).
Die klinische Bewährung von Kronen und Brücken auf verblendeten Gerüsten aus Zirkoniumoxidkeramik (ZrO2) bestätigten Prof. Michael Behr und PD Dr.-Ing. Martin Rosentritt, Regensburg. Die Performance werde durch Verblendfrakturen (Chipping) getrübt, die darauf beruhten, dass die Gerüste nicht anatoform gestaltet, Höcker nicht unterstützt, dicke Verblendschichten aufgetragen, WAK-Differenzen (Wärmeausdehnung) zwischen Gerüst- und Verblendwerkstoff zu spät korrigiert und die Entspannungs-Abkühlphase nach Laborsinterung zu kurz gewählt wurde. Dr. Klaus Wiedhahn, Buchholz, beschrieb, wie die opake, transluszenzlose ZrO2-Keramik für verblendfreie Vollzirkon-Kronen und -Brücken auf Zahnfarbigkeit getrimmt werden kann. Das Tauchfärben der Oxidkeramik habe umfangreiche Versuche in seiner Praxis erfordert, bis es gelungen sei, die Restauration farblich den Nachbarzähnen anzugleichen. Deshalb sei der Einsatz nur im Molaren- bereich angezeigt. Ungeklärt sei noch, wie sich langfristig die harte ZrO2-Keramik auf Antagonisten und Kiefergelenk auswirkt.
Wenn nicht geputzt wird
Aber es ging in Frankfurt nicht nur um Restaurationen und Rekonstruktionen, sondern auch darum, diesen bereits im Vorfeld entgegenzuwirken. So trafen sich mehr als 50 Teilnehmer beim DGK/IME-Workshop „Dumm gelaufen – der Patient putzt nicht!“. Dr. Reinhard Schilke, Hannover, präsentierte dabei den aktuellen Sachstand zu Ernährung und Mund-hygiene: Er stellte klar, dass Stärke ebenso kariogen wie Zucker sei, was von vielen Eltern und Erziehern gar nicht zur Kenntnis genommen werde. Schilke empfahl weiter, nach dem Konsum von saurem Obst oder anderen erosiven Lebensmitteln besser eine halbe Stunde mit dem Zähneputzen zu warten. Dr. Thomas Schneller, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut aus Hannover, empfahl, den Patienten seinen eigenen Zustand im Mund beurteilen zu lassen und ihn dann aufzufordern, einen eigenen Impuls zur verbesserten Mundgesundheit zu entwickeln.
Neues der DGK
Neben den in den Vorträgen gebotenen fachlichen Inhalten fiel anlässlich der parallel zum DtZÄT verlaufenden 19. Jahrestagung der Kinderzahnärzte eine grundlegende Entscheidung: Die Mitgliederversammlung der DGZMK stimmte dem Antrag der DGK zu, ein eigenständiger Verein zu sein. Vergleichbar mit der DGP oder der DGI wird sie dann ab 2013 nach Vereinseintrag als assoziierte Gesellschaft auftreten.
Ethno- und Paläozahnmedizin
Ein Randgebiet in der zahnheilkundlichen Lehre, aber umso spannender: Dr. Roland Garve, Lüneburg, gab einen Einblick in andere Kulturen und zeigte, wie verschiedene Stämme mit unterschiedlichen Erkennungszeichen (spezielle Zahnfeilung, Extraktionen oder auch Zahnfleischtätowierungen) ihre Stammeszugehörigkeit demonstrieren. Lippenscheiben, Unterlippenstäbe, Wangen-löcher und mehr werden demnächst Gegenstand einer großen zm-Geschichte sein. Auf den Spuren von Rekonstruktionen der Bevölkerungsgeschichte Mitteleuropas und das mittels Analysen an Zahnhartgeweben, damit beschäftigte sich Prof. Dr. Kurt Alt, Mainz, und verdeutlichte, dass die Wurzeln des heutigen Europäers bis zur Jungsteinzeit zurückgehen.
Nachwuchs mit Postern
Wie jedes Jahr, präsentierten auch diesmal eine Vielzahl junger Nachwuchswissenschaftler und Teams ihre Forschungsergebnisse zu unterschiedlichsten Themen aller zahnmedizinischen Fachbereiche in Form einer Posterdemonstration. Die Referenten standen den Besuchern Rede und Antwort und präsentierten ihre Forschungsergebnisse zusätzlich in den „Poster-Referaten“. Hier wurde dann auch auf Herz- und Nieren geprüft, teils von interessierten Teilnehmern, teils von Chefs und Kollegen – eine knallharte Verteidigung, die die jungen Wissenschaftler durchweg souverän zu meistern wussten.
Präsentation: Life-on-Tape
So multimedial dieser Kongress begann, so endete er auch. Dr. Dr. Karl-Ludwig Ackermann, Filderstadt, moderierte eine HD- Life-on-Tape-Präsentation, die verschiedene Therapiekonzepte in der Implantatprothetik zeigte. Ausgehend von jeweils einer komplexen Behandlungssituation vier verschiedener renommierter Teams zeigte ein 45-Minuten-Zusammenschnitt die einzelnen Verfahrensabläufe. Dabei wurde deutlich, wie eng die Abstimmung zwischen Labor und Praxis sein muss. Denn ohne diesen steten Austausch auf Augenhöhe können keine funktionellen und ästhetisch anspruchsvollen Ergebnisse erzielt werden. Der klinische und labortechnische Workflow von A (Ausgangssituation) bis Z (Zustand nach Integration) ist systematisch zu planen, um einen hohen Qualitätsstandard mit letztendlicher Zufriedenheit von Patient, aber auch Zahnarzt und Techniker zu erzielen. Ackermanns Tipp: „Lassen Sie die Patientin ein Bild von früher mitbringen, auf dem sie lacht und sich sehr gut gefällt. Das ist ein entscheidender Planungspunkt!“
Firmeninnovationen
Flankierend zum Deutschen Zahnärztetag, der ja in Kooperation mit dem Hessischen Zahnärztetag und dem Europäischen Forum stattfand, präsentierten sich rund 250 Hersteller in einer Dentalschau – infotage Dental-Fachhandel mitte 2012 (id Mitte) – , in der die deutsche und internationale Dentalkompetenz in gebündelter Form aufwartete. Das Ganze glich einer Leistungsschau, die das letzte Mal vor der kom- menden IDS noch möglich war.
Dieser Beitrag kann nur einen Überblick über die vielen Einzelveranstaltungen des wissenschaft- lichen Programms des Deutschen Zahnärztetages liefern. Ausführliche Tagungsberichte sind auf den einzelnen Web-Seiten der entsprechenden Fachgesellschaften zu finden.sp