Gelebte Interdisziplinarität
Mit der Wahl der Vorträge wurde das komplette Spektrum von der Diagnostik bis hin zur operativen und konservativen Therapie dieser häufigen und doch auch häufig unterschätzten Tumorentität abgedeckt.
Eingeladen hatten die Ärztlichen Direktoren der beteiligten Fachabteilungen der RadioOnkologie und Strahlentherapie, der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und der Medizinischen Onkologie. Etwa 60 Teilnehmer trafen sich, um sich über die neuesten Entwicklungen in den verschiedenen Disziplinen zu informieren. Den Anfang machte dabei PD Dr. Stefan Rohde, Abteilung für Neuroradiologie, die am Zentrum die komplette Radiodiagnostik übernimmt. Er gab einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Schnittbildverfahren und ihre besondere Bedeutung in der Diagnostik des Mundhöhlenkarzinoms. Besonders informativ war dabei die Präsentation neuer wissenschaftlicher Daten zur Diffusionsbildgebung mittels Kernspintomografie, die künftig besser zwischen Tumorgewebe und posttherapeutischen Veränderungen unterscheiden lassen soll.
Stammzellen im Einsatz bei der MKG-Chirurgie
Der Ärztliche Direktor der Klinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie, Prof. Dr. Dr. Jürgen Debus, die Möglichkeiten zur konservativen Therapie des Mundhöhlenkarzinoms auf. Durch neuartige Planungsverfahren wie die intensitätsmodulierte Strahlentherapie und durch den Einsatz von Schwerionen gelinge es inzwischen, auch fortgeschrittene Tumoren der Kopf-Hals-Region mit kurativer Intention zu bestrahlen. Danach hatten die chirurgischen Fächer das Wort. Prof. Dr. Brian Nussenbaum, Abteilung HNO der Washington Universität in St. Louis, lieferte einen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten der chirurgischen Therapie. Er wies darauf hin, dass zukünftig auch die Möglichkeiten der Geweberegeneration mittels Stammzellen und Wachstumsfaktoren einen Platz in der Behandlung bösartiger Tumoren bekommen könnten. Prof. Dr. Dr. Jürgen Hoffmann, MKG-Chirurgie Heidelberg, konnte an einem großen Repertoire von Patientenfällen zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten der Rekonstruktion des Unterkiefers nach ablativer Tumortherapie durch den Einsatz und die Kombination unterschiedlicher mikrovaskulär anastomosierter Transplantate wie der Fibula oder dem Beckenkamm sind.
HPV-Infektionen und Tumorgeschehen
Der international renommierte medizinische Onkologe Prof. Dr. Jan B. Vermorken, Antwerpen, betonte den Stellenwert der Systemtherapie beim Mundhöhlenkarzinom.
So habe beispielsweise eine Studie unter seiner Leitung gezeigt, dass durch Hinzunahme des monoklonalen Antikörpers Cetuximab sich das Überleben der Patienten mit fortgeschrittenen, inoperablen Tumoren signifikant verbessert. Außerdem wies er in seinen Ausführungen darauf hin, dass eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV) nicht nur ursächlich für die Entstehung von Tumoren im Bereich der Tonsille und des Zungengrundes sei, sondern auch mit einer besseren Prognose für den Patienten unter einer primären Radiochemotherapie einhergehe. Im folgenden Vortrag von PD Dr. Kolja Freier, Abteilung Kieferchirurgie, wurde allerdings deutlich, dass die Häufigkeit von HPV-Infektionen in der Mundhöhle deutlich geringer als im Rachen ist, so dass die Bedeutung beim Mundhöhlenkarzinom in zukünftigen Studien weiter untersucht werden muss.
Dr. Nicole Christine Stuhrmann, Abteilung für Pädaudiologie der Klinik für HNO, stellte in ihrer Präsentation moderne Verfahren zur Stimm- und Sprechrehabilitation von Patienten mit Mundhöhlenkarzinomen vor. Sie plädierte für einen frühzeitigen und nachhaltigen Einsatz von pädaudiologischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, um den Patienten ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.
Navigation, Robotik und vieles mehr
Auch die Medizintechnik in der Kopf-Hals-Chirurgie hatte ihren Platz: Prof. Dr. Ludwig G. Strauss, HNO Leipzig, zeigte zunächst seine Vision eines „chirurgischen Cockpits“, bei der durch den Einsatz von intraoperativer Navigation und Robotik zukünftig chirurgische Eingriffe im Kopf-Hals-Bereich schneller und schonender stattfinden sollen. PD Dr. Christian Simon, HNO Heidelberg, berichtete von seinen Erfahrungen mit dem DaVinci-System bei der Resektion von Oropharynxtumoren. Hier konnte durch den Einsatz dieses Operationsroboters der Zugang minimal-invasiv ohne sonst übliche große chirurgische Zugänge am Hals durchgeführt werden. Ein weiteres minimal-invasives Verfahren wurde von Prof. Dr. Andreas Sesterhenn, HNO Marburg, vorgestellt. Er zeigte, dass es mithilfe von endoskopischen Verfahren zukünftig möglich sein könnte, bei der Entfernung von Lymphknoten am Hals auf große transkutane Zugänge zu verzichten.
Große Defekte werden chirurgisch rekonstruiert
Die beiden letzten Vorträge des Tages wurden dann wieder von der HNO-Klinik bestritten, in denen PD Dr. Philipp Federspil die Möglichkeiten der chirurgischen Rekonstruktion der perioralen Region vorstellte und Prof. Dr. Dr. h.c. Peter K. Plinkert einen Überblick über chirurgische Rekonstruktionsmöglichkeiten bei ausgedehnten Defekten des Zungenkörpers und des Zungengrundes präsentierte. Beeindruckend war hier zu sehen, wie es heute durch chirurgische Techniken gelingt, die Sprech- und Schluckfunktion der Patienten auch nach ausgedehnten Resektionen wieder vollständig zu rehabilitieren.
Um den anwesenden Besuchern zu illustrieren, wie sich das bis dato vorgetragene Fachwissen in die tägliche Routine umsetzen lässt, folgte ein von PD Dr. Christian Simon, HNO, moderiertes virtuelles Tumorboard. Es wurden echte Patientenfälle vorgestellt, bei denen die Vertreter der verschiedenen Fachdisziplinen ihre jeweiligen Behandlungsvorschläge vorbringen konnten und zum Teil kontrovers über differentialtherapeutische Möglichkeiten diskutierten.
Insgesamt waren sich aber die Vertreter aller ausrichtenden Fachdisziplinen einig, dass das Symposium ein großer Erfolg war: Erneut war es gelungen, die unterschiedlichen Abteilungen an einem Tisch zu versammeln, um gemeinsam multimodale Konzepte zu entwickeln und durchzuführen. Dies trägt dazu bei, die Tumortherapie im Kopf-Hals-Bereich zu optimieren und sowohl die Überlebenschancen als auch die Lebensqualität der Patienten langfristig zu verbessern.
Prof. (apl.) Dr. Dr. Kolja FreierKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum HeidelbergIm Neuenheimer Feld 40069120 HeidelbergKolja.Freier@med.uni-heidelberg.de