Warnsignale
Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,
erfahrene Zeitgenossen kennen sie noch, die Politiker, die früher in strategisch schwierigen Großwetterlagen – dazu zählt heute so etwas wie die alles überschattende Euro-Krise – klare Anweisungen gegeben haben. Forderungen wie die, „den Gürtel enger zu schnallen“, oder die, dass „ein Ruck durch Deutschland“ gehen muss, machten aus manchen Zweiflern Überzeugte. Tempi passati – das gibt es heute nicht mehr.
Wünschen dürften sich das trotzdem auch heute noch viele. Vergessen wird dabei: Politik muss sich heute anderen Themen stellen und hat einen drastischen Klimawandel durchlebt. In dieser Republik verkündet so gut wie kein Politiker mehr überzeugt und lautstark eindeutige Kursangaben.
Auch Deutschlands Gesundheitspolitik ist diesbezüglich alles andere als ein bequemer Logenplatz für teilnehmende Beobachter. Unsere Sozialsysteme, gerade das für Gesundheit, werden trotz ständiger Entbürokratisierungswünsche immer komplexer und für den Laien undurchschaubarer. Was bleibt, ist ihre nach wie vor hohe Abhängigkeit von der gesamtgesellschaftlichen Prosperität. Und um die steht es – das verkünden uns die Volksvertreter fast täglich – alles andere als gut.
Von daher braucht realistische berufsständische Interessenspolitik andere Antworten als die, rigoroses Sparen auf alle erdenklichen Ebenen herunterzubrechen. Solche Rezepte sind nicht nur kurzsichtig und nutzlos, sie sind angesichts wachsender Herausforderungen für den Berufsstand sogar schädlich.
Die Delegierten der Bundeszahnärztekammer haben das erkannt. Sie haben schon im vergangenen Jahr auf der letzten BZÄK-Bundesversammlung die Ausrüstung der Bundeskammer überprüft und den anstehenden Aufgaben angepasst: Jetzt ist die BZÄK auch finanziell so ausgestattet, dass sie die gewollte und erfolgreich erkämpfte Positionierung, zum Beispiel die als neues Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, in diesem Jahr vernünftig nutzen kann.
Dass wir gut aufgestellt sind, ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil wir – anders als mancher Zeitgenosse es sich gewünscht hätte – in der verbleibenden zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode keine Phase der Ruhe und Konsolidierung erleben werden. Das liberal geführte Gesundheitsressort hat mit Vorlage des Entwurfs für ein Patientenrechtegesetz und der Ankündigung eines weiteren Anlaufs für die Pflegereform versucht, den Frachter Gesundheitsreform neu zu bestücken und wieder leidlich flott zu machen. Im Moment stehen alle Signale wieder auf Volldampf voraus.
Für den zahnärztlichen Bereich sind die Arbeitsaufträge damit gesetzt. Wir sind auf Basis unserer Bundesversammlungsbeschlüsse startklar und stehen – wie gehabt – sorgsam und sicher als fachkundige Lotsen zur Verfügung. Was wir brauchen, wo es lang geht und wie wir manövrieren müssen, können wir der derzeitigen Besatzung auf der bundesdeutschen Kommandobrücke durchaus klar machen. Wir wissen, was ansteht, was wir wollen und wohin es gehen muss.
Aber all das kann nur funktionieren, wenn wir die eingangs genannte Großwetterlage im Auge behalten. Eins lässt sich mit Sicherheit sagen: Wir können diesen mit demografischen Herausforderungen, retardierender Versorgungspolitik und immer größerer Reglementierung belasteten Frachter sicher durch bekannte Gewässer führen – vorausgesetzt, andere treiben uns nicht in unbekanntes Gebiet mit noch nicht ausgeloteten Untiefen.
Wer ganz andere Kurse einschlagen, aus den sicheren Wegen des dualen Systems heraus will, läuft Gefahr, Deutschlands hervorragende zahnmedizinische Versorgung in den Sand zu setzen. Für die in jüngster Zeit auf verschiedenen Ebenen und aus allen Fraktionen der Politik immer wieder hörbaren Forderungen, durch eine Konvergenz der Systeme PKV und GKV Deutschlands Solidarkräfte bündeln und unter Vorspiegelung größerer sozialer Gerechtigkeit die Wirtschaftlichkeitsreserven optimieren zu können, können von uns deshalb nur Warnsignale kommen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer