Leitartikel

Pragmatisch handeln

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

der nächste Bundestagswahlkampf hat bereits begonnen, die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen haben entscheidende Stimmungen und Impulse in die Bundesebene weitergegeben. Die großen Parteien feilen derzeit an ihren gesundheitspolitischen Programmen, die zum Herbst vorliegen sollen. Welche Pläne die verschiedenen Lager hegen, wird spätestens dann deutlich. Fest steht, dass die Systemfrage zwischen Bürgerversicherung und Prämienmodellen und das Spannungsfeld zwischen GKV und PKV eine zentrale Rolle spielen wer- den, wenn es um die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland geht.

Unsere vorrangige Aufgabe als Zahnärzteschaft ist, die politische Arbeit der Parteien nicht nur zu beobachten, sondern uns auch zu wichtigen Themen zu positionieren. Ein entscheidender Input dazu wird aus der BZÄK-Klausurtagung des Vorstands Anfang Juni in Bautzen kommen. Auf Basis der dort erarbeiteten Konzepte wird bis zum Herbst die gesundheitspolitische Agenda der Bundeszahnärztekammer entstehen, die wir auf der Bundesversammlung im November vorstellen werden. Damit gehen wir auch mit klaren Positionen in die Neuwahl der BZÄK-Verbandsspitze.

Auf der Tagesordnung in Bautzen steht neben dem zentralen Thema Systemangleichung auch die Zukunft von GOZ und GOÄ. Einen weiteren Schwerpunkt wird die Frage bilden, welche Herausforderungen auf die zahnärztliche Ver- sorgung, auf die Praxis und auf die Selbstverwaltung im Hinblick auf die demografischen Veränderungen in der Bevölkerung zukommen. All diese Bereiche werden im Schulterschluss mit der KZBV abgestimmt, mit der regelmäßig strategische Gespräche geführt werden.

Unser Augenmerk muss aber über den Tellerrand Deutschlands hinausgehen. Aus Brüssel kommen wachsende Herausforderungen auf den Berufsstand zu, die entsprechende Handlungsstrategien erfordern. Derzeit wird die Revision der Berufsanerkennungsrichtlinie diskutiert. Es geht um die Voraussetzung für die fälschungssicheren europäischen Berufsausweise und die damit verbundenen Fallstricke (Stichwort Genehmigungsfiktion).

Ein weiteres Themenfeld betrifft die Überarbeitung der europäischen Regelungen über Abschlussprüfungen. Konkret geht es zwar – im Zuge der Wirtschaftskrise – um Wirtschaftsprüfer. Die EU-Kommission will die Berufsaufsicht bei den Prüfungen auf eine öffentliche Behörde konzentrieren, anstatt bereits funktionierende Strukturen in den Mitgliedsstaaten, wie etwa in diesem Fall Wirtschafts- und Rechnungsprüferkammern, zu nutzen. Schaut man aber genauer hin, kann dieses Vorhaben zu einem Bruch mit dem bisherigen, bewährten System der Selbstverwaltung führen: ein Frontalangriff auf die Freien Berufe, also auch auf die zahnärztliche Selbstverwaltung! Wir müssen gegensteuern, damit unsere Freiberuflichkeit nicht in eine Überreglementierung mündet und unsere Selbstverwaltung nicht infrage gestellt wird.

Aufmerksam zu beobachten ist auch die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe. Sie wird von europäischer Ebene schon lange gefordert, vom Koalitionsvertrag und vom Sachverständigenrat gestützt, und seit dem Frühjahr lässt die im G-BA verabschiedete sogenannte Heilkundeübertragungsrichtlinie im Pflegebereich Modelle zu, bei denen die Substitution ärztlicher Leistungen unter bestimmten Kautelen möglich ist. Auch wir haben durch unseren zahnärztlichen Delegationsrahmen klare Regeln zur Substitution und Delegation aufgestellt – wir können die Akademisierungstendenzen nicht verhindern, denn die Fakten sind geschaffen. Deshalb sollten wir solche Prozesse kritisch, aber konstruktiv begleiten.

Weitsicht und Pragmatismus helfen bei der politischen Arbeit weiter. Dazu werden wir gezielte, nachhaltige Konzepte erarbeiten, losgelöst von ideologischen Befindlichkeiten – und immer mit Blick auf die Belange in der Praxis.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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