Interaktive Fortbildung

Prothetische Rehabilitation nach operativer Tumortherapie

Die prothetische Rehabilitation von Patienten nach operativer Resektion von Tumoren im Kiefer-Gesichtsbereich stellt den Behandler vor mehrere Herausforderungen. Aufgrund ausgedehnter Kiefer- und Weichteildefekte ist es oftmals unmöglich, den Patienten konventionell prothetisch zu versorgen. Kieferabschnitte, die im Zuge der Rekonstruktion mit Transplantaten äußerer Haut versorgt worden sind, können nicht als Prothesenlager herangezogen werden. Die häufig durchgeführte tumortherapeutische Strahlentherapie birgt weitere Risiken und bedarf besonderer Beachtung seitens des Behandlers.

Britta Leubecher

Für die Rehabilitation nach der chirurgischen Therapie sind Implantate zur Verankerung und Abstützung des Zahnersatzes oft zwingend erforderlich [wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK, 2002].

Bei der Gestaltung des Zahnersatzes ist es wichtig, folgende Aspekte zu berücksichtigen: Mit dem Zahnersatz muss häufig im Defektbereich eine große vertikale Distanz rekonstruiert werden, so dass eine Reinigung von festsitzendem Zahnersatz, insbesondere der lingualen Anteile, stark erschwert wird. Aus diesem Grund ist es sinnvoller, die Versorgung kombiniert festsitzend-herausnehmbar zu gestalten und die häusliche Mundhygiene dadurch zu erleichtern. Die Verwendung von Doppelkronen bietet neben der guten Reinigbarkeit zahlreiche Vorteile wie die Erweiterbarkeit bei Implantatverlust, eine sichere sekundäre Verblockung der Implantate und eine leichte Handhabung für den Patienten [Lehmann et al., 2001 und 1996]. Des Weiteren können Abweichungen von der idealen Implantatposition kompensiert werden. Die Sekundärkonstruktion wird so konstruiert, dass eine breitflächige Abdeckung des Teguments vermieden wird, da dies zu massiven Gingivahyperplasien führen kann [Ciocca et al., 2008]. Um die Gefahr einer Periimplantitis zu verringern, sollten die periimplantären Gewebe grundsätzlich freigehalten und der Zahnersatz in diesen Bereichen unterspülbar gestaltet werden [Schaudig et al., 2009].

Ausgangssituation

Der 74-jährige Patient (Abbildungen 1 und 2) stellte sich im Juni 2008 zur prothetischen Versorgung vor. Allgemeinanamnestisch liegt bei dem Patient eine Allergie gegen Kobalt- und Nickelsulfat vor. Der Patient leidet an Diabetes und erkrankte 2002 an Tuberkulose, die aber vollständig ausgeheilt ist.

Anfang 2005 wurde bei dem Patienten ein Plattenepithelkarzinom des linken Mundbodens unter Beteiligung des Alveolarfortsatzes und der Zunge diagnostiziert (Abbildung 3). Nach Tumor-Radikal-OP mit Teilresektion des Unterkiefers und der Zunge sowie Neck dissection erfolgte die Rekonstruktion mit Beckenknochen und einem Radialislappen (Abbildung 4). Eine tumortherapeutische Bestrahlung und eine Chemotherapie wurden nicht durchgeführt.

2007 konnten in den rekonstruierten Knochen sechs Brånemark-Implantate inseriert werden (Abbildung 5). Anschließend erfolgten eine Mundbodenplastik und eine chirurgische Mobilisierung der resezierten Zunge. Im Frühjahr 2008 wurden die geschlossen eingeheilten Implantate freigelegt.

Der Oberkiefer war bereits vor der Tumorerkrankung zahnlos, die im Unterkiefer verbliebenen Zähne 43 und 44 wurden nach der Rekonstruktion des Defekts extrahiert. Vor seiner Tumorerkrankung trug der Patient eine Totalprothese im Oberkiefer, der Unterkiefer war mit einer Teleskopprothese versorgt. Nach der jahrelangen Rekonvaleszenzzeit soll der Patient wieder prothetisch versorgt werden.

Bei der Befundung zeigte sich ein zahnloser, gut ausgebildeter Oberkiefer (Abbildung 6). Im Unterkiefer sind die sechs Implantate mit Abheilpfosten versehen und stellen sich bei der Sondierung reizlos dar (Abbildung 7). Die Unterkieferspange sowie die Zunge sind nach der Resektion stark verkleinert und die Zunge ist in ihrer Mobilität massiv eingeschränkt.

Therapieplanung

Die Planung sah die Anfertigung einer Totalprothese im Oberkiefer vor. Im Unterkiefer wurde eine rein implantatgetragene Versorgung auf den bereits inserierten sechs Implantaten angestrebt. Der Zahnersatz sollte herausnehmbar gestaltet werden, um eine adäquate Reinigung zu ermöglichen. Die periimplantäten Gewebe und die Schleimhaut sollen dabei nicht abgedeckt werden, um das Weichteiltransplantat zu schützen und die Gefahr einer Periimplantitis zu verringern. Diese Anforderungen werden durch eine über Marburger Doppelkronen auf den Implantaten verankerte Teilprothese erfüllt.

Klinisches Vorgehen

AbformungNach den Situationsabformungen erfolgten die definitiven Abformungen mit individuellen Löffeln. Nach der Funktionsabformung im Oberkiefer wurden die Implantate im offenen Verfahren mit einem additionsvernetzenden Silikon (Aquasil Ultra Monophase, Dentsply DeTrey GmbH) abgeformt (Abbildung 8). Anschließend wurden noch eine orientierende Bissnahme sowie eine Gesichtsbogenübertragung des Oberkiefers vorgenommen.

Abutments und KieferrelationsbestimmungNach Herstellung der Meistermodelle und dem schädelbezüglichen Einartikulieren wurden konfektionierte Titanabutments zu Primärkronen beschliffen (Abbildung 9).

Es wurden Bissnahmeplatten im Ober- und im Unterkiefer angefertigt. Anschließend konnten die Abutments am Patienten anprobiert und die Kieferrelation mithilfe von Bissschablonen bestimmt werden (Abbildung 10).

Gerüst- und WachsanprobeNach der Kieferrelationsbestimmung wurde das Sekundärgerüst für den Unterkiefer im zahntechnischen Labor gefräst, und eine Wachsaufstellung für den Ober- und Unterkiefer erfolgte.

Die Anprobe am Patienten ergab eine gute Passung des Sekundärgerüsts und eine funktionelle und ästhetische Aufstellung der Prothesenzähne (Abbildungen 11 und 12).

Fertigstellung des Zahnersatzes und EingliederungAnschließend wurde der Zahnersatz fertig gestellt und am Patienten eingegliedert (Abbildungen 13 bis 16). Die zu Primärkronen beschliffenen Abutments wurden mit dem empfohlenen Drehmoment (32 Ncm) eingesetzt und die Schraubkanäle mit Komposit verschlossen. Der Patient wurde in Reinigung und Handhabung des Zahnersatzes eingewiesen.

NachkontrollenDie nachfolgenden Kontrollen zeigen reizlose periimplantäre Verhältnisse sowie eine stabile Okklusion. Die Mundhygiene sowie die Compliance des Patienten sind gut. Die Schluckfunktion hat sich jedoch nicht verbessert, so dass der Patient weiterhin nur Flüssigkeiten zu sich nehmen kann. Um das Schlucken durch ein besseres Anlegen der verkleinerten Zunge an den Gaumen zu erleichtern, wurde die palatinale Kontur der Totalprothese mit Kunststoff aufgebaut, so dass die Zunge die Palatinalfläche der Prothese leichter erreichen kann. Es zeigte sich, dass das Schlucken mit der optimierten Totalprothese erleichtert werden konnte und der Patient nun auch breiförmige Speisen zu sich nehmen kann.

Die regelmäßigen Kontrollen sind ohne auffällige Befunde. Auch im Recall nach zwei Jahren ist die Versorgung funktionstüchtig, und die Schleimhautverhältnisse stellen sich reizlos dar (Abbildung 17 und 18). Das OPG (Orthopanthomogramm) (Abbildung 19) zeigt regelgerecht osseointegrierte Implantate mit nur minimalem Knochenabbau im Bereich der Implantatschulter der beiden Implantate Regio 31 und 41.

Im Recall nach drei Jahren fiel bei der Überprüfung der Kieferrelation eine enorme Seitabweichung des Unterkiefers nach links auf. Bedingt durch Narbenzüge und Umbauvorgänge durch die Teilresektion und der nachfolgenden Rekonstruktion ist es zu einer Änderung der Bisslage gekommen. Nach der Registrierung der neuen Zentrik und dem schädelbezüglichen Umsetzen in den Artikulator (Abbildung 20) wurde der Zahnersatz vorerst massiv eingeschliffen und wieder eingegliedert (Abbildung 21).

In den darauffolgenden Wochen musste der Biss nochmals leicht korrigiert und eingeschliffen werden. Die weiteren Kontrollen werden erst zeigen, ob sich die Position des Unterkiefers stabilisiert und größere Umstellungen des bestehenden Zahnersatzes sinnvoll erscheinen.

Diskussion

Die prothetische Rehabilitation von Patienten nach Operationen von Kiefertumoren ist oftmals nicht ohne Implantate zu lösen. Die Insertion von vier bis sechs Implantaten ermöglicht einen rein implantatgetragenen Zahnersatz und verhindert die mechanische Belastung transplantierter Gewebe.

Der Zahnersatz im Unterkiefer wurde auf Doppelkronen verankert, weil diese im Vergleich zu einer Stegkonstruktion leichter zu reinigen sind und eine einfache Erweiterbarkeit bei Implantatverlust bieten. Die Abutments wurden direkt zu Primärkronen gefräst, da der Verzicht auf eine separate Primärkrone einen periimplantär ungünstigen Zementspalt verhindert und die Laborkosten gering hält.

Die Gestaltung des herausnehmbaren Zahnersatzes nach dem Prinzip der Marburger Doppelkronen bietet Vorteile. Die Marburger Doppelkrone ist eine Doppelkrone mit Spielpassung, die an strategisch wichtigen Pfeilern über ein Halteelement verfügt (TK Snap, Sitec). Dies gewährleistet eine leichte Handhabung ohne Verkantungen oder Verkeilungen zwischen Primär- und Sekundärkrone sowie eine gleichbleibende Retention auch nach jahrelanger Tragezeit.

Klassischerweise werden sowohl die Primärkronen als auch die Sekundärkonstruktion aus einem Legierungstyp, einer CoCrMo-Legierung, im Einstückguss- oder im Fräsverfahren hergestellt. Primärkronen und Sekundärgerüst aus einer CoCrMo-Legierung weisen eine hohe mechanische Festigkeit bei gleichzeitig guter Biokompatibiltät [Kulmburg et al., 2006; Ludwig, 2005] und einer vierfach geringeren Plaqueadhäsion als an Titan vor [Schade, 2005]. Zusätzlich zeigten In-vitro-Studien, dass die Korrosionsströme zwischen einem Implantat und einem CoCrMo-Abutment um den Faktor fünf bis zehn geringer sind als zwischen einem Implantat und einem Titanaufbau [Gente et al., 2008; Taher et al., 2003; Venugopalan, 1998]. Da der Patient im beschriebenen Fall eine Allergie gegen Kobalt- und Nickelsulfat vorweist, wurden alle Metallanteile des Zahnersatzes aus Titan gefertigt.

In den Nachuntersuchungen zeigt sich nach drei Jahren, dass die Kieferrelation nach den ausgedehnten Kieferresektionen und Rekonstruktionen nicht stabil war und durch Einschleifmaßnahmen angepasst werden musste. Der herausnehmbare Zahnersatz auf Doppelkronen ermöglicht hierbei eine gute Korrigierbarkeit der Aufstellung sowie eine leichte Erweiterbarkeit.

Dr. med. dent. Britta LeubecherUniversitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort MarburgMedizinisches Zentrum für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeAbteilung für Orofaziale Prothetik und Funktionslehre, Bereich für Propädeutik und Kiefer-GesichtsprothetikGeorg-Voigt-Str. 335039 Marburgb.leubecher@web.de

Dr. Britta Leubecher1999 – 2004 Studium der Zahnmedizin in Würzburg, 2004 Approbation,2005 bis 2007 Vorbereitungsassistentin in einer Gemeinschaftspraxis in Fulda,seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Orofaziale Prothetik und Funktionslehre in Marburg,2008 Promotion,2011 Ernennung zur Spezialistin für Prothetik der DGPro

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