Gesunde und schöne Zähne für ein besseres Leben
Inwieweit leiden Parodontitis-Patienten unter ihrer Erkrankung? Diese Frage stellte Prof. Dr. Ian Needleman, London, seinem Eröffnungsvortrag voran.
Mit der Parodontitis leben
Wie eine Studie aus Göteborg deutlich macht, fühlten sich Patienten in unterschiedlichem Maß verunsichert und zum Teil isoliert, wenn sie den Erwartungen und Normen der Gesellschaft, was schöne Zähne angeht, nicht entsprechen. Parodontitis sei also durchaus keine stumme Erkrankung. Einer in eigener Praxis in London durchgeführten Studie zufolge zeige die Lebensqualität von Patienten vor und nach einer Parodontitistherapie einen messbaren Nutzen für behandelte im Vergleich zu nicht behandelten Patienten.
Passend zu diesem Thema stellten Dr. Otto Zuhr, München, Dr. Thomas Eger, Koblenz, und Dr. Norbert Salenbauch, Göppingen, Fälle aus ihren Praxen vor und „warfen damit Fragen in den Raum“, die im Laufe der Tagung beantwortet werden sollten.
Zahnarzt oder Dienstleister
Der Arzt und Philosoph Prof. Dr. Giovanni Maio, Freiburg, definierte die Gesundheit der Zähne als Ziel der zahnärztlichen Therapie, bei der die Ästhetik für ein gutes Ergebnis schon immer eine Rolle gespielt habe. Sie dürfe allerdings nicht primärer Anlass der Therapie sein. Vom ethischen Standpunkt aus sei es problematisch, einen gesunden Zahn auf Wunsch des Patienten aus ästhetischen Gründen anzutasten: Der Patient habe bezüglich jeglicher Therapie immer ein Abwehrrecht, aber kein Erfüllungsrecht. Aufgabe des Arztes sei es, ein Gespräch mit dem Patienten zu führen, aufzuklären und nach medizinischen Kriterien mit Weitsicht zu handeln. Ästhetische Zahnmedizin sei Ausdruck der Selbstdarstellung des Menschen in seinem sozialen Umfeld, in dem er sich einem Konkurrenzkampf ausgesetzt sehe. Jugendliches Aussehen verspreche einen Wettbewerbserfolg. Ästhetische Maßnahmen würden bei dieser Grundausrichtung unserer Gesellschaft zu einer Verpflichtung. Das Vorgehen der ästhetischen Zahnmedizin, die durch Werbung die Notwendigkeit ihrer Maßnahmen suggeriert, sei problematisch. Schönheit sei die Besonderheit des Einzelnen, nicht standardisierte äußere Form. Damit solle die Zahnmedizin sorgsam umgehen. Schönheit sei kein Konsumgut, Werbung aber suggeriere die Kaufbarkeit des Glücks und mache somit falsche Versprechungen. Der Arzt aber solle moralische Autorität besitzen. In der Zahnmedizin solle Gesundheit das Therapieziel sein. Der Arztberuf sei eine Profession, die ethische Standards setzen soll. Dazu seien Gespräche mit dem Patienten notwendig, die ein Interesse am Menschen reflektieren. In der Therapie seien langfristiger Erfolg und Nachhaltigkeit anzustreben statt kurzfristige Schönheit. Der Arzt solle also der Gesundheit und dem Wohlbefinden des Patienten dienen, demnach könne die Patientenzufriedenheit kein ethischer Gradmesser sein. Vielmehr solle sich der Arzt als Anwalt des Patienten verstehen. Je mehr allerdings durch politische Rahmenbedingungen zunehmend ökonomische Konkurrenz entstehe, sei dieser Anspruch gefährdet. Die Zahnärzte sollten sich verstärkt dagegen wehren, zu Verkäufern zu mutieren und zu Dienstleistern gemacht zu werden. Der Zahnarzt solle sich aber auch nicht vom Patienten missbrauchen lassen, lediglich dessen Wünsche zu erfüllen. Nur wenn er als Mensch in Erscheinung tritt, der nach Prinzipien handelt, werde man ihm Vertrauen entgegenbringen.
Wirtschaftlichkeit oder Lebensqualität
Als Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung beschäftigte sich Dr. Jürgen Fedderwitz, Köln, mit dem Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Lebensqualität. Angesichts knapper Ressourcen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müsse der Zahnarzt unter Berücksichtigung fachlicher und ethischer Gesichtspunkte die beste medizinische Versorgung gewährleisten. Allerdings würden in der GKV nur 3,2 Prozent der für zahnärztliche Maßnahmen verwendeten Gelder für die Therapie parodontaler Erkrankungen ausgegeben. Wie Studien gezeigt hätten, beeinträchtigten Parodontitis beziehungsweise Zahnverlust die Lebensqualität der Patienten in somatischer, psychischer und sozialer Hinsicht. Auch für die Sprachlautbildung, die Kiefergelenkabstützung und die Kaufähigkeit sei eine geschlossene Zahnreihe von Bedeutung. Eine systematische Parodontitistherapie und der Zahnerhalt seien unter Beachtung der strategischen Wertigkeit und Erhaltbarkeit einzelner Zähne sowie unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit vor allem aus zwei Gründen anzustreben: Zum einen sei das Periimplantitisrisiko bei Parodontitispatienten erhöht, zum anderen sei der Kostenaufwand für den Erhalt parodontal geschädigter Zähne geringer als der für die Versorgung mit Implantaten oder Brücken (mehr dazu in der Titelgeschichte Seite 32).
Qualität trotz Tumorerkrankungen
Prof. Dr. Dr. Thomas Kreusch, Hamburg, stellte Lebensqualität aus einem anderen Blickwinkel dar: der oft schwierigen Lebenssituation der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren. Drei Viertel dieser Patienten seien vor Therapie voll leistungsfähig. Die Folgen der Tumortherapie schränkten die Lebensqualität der Betroffenen jedoch hinsichtlich Nahrungsaufnahme, Kommunikation, Schmerzen, Aussehen und Sozialleben unterschiedlich stark ein. Dabei hätten die heute zur Anwendung kommenden Defektverschlüsse nach Tumorentfernung und die weniger radikalen Halsausräumungen positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten.
Parodontitis und Diabetes
Prof. Dr. Thomas Kocher, Greifswald, machte deutlich, dass die Diabetes-Prävalenz in Mecklenburg-Vorpommern deutlich zunimmt, wie die SHIP(Study on Health in Pommerania)-Studie belege. In SHIP sei nachgewiesen worden, dass die Progression des Attachmentverlusts und die Zahnverlustrate bei unkontrolliertem Diabetes (HbA1c 7) stark erhöht sind. Umgekehrt erschwere eine bestehende Parodontitis die Blutzuckerkontrolle. Zudem erhöhe Parodontitis auch bei gut eingestelltem Diabetes die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. Nach Parodontitistherapie seien eine mäßig verbesserte Blutzuckerkontrolle beziehungsweise günstige Auswirkungen auf den HbA1c-Wert gezeigt worden. Diskutiert werden müsse die Frage, ob der Zahnarzt eine Rolle bei der Diabetes-Prävention spielen kann. Mit der Behandlung und der Prävention der Parodontitis werde jedenfalls ein Risikofaktor beseitigt, was positive Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit habe.
Vorteile einer Implantattherapie
Zu Beginn seines Vortrags stellte Prof. Dr. Guido Heydecke, Hamburg, fest, dass Zahnverlust die Lebensqualität negativ beeinflusst. Schwieriger sei, das Ausmaß des positiven Einflusses von Zahnersatz, ob festsitzend oder abnehmbar auf einem oder mehreren Implantaten befestigt, auf die Lebensqualität zu beurteilen. Gute Evidenz hinsichtlich eines deutlich positiven Einflusses auf die Lebensqualität gebe es für die Versorgung mit zwei Implantaten im zahnlosen Kiefer. Wenig Evidenz für eine höhere Zufriedenheit der Patienten hingegen existiere bei Verwendung von mehr Implantaten im zahnlosen Kiefer. Bei der Art des Zahnersatzes scheine es in diesem Zusammenhang eine tendenziell positivere Bewertung für abnehmbare Deckprothesen zu geben. Die Kosten-Nutzen-Relation bei der Versorgung zahnloser Kiefer mit Implantaten erscheine also im Vergleich bei Verwendung von nur zwei Implantaten am effizientesten aufgrund geringer Kosten bei deutlich gesteigerter Lebensqualität.
Wenn Implantate versagen
Prof. Dr. Eli Machtei, Haifa, stellte fest, dass Periimplantitis angesichts einer vorsichtig geschätzten Zahl von weltweit etwa zehn Millionen neu gesetzten Implantaten jährlich ein zunehmendes Problem darstellt. Die Entfernung eines Implantats solle immer dann erfolgen, wenn die Periimplantitis nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden kann. Andere Gründe für eine Explantation könnten mechanische Misserfolge sein. Als Beispiel für eine unkonventionelle Lösung zeigte Machtei den Fall eines gebrochenen Implantats, das der Patient nicht entfernen lassen wollte. Dieses sei operativ von koronal gekürzt, geglättet, mit Knochenersatzmaterial abgedeckt und plastisch verschlossen worden. Jeder Fall eines Implantat-Misserfolgs müsse individuell beurteilt und unter Berücksichtigung objektiver Faktoren wie zum Beispiel Rauchen und Allgemeinerkrankungen sowie subjektiver Faktoren (Wünsche des Patienten und des Überweisers) abgewogen und therapiert werden.
Du bist, was Du isst
Prof. Dr. Ian Chapple, Birmingham, verdeutlichte zunächst anhand des Pathogenese-Modells der Parodontitis die Komplexität dieser Erkrankung und nannte die Nahrung als einen Einflussfaktor neben Rauchen, Diabetes sowie bestimmten Medikamenten. Dazu schilderte er den Zusammenhang zwischen nahrungsabhängigem oxidativem Stress und entzündlichen Erkrankungen, so auch der Parodontitis. Der Verzehr von Obst und Gemüse könne das Ergebnis einer parodontalen Therapie verbessern. Die Ernährung beeinflusse damit in Abhängigkeit von der genetischen Prädisposition den Entzündungsstatus eines Organismus.
Mundgeruch und Lebensqualität
Prof. Dr. Marc Quirynen, Leuven, beschrieb als weltweit ausgewiesener Experte zum Thema Halitosis zunächst die Ursachen des schlechten Atems: Zum einen können systemische Störungen, die mit einer Erhöhung bestimmter Metaboliten im Blutkreislauf einhergehen (Diabetes, Leberzirrhose, Nieren-Insuffizienz), dafür verantwortlich sein, zum anderen Bakterien und/oder Substrat durch den Umbau von Proteinen mit nachfolgender Gasentwicklung im Zuge von Infektionen. In der Diagnostik kommt der differenzierten Geruchsprobe (wie Mund ohne Atmung, Ausatmung Mund, Ausatmung Nase, forcierte Ausatmung) eine besondere Bedeutung zu. Quirynen empfahl folgende Therapieoptionen:1. die Entfernung von Bakterien (Plaquekontrolle, Speichelstimulation, Entfernung von Retentionsstellen),2. die Entfernung von Substrat (Zungenreinigung, parodontale Therapie, Behandlung von Ulzerationen),3. die Elimination von flüchtigen Verbindungen.
Rauchen und parodontale Gesundheit
Dr. Martina Pötschke-Langer, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg, belegte anhand statistischer Daten die Rauchgewohnheiten in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Bundesrepublik Deutschland und zeigte auf, dass Tabakrauch ein übles Giftgemisch ist. Sie beschrieb die Tabakabhängigkeit im Gehirn und allgemein die gesundheitlichen Folgen des Rauchens. Raucher haben ein deutlich erhöhtes Parodontitis-Risiko, das auch nach einem Rauchstopp nur langsam zurückgeht. Auch seien bei Rauchern schlechtere Resultate nach Parodontitis-Therapie zu verzeichnen. Weiterhin seien bei Rauchern eine höhere Kariesrate und Speichelveränderungen feststellbar. Ausdrücklich wies die Referentin darauf hin, dass der zahnärztliche Rat hilfreich sei, wenn Patienten an einer Raucherentwöhnung interessiert sind, und empfahl die Einbindung des Praxisteams in die Raucherberatung.
Überempfindliche Zahnhälse
Prof. Dr. Nicole Arweiler, Marburg, befasste sich mit „aktuellen Behandlungsmöglichkeiten für ein altes Problem“. Sie definierte schmerzempfindliche Zähne als Krankheit und nannte die Ursachen: falsche Putztechnik, zu starke Kraftanwendung, säurehaltige Nahrung in Kombination mit anschließendem Putzen und zu hohe Abrasionswerte von Zahnpasten. Oft kämen mehrere Faktoren zusammen. Weitere ursächliche Faktoren könnten Tätigkeiten im sauren Milieu, die exzessive Nutzung von Bleichmitteln und bestimmte Allgemeinerkrankungen (Reflux, Bulimie, Alkoholismus) sein. In den Empfehlungen zur Therapie wies Arweiler auf die Bedeutung einer exakten Diagnose hin, um eine Ursachenbeseitigung einleiten zu können, zum Beispiel über ein Ernährungs- und Putzprotokoll. Einen zusätzlichen therapeutischen Ansatz stellten Hilfen zur Neutralisierung dar (Milch und Käse, Kaugummi).
Deckung freiliegender Zahnhälse
Dr. Otto Zuhr, München, nannte eine gesunde, keratinisierte, ausreichend dicke und ästhetisch aussehende Gingiva als Behandlungsziel. Entsprechende Messgrößen stellten somit neben der Rezessionsbreite und -tiefe die Sondierungstiefe, die Breite der keratinisierten Gingiva, die ästhetische Bewertung und die Patientenzufriedenheit dar. Zahlreiche Faktoren seien in den prognostischen Überlegungen zur chirurgischen Therapie von Rezessionen zu berücksichtigen: Neben der Miller-Klassifikation seien die Dicke des Transplantats und des Lappens, die Spannung des Lappens, traumatische Einflüsse, das Infektionsrisiko und verschiedene Patientenfaktoren zu nennen.
Lifestyle und Lebensqualität
Parodontale und Implantattherapie im Spannungsfeld zwischen Lifestyle und Lebensqualität: Baden-Baden hat eine neue Dimension parodontaler Erkrankungen und deren Therapie aufgezeigt. Parodontitis ist eben keine „stille Erkrankung“. Ihre Präsenz macht den Betroffenen zumindest unterbewusst zu schaffen. Nur wir als parodontologisch tätige Zahnärzte können hier in den Grenzen medizinisch-ethischer Standards ein Behandlungsangebot machen: Heute kann man Parodontitis therapieren und damit gegebenenfalls auch Halitosis beseitigen oder die glykämische Kontrolle eines Diabetes mellitus positiv beeinflussen.
Dr. Rita ArndtDr. Beate SchacherPoliklinik für ParodontologieZentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)Goethe-Universität FrankfurtTheodor-Stern-Kai 760596 Frankfurt am Maineickholz@med.uni-frankfurt.de
INFO
Neuwahlen
Auf der Jahrestagung übernahm Prof. Dr. Peter Eickholz, Direktor der Poliklinik für Parodontologie des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt das Amt des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP). Die DGP ist mit über 4 000 Mitgliedern die zweitgrößte zahnärztliche Fachgesellschaft in Deutschland.
INFO
Wissenschaftspreise und -förderung
Auch die Forschungsförderung durch die DGP kam in Baden-Baden nicht zu kurz: An den wissenschaftlichen Nachwuchs wurden jeweils drei Preise für die besten Kurzvorträge und Posterpräsentationen vergeben. Auch in Baden-Baden konnte die DGP wieder mit freundlicher Unterstützung ihres langjährigen Partners, der Firma GABA, unter insgesamt 29 Einreichungen die mit insgesamt 6 000 Euro dotierten DGP-meridol-Preise und die DGP/GABA-Forschungsförderungen in Höhe von insgesamt 39 000 Euro vergeben. Auf dem Gebiet der Implantattherapie hatte die DGP den mit 5 000 Euro dotierten DGP-Implantatforschungspreis (mit freundlicher Unterstützung der Firma Nobel Biocare) und den mit 50 000 Euro dotierten Periimplantitisforschungsfonds mit freundlicher Unterstützung der Firma Biomet 3i) international ausgelobt und im Journal of Clinical Periodontology ausgeschrieben. In einem hoch kompetitiven Wettbewerb wurden Preis und Fonds unter fünf beziehungsweise sieben eingereichten Projekten von international besetzen Auswahlgremien vergeben.
INFO
Termine 2012
• DGP-Frühjahrstagung am 10. und 11. Februar 2012 in München zum Thema: „Evidenzbasierte Parodontologie – ein synoptisches Behandlungskonzept für die Praxis“• Der 7. Kongress der Europäischen Föderation für Parodontologie (EFP), EUROPERIO 7, vom 7. bis zum 9. Juni 2012, Reed Messe, Wien, Österreich: Die DGP betrachtet EUROPERIO 7 als ihre Jahrestagung 2012 und wird dort ihre Mitgliederversammlung abhalten.