Differenzialdiagnose einer unilateralen Halsschwellung

Metastase eines papillären Schilddrüsenkarzinoms

Heftarchiv Zahnmedizin
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Tarik Mizziani, Martin Kunkel

Ein 59-jähriger türkisch-stämmiger Patient wurde aus der medizinischen Universitätsklinik des Hauses konsiliarisch aufgrund einer einseitigen Halsschwellung vorgestellt.

Er befand sich in stationärer Behandlung aufgrund eines Magen- und Duodenalulcus.

Beim Erstkontakt war der Patient in einem guten Allgemein- und in einem mäßigen Ernährungszustand. An Allgemeinerkrankungen lagen eine medikamentös behandelte chronische Bronchitis und ein Nikotinabusus mit 50 Pack/Years vor.

Er gab an, dass die Halsschwellung seit circa drei Jahren stetig größenprogredient sei. Eine weitergehende Untersuchung habe bisher nicht stattgefunden. Die weitere extra- und intraorale Untersuchung ergab keine Befund-assoziierten Pathologien. Eine B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust) lag nicht vor.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine circa 6 cm x 4 cm große, nicht druckdolente, prallelastische Raumforderung im Bereich des linken Trigonum caroticum (Abbildung 1). Eine Adhärenz zur Kutis lag nicht vor. Sonografisch zeigte sich ein sehr auffälliger Befund. Innerhalb einer ausgedehnten zystischen Läsion fanden sich umschriebene solide Formationen. Daneben fielen innerhalb des zystischen Lumens kleine echogebende Partikel auf, die nach Bewegung oder Kompression langsam nach caudal absanken, so dass sich das Bild eines „Schneegestöbers“ ergab (Abbildungen 2a und 2b). Dieser Befund erschien zunächst typisch für eine entzündlich alterierte laterale Halszyste. Der Befund wurde daher in toto unter der plausiblen Annahme einer lateralen Halszyste exzidiert (Abbildung 3).

Im Anschnitt des Präparats zeigten sich dann allerdings eine ungewöhnliche Septierung und vor allem einige Kammern mit papillomatösen Proliferaten, die sich bei einer Halszyste auch nach mehreren Entzündungsepisoden nicht darstellen (Abbildung 4). Insofern musste die Verdachtsdiagnose einer lateralen Halszyste infrage gestellt werden. Letztlich ergab die histopathologische Untersuchung die Diagnose eines papillären Schilddrüsenkarzinoms.

Der Patient wurde daher der chirurgischen Universitätsklinik zugewiesen. Hier erfolgten die Thyreoidektomie und eine ipsilaterale selektive Lymphadenektomie. Im Anschluss wurde der Patient einer Radiojodtherapie zugeführt.

Diskussion

In Deutschland erkranken jährlich etwa 4 000 bis 5 000 Personen an einem Schilddrüsenkarzinom. Damit machen Schilddrüsenkarzinome zwar nur rund ein Prozent aller Malignome aus, sie sind aber die häufigsten und wichtigsten endokrinen Karzinome. Weltweit wird eine steigende Inzidenz beobachtet. Von allen krebsbedingten Todesfällen sind 0,2 bis 0,3 Prozent auf das Schilddrüsenkarzinom zurückzuführen. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Bei einem mittleren Erkrankungsalter von 55 Jahren liegt der Inzidenzgipfel zwischen der sechsten und der siebenten Lebensdekade. Im Kindesalter ist das Schilddrüsenkarzinom selten, hat hier jedoch häufig einen aggressiven Verlauf. Für die Häufigkeit des Schilddrüsenkarzinoms spielen die genetische Disposition, geografische Unterschiede der Jodversorgung sowie die ionisierende Strahlung eine Rolle. Die Strahlenbelastung gilt als ätiologisch wichtigster exogener Faktor des Schilddrüsenkarzinoms, insbesondere im Kindesalter.

Obwohl die WHO mittlerweile noch eine Reihe histologischer Unterformen definiert, ist unter therapeutischen und prognostischen Gesichtspunkten die klassische Unterscheidung in „differenzierte“ und „undifferenzierte“ Karzinome weiter sinnvoll. Zu den differenzierten Formen zählen das follikuläre, das papilläre und das medulläre Schilddrüsenkarzinom. Bereits die differenzierten Typen unterscheiden sich deutlich im klinischen und biologischen Verhalten. Während das papilläre Schilddrüsenkarzinom bereits früh bevorzugt in die lokoregionären Halslymphknoten metastasiert, streut das follikuläre Schilddrüsenkarzinom eher hämatogen. Das deutlich seltenere medulläre Schilddrüsenkarzinom, dass sich im Gegensatz zu den oben genannten Typen von den sogenannten parafollikulären Zellen ableitet, metastasiert sowohl lymphogen als auch hämatogen. Daneben existieren undifferenzierte anaplastische Karzinome.

Ein Sonderfall sind die hereditären Schilddrüsenkarzinome, die bei verschiedenen Grunderkrankungen vorkommen können. Am bekanntesten ist sicher das familiäre medulläre Schilddrüsenkarzinom im Rahmen multipler endokriner Neoplasien (MEN-Typ2). Aber auch papilläre und follikuläre Formen können Syndrom-assoziiert vorkommen.

Die Verteilung der Subtypen zeigt interessanterweise eine Abhängigkeit von der Jodversorgung. In Regionen mit einer guten Jodversorgung finden sich bis zu 80 Prozent papilläre Schilddrüsenkarzinome, in Regionen mit schlechter Jodversorgung ist der Anteil der follikulären Karzinome deutlich höher.

Die Basis-Therapie stellt die chirurgische Resektion und die Kompartment-orientierte Lymphknotendissektion dar. Therapeutisch bedeutsam ist außerdem die Fähigkeit der papillären und der follikulären Karzinome, Jod zu speichern. Diese Jodspeicherung kann therapeutisch genutzt werden, da residuales Tumorgewebe selektiv mit radioaktiven Jodisotopen sehr erfolgreich behandelt werden kann.

Insgesamt werden daher heute für Schilddrüsenkarzinome sehr hohe Überlebensraten um 90 Prozent erreicht. Für medulläre Karzinome liegen die Erfolgsraten schlechter. Die undifferenzierten Varianten, wie das anaplastische Schilddrüsenkarzinom, haben insgesamt eine sehr schlechte Prognose.

Für die Zahnarztpraxis soll dieser Fall an die große Vielfalt möglicher Ursachen der seitlichen Halsschwellung erinnern, die auch mit modernen bildgebenden Methoden nicht immer sicher zugeordnet werden können.

Dr. Tarik MizzianiProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochummartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.detarik.mizziani@ruhr-uni-bochum.de

Fazit für die Praxis

• Raumforderungen der Halsregion bedürfen immer einer histologischen Diagnose, auch wenn diese über einen längeren Zeitraum bestehen.

• Schilddrüsenkarzinome sind insgesamt seltene Tumoren, sie können aber klinisch durch regionäre Lymphknotenmetastasen erkennbar werden.

• Die große Mehrzahl der Schilddrüsenkarzinome hat heute ein sehr gute Prognose.

• Gerade für die Risikogruppen medullärer und undifferenzierter Karzinome ist eine frühe Erkennung bedeutsam, weil für diese Formen der Erfolg der chirurgischen Therapie derzeit noch prognosebestimmend ist.

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